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Pakistan überwacht Bevölkerung

… mit deutscher Technologie (Amnesty-Bericht)

Pakistan hat laut Amnesty International eines der umfangreichsten staatlichen Überwachungssysteme außerhalb Chinas aufgebaut. Zulieferer neuester Technologie zur Überwachung und Zensur sind auch europäische und deutsche Unternehmen wie Thales und Utimaco.

Pakistan überwacht Millionen seiner Einwohner*innen auch mit in Deutschland entwickelten Technologien, das geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Bericht von Amnesty Internationalhervor. Auch andere europäische und ausländische Unternehmen versorgen die pakistanischen Behörden mit hochentwickelten Werkzeugen zur Massenüberwachung und Internetzensur.

Mit dem Telefonüberwachungssystem Lawful Intercept Management System (LIMS) erfassen die pakistanischen Sicherheitsbehörden Standort, Anrufe, Textnachrichten sowie den Browserverlauf von mindestens vier Millionen Mobiltelefonen gleichzeitig. LIMS erlaubt zu sehen, welche Webseiten Nutzer*innen aufrufen, selbst wenn diese oder ihre Teile verschlüsselt sind. Das System gewährt dem pakistanischen Militär und den Geheimdiensten direkten Zugriff auf die Daten von Telekommunikationskunden, da es in die Telekommunikationsnetze der privaten Anbieter direkt eingebaut ist. zur Identifikation bedarf es lediglich der Handynummer.

Kontrolle von Handys und Internet

Zudem blockieren Geheimdienste mit einer in China entwickelten Firewall-Technologie (WMS 2.0) Virtual Private Networks (VPN), die zur Umgehung von Zensur genutzt werden können, sowie unliebsame Webseiten. Die Behörden können mit der Technologie auch den Internetverkehr drosseln.

Amnesty beschreibt diese Kombination an Technologien als Wachtürme, die ständig das Leben gewöhnlicher Menschen ausspionieren. Sie machen es laut der Menschenrechtsorganisation der Regierung möglich, Dissident*innen zu überwachen, zum Schweigen zu bringen und grundlegende Menschenrechte systematisch zu verletzten.

„Weil es in Pakistan an technischen und rechtlichen Schutzmaßnahmen mangelt, ist LIMS in der Praxis ein Instrument rechtswidriger und unterschiedsloser Überwachung“, heißt es in dem Bericht. Die Geheimdienste nutzen LIMS, ohne dafür einen richterlichen Beschluss eingeholt zu haben – eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestanforderung, die von den pakistanischen Behörden jedoch in gewohnter Manier ignoriert wird.

Überwachung made in Aachen

Pakistan hat in den letzten Jahren eine tiefgreifende Überwachungsinfrastruktur aufgebaut und dabei auf eine globale Lieferkette von Überwachungstechnologien zurückgegriffen. Den Großteil der Technologie, die LIMS in Pakistan ermöglicht, kommt von zwei Unternehmen: dem deutschen Utimaco mit Sitz in Aachen und dem emiratischen Datafusion mit Niederlassung in Deutschland. Mit LIMS von Utimaco durchsuchen die Behörden die Daten der Telekommunikationskunden, die dann über Überwachungszentren von Datafusion zugänglich gemacht werden. Mit Hilfe von Handelsdaten konnte Amnesty nachweisen, dass LIMS über das Unternehmen aus den Arabischen Emiraten an Pakistan geliefert wurde. Das System wird in Pakistan schon seit 2007 eingesetzt.

Die Internet-Firewall wurde erstmals in 2018 in Betrieb genommen und stammte von einem kanadischen Unternehmen namens Sandvine (jetzt AppLogic Networks). Fünf Jahre später wurde sie durch eine fortgeschrittene Technologie vom chinesischen Unternehmen Geedge Networks ersetzt, das Verbindungen zu chinesischen Staatsunternehmen unterhält. Die US-amerikanische Firma Niagara Networks und die französische Firma Thales lieferten die unterstützende Infrastruktur.

Laut Amnesty handelt es sich bei der von Geedge Networks entwickelten Technologie um eine kommerzielle Version von Chinas „Großer Firewall“, die nun auch außerhalb des Landes zum Einsatz kommt. Die Große Firewall ist ein umfangreiches staatliches Zensur- und Überwachungssystem, mit dem die chinesische Regierung unerwünschte ausländische Seiten sperrt und die gesamten Aktivitäten der Bevölkerung im Internet kontrolliert.

Verantwortung der Unternehmen und Exportländer

Datafusion erklärte gegenüber Amnesty, dass die Überwachungszentren ausschließlich an gesetzlich legitimierte Behörden verkauft werden und man selbst LIMS nicht herstelle. Utimaco weigerte sich seinerseits, seine Verbindungen zu Datafusion offenzulegen und berief sich auf Geschäftsgeheimnisse. Beide vermieden es, auf die Enthüllungen der Menschenrechtsorganisation einzugehen.

Unklar bleibt, welche Ausfuhrgenehmigungen für den Export von LIMS durch Utimaco beantragt oder erteilt wurden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle äußerte sich nicht zu dem Fall. Die deutsche Regierung lehnte es ebenfalls ab, Auskunft über Ausfuhrgenehmigungen zu geben.

Amnesty hält fest, dass der Handel mit Überwachungstechnologien in Deutschland, der EU und weltweit weiterhin unzureichend kontrolliert ist.

Überwachung als politische Waffe

Pakistan gilt seit langem als Land mit massiver Internetüberwachung und Informationskontrolle. Laut der Menschenrechtsorganisation hat sich die politische Lage im Land, in dem Meinungsfreiheit stark eingeschränkt, Oppositionelle willkürlich verhaftet und verschleppt werden, mit dem ungebremsten Export von Überwachungstechnologien weiter verschärft.

Seit dem Sturz des ehemaligen Premierministers Imran Khan im Jahr 2022 sind Oppositionelle und Aktivist*innen von Massenverhaftungen betroffen. Am Obersten Gerichtshof in Islamabad wird aktuell der Fall von Khans Frau Bushra Bibi verhandelt, nachdem private Telefongespräche von ihr online geleakt worden waren.

Lokale Mobilfunk- und Internetabschaltungen sind besonders häufig in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. In lokalen Bezirken ist das Internet teilweise über Jahre gesperrt. Aktivist*innen in beiden Provinzen berichten, dass diese Abschaltungen oft dazu genutzt werden, Proteste und politische Kundgebungen zu stören und Verschleppungen zu verdecken. Das Militär weist diese Vorwürfe zurück.

Die einjährige Untersuchung hat Amnesty in Zusammenