Sie ist kein Eigentum. Sie bildet sich aus Erinnerungen. Aus Gehörtem, Gezeigtem, Erlerntem. Befeuert wird die Sprache durch unsere Fantasie. Auch die Schreibweise Phantasie wird akzeptiert. Allerdings hört bei mir das Vergnügen an der Sprache auf, wenn ich aufgefordert werde, „Tränschkot“ statt Trenchcoat zu schreiben.
Mit Schriftsprache umgehen, das war mein Beruf. Ich habe Nachrichten geschrieben, Berichte, Reportagen, Kommentare. Später habe ich bislang sieben Bücher geschrieben und publizieren lassen. Beiträge in weiteren Büchern kommen hinzu. Zudem habe ich einige hundert Texte für verschiedene Zeitschriften und Blogs geschrieben. Manches ist mir gelungen, anderes nicht. Es rührt mich also an, wenn über Sprache und Schrift debattiert – und wenn sie reguliert wird.
Wenn Sie sich über die Vorzüge von Kirschholz oder Buche für einen Tisch, ein Regal oder in Bettgestell informieren wollen, fragen sie liebe Leserin, lieber Leser eine Tischlerin. In Fragen der Sprache orientieren wir uns mehr oder weniger gezwungenermaßen an dem, was ein Sprecher der Tagesschau oder die Sprecherin im WDR 3 uns erzählen. Sie prägen den Sprachgebrauch. Ausgewiesen als Fachleute ihrer Profession wie ein Tischler in seiner sind die nicht.
Änderungen innerhalb des deutschen Sprachgebrauchs vollziehe ich nach, sofern sie meinen Sinn für die Sprache treffen. Wenn nicht – dann nicht.
Der Bonner General-Anzeiger hat kürzlich eine Diskussion über Widersprüche im heutigen Sprachgebrauch publiziert. Thema: Gendersensibel sprechen – ja oder nein. Lösung: Nicht in Sicht. Es ist ein bekanntes, aber keineswegs ausgeschöpftes Thema.
Wenige Tage später schrieb eine Leserin im Rahmen der Nachbereitung der GA-Diskussion, der Mensch denke in Worten. Das ist die Basis der Meinung: Sprechen können, reden sei ein Herrschaftsinstrument. Das Herrschaftsinstrument. Sprache und deren auf Papier geronnene Form erzeugten und verfestigten Strukturen diesseits allen Denkens.
Für Wilhelm von Humboldt war die Angelegenheit tatsächlich klar: Sprache, Laute sind Grundlagen unseres Denkens. Was in der Folge bedeutete: Denken ohne vorausgehende Worte – das gehe nicht. Neurowissenschaft setzt dahinter heute ein dickes, dickes Fragezeichen: Der Gedanke sei zuerst da, dann erst erfolge Realisierung in Sprache. Die Frage also, ob Sprache ein Herrschaftsinstrument sei, das auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern mit-präge, gründet zumindest auf viel komplizierteren Prozessen, als eine ideologische geführte Auseinandersetzung weismachen will.
An unserer (noch) gemeinsamen Sprache, der deutschen Sprache, werden gegenwärtig „Operationen“ vorgenommen. Das Wort „Operationen“ habe ich gewählt, weil sich operative Eingriffe auf den Zustand, die Befindlichkeit des ganzen „Wesens“ Sprache beziehen, auch wenn lediglich ein Teil „behandelt“ wird. Was ist damit gemeint?
Die Sprache erinnert mich an einen mächtigen Baum mit vielen Ästen. Es ist ein sehr alter Baum.
Manche „Äste“ sind so alt, dass sie ihre Blätter verlieren, sie werden kahl. Heißt: Worte fallen aus dem Alltags-Gebrauch raus, werden verworfen, geraten ins Abseits, werden vergessen. Wie das „Fräulein“; der „Hagestolz“, „Haderlump“, „Brustbeutel“, „Beinkleid“ oder das Wort „Mohr“.
Wie, um dieses Beispiel zu bemühen, das Wort „Mohr“ heute rassistisch konnotiert werden kann, obgleich es bereits vor längerer Zeit völlig aus der Verwendung und Meinungsbildung fiel, ist mir ein Rätsel.
Ein anderer alter „Ast“ stirbt ab: Die „Muttersprache“, eng verbunden mit den Mundarten. Muttersprache spiegelt eine frühere Realität: Die Mütter und Großmütter daheim brachten den Kindern das Reden bei, während die Herren der Schöpfung die Kohle verdienten. Das war so, ist heute weitgehend nicht mehr so.
Es gibt den „Ast“ der „Sprachexperten“, die mit der Sprache allerlei anstellten und anstellen: Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die uns anrühren, verzaubern, erschrecken, hinters Licht führen, wie auch immer. Lehrerinnen und Lehrer, die uns über Sprache und Schrift die Welt erklären (sollen); philosophisch tätige Leute, Theaterleute, die Professorinnen, Professoren etc.
Nun gesellen sich zu den Erwähnten die Betreiber einer „kompress“-Sprache: Die besteht aus auf wenige Worte zusammengeschobenen Texten in elektronischen, sogenannten „sozialen“ Medien. Dialogisch angeordnete Worte, die wie Chiffren gebraucht werden. Oft verfremdete Worte: „wonna“ statt „I wont to“. Ferner hat sich eine angeblich oder tatsächlich um schwierige Ausdrucksweisen „bereinigte“ Sprache als Wahlmöglichkeit entwickelt: Tränschkot statt Trenchcoat. Und schließlich die gegenderte Sprache.
„Gendersensibel“ soll Sprache sein. Was bedeutet das? Sensibel sein heißt: Empfindsam sein, feinfühlig sein, sich kleinen und kleinsten Veränderungen öffnen können. Heißt gendersensibel sein auch, ein Wort durch Satzzeichen wie den Doppelpunkt oder den Unterstrich zu ersetzen? Die zum Sprechen bringen zu wollen?
