Das Ende der Radiokunst ist nah

Dass Hans Conrad Zander vom WDR abgeschoben wird, ist nicht sein materieller Schaden. Er hat ein sehr erfolgreiches Berufsleben gelebt, und ist insofern der seltene Fall von sozialer Gerechtigkeit im Medienkapitalismus. Ich hoffe für ihn, dass er bei seinen Spesenabrechnungen im von Bertelsmann vernichteten Gruner&Jahr-Verlag nicht gespart hat. Den Schaden haben wir Hörer*innen. Wer hört noch Radio? Bin ich einer der Jüngsten, die es noch tun? Heute hole ich meinen über 40-jährigen Sony-Receiver aus der Werkstatt (75 €). In Beuel haben wir noch eine.

Zander hatte – aus guten Gründen – eine Ausnahmegenehmigung vom WDR. Nur in allerseltensten Fällen dürfen Autor*inn*en ihre Texte noch selber sprechen. In den 80er Jahren begann die Ausrottung dieser Praxis. Mir lieferte sie Authentizität. Ich hörte nicht nur Texte, sondern auch Gefühle. Ich hörte eine Persönlichkeit. Andere spürten angeblich Irritation, einen “Ausschaltimpuls”. Und das durfte nicht sein. Für die Chefstrateg*inn*en war das Ungeziefer im Programm. Sie wollten und wollen einen Soundteppich, absolut kratzfrei, also frei von anstrengenden Inhalten oder gar ganzen Gedanken.

Doch Zander überlebte. Auf rätselhafte Weise? Nein. Hören Sie ihn sich nur an! Diese Stimme hat ihm die Natur geschenkt. Den Akzent seine Geburt. Aber den Einsatz seiner Stimme, den bestimmt er. Das ist Kunst.

Ich hörte diese Kunst erstmals zu Beginn der 70er Jahre. Ich pubertierte. Liebte das Radio. Und, mir selbst heute kaum noch vorstellbar: ich liebte den WDR, und seine damals nur drei Radioprogramme. Meine wichtigste Entdeckung war das Kritische Tagebuch. Mit seinem letzten festangestellten Redakteur Eberhard Rondholz bin ich heute noch befreundet. Das war politisches Feuilleton, wie ich es imgrunde seitdem lebenslänglich nachzuahmen versuche. Ich meine, dort auch Zander das erste Mal gehört zu haben. Aber diese Erinnerung kann auch täuschen.

Ganz sicher erinnere ich mich an “Rotkohl – das politische Magazin der jungkonservativen Bewegung Deutschlands” mit dem Intro und der Zwischenmusik der “Alten Kameraden”. Heutige Programmdirektionen würden sich eher selbst entleiben, als sowas auf den Sender zu lassen. Georg Bungter und Hans Conrad Zander sprachen 2-3 kurze satirische Texte in einer Dialoginszenierung. Zum Finale folgte ein Kapitel aus “Viktor und Christa – der jungkonservative Arztroman zum Jahr der Frau” (1975 war von der UNO-Vollversammlung dazu ausgerufen worden). Eine Abwandlung/Fortsetzung brachten die beiden genialen politischen Spassmacher noch 15 Jahre später als Buch heraus. Ein Mini-Spätwerk von Bungter erhielt der Extradienst exklusiv – eine Ehre, für die ich mich aus diesem aktuellen Anlass erneut verneige.

Mir war damals, als wenn Zander den männlichen Vornamen dieses Arztromans eher mit einem “F” aussprach. Aber das habe ich in meiner Pubertät sicher missverstanden. Allerdings habe ich alles auf MCs archiviert. Ich traue mich nur nicht mehr, sie abzuspielen, aus Angst, sie durch Bandsalat für immer zu vernichten. Wie ich dem WDR unterstelle, dass er es längst getan hat.

Schande über ihn.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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