Satzzeichen haben die Funktion, eine Abfolge von Worten, den Satz zu strukturieren: Anfang, Ende, Anbinden, Auslassen. Ich kann die Funktion des Fragezeichens oder des Ausrufezeichens durch Betonung und Modulation realisieren. Aber einen Stern, einen Unterstrich? Umschließt Gendersensibilität auch eine Art Pflicht, sich sprachlich anders zu verhalten als bisher? Das wäre eine Art „Übergriffigkeit“, die abzulehnen ist.
Die erwähnten „Operationen“. Die beginnen damit, dass wir den reichen Schatz an Präpositionen verkommen lassen. Wer zuhört, zuschaut und wer aufmerksam liest, der findet, dass die Präposition „bei“ so ziemlich alle anderen Präpositionen wegdrängt, die es gibt. Achten Sie bitte mal darauf.
Die zweite „Operation“: Immer häufiger wird der Indikativ verwendet, wenn der Konjunktiv gefordert ist: Manfred kritisierte beim Essen, das ist aber nicht besonders schmackhaft. „Sei“ wird durch „ist“ ersetzt, so dass der Blutdruck der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer zu steigen beginnt. Muss ja nicht sein.
Die dritte „Operation“: Ein schon affig sich gebärdendes Übernehmen sogenannter „Anglizismen“. Vor einiger Zeit hörte ich im Morgenmagazin der ARD, dass eine der coolen Moderatorinnen erzählte, dies oder jenes habe sie „gejoyt“. Mich hat das nicht gejoyt. Das Neueste auf diesem Feld ist der-das „Mindset“, was auch immer damit gemeint ein mag.
Sprache gehört niemandem, wie eingangs festgestellt wurde. Das sollte aber nicht bedeuten, dass wir Sprache als eine Art „fast Food“ ansehen – Hauptsache Pommes sind dabei. Sprache ist auch keine Gerechtigkeits-Anstalt; beziehungsweise eine „Fürsorgeeinrichtung“, die welche ich gebracht werde, wenn ich mich gegen Sprach-Trends stelle, die von Sprach-Zwergen propagiert werden. Sprache entspringt Realität, Erlebten oder Eingebildetem. Sie ist auch die Heimat von Fantasie und Magie. Wo sollten die sonst ihre Heimat haben? Sprache passt sich langsam an, sie folgt eigenen Rhythmen. Sprache ist stets rückständig. Wird sie mit Blick auf eine Zukunft definiert – wie der Halbfett-Käse von den Nazi-Ernährungsspezis oder der Jahresendbaum von späteren Verächtern der Freiheit, wird’s schwierig für unsereins. Also seid bitte vorsichtig, wenn´s an Sprach-Regulieren geht. Denkt an John Fogerty:
„Don’t go around tonight
Well, it’s bound to take your life
…..
There’s a bad moon on the rise.“
Gendern? Bin ich dafür, weil Sprache politisch ist.
Pflicht? Nein. Funktioniert sowieso nicht (so wenig, wie ein Handyverbot).
Jede*r, wie sie*er will.
So lief es mit der Sprache schon immer.
Das ist imgrunde, wie mit der Migration. Aber ich schweife ab …
Ich denke, Gesellschaft verändert Sprache, aber Sprache verändert nicht die Gesellschaft.
Auch kann ich nicht jedes Wort darauf hin prüfen, ob ich mit der Nutzung irgendeine Minderheit diskriminiere.
Oder bei Stellenanzeigen dieses m/w/d sollte ganz entfallen, als Arbeitgeber stelle ich nicht nach Geschlecht ein, sondern nach Qualifikation.
Wenn ich als Bank keine Transe mit lackierten Fingernägeln am Schalter haben will, kann ich noch so oft m/w/d schreiben, der bekommt den Job nicht.
Und dann gibt es noch Fritz Mautner, der darüber philosophierte, ob Gedanken erst durch Worte möglich werden oder umgekehrt, spannend.
Bin mit nahezu allem einverstanden, bitte aber doch einen kleinen Punkt mitzubedenken: 1999 habe ich ein ganzes Heft (https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/formdiskurs-Zeitschrift-f%C3%BCr-Design-und-Theorie-Journal-of-Design-and-Design-Theory-7-II-1999/id/A02BGtid01ZZo?zid=5f359mf1ba0p791u1nm1qnin0s) der Zeitschrift formdiskurs dem Thema “Denken ohne Sprache” gewidmet, wobei es vor allem um sprach-ähnliche Qualitäten in Entwurfsprozessen ging. Klar war allen Leuten aus Philosophie, Design-Theorie, -Praxis und Verlagswesen das Dilemma bewusst, dass diese Prozesse wieder nur durch Sprache vermittelbar sind. Dennoch will ich von einem vorsprachlichen Denken in ästhetischen Prozessen nicht lassen.
Bin mir nicht sicher, aber ich meine, die Geschichte stamme von Werner Heiduczek (Abschied von den Engeln?) . Ein Hilfslehrer hat während der Anlaufjahre der DDR in einem Aufsatz den Namen Goethe mit einem Fehlerstrich am Rand versehen. Empörter Einwand: Aber Goethe wird doch mit h geschrieben! Antwort: Im Sozialismus, der größere Aufgaben habe, manchmal ohne h. Stimmt also: Sprache ist politisch. Scherz ade. Sprache ist politisch, weil wir sie „politisieren“. Politisieren heißt: Das von mir Erlebte/Gelerntes/Erdachtes in Beziehung zu anderem zu setzen. Es geht sprachlich auch ohne Politisieren:
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.“ (RMR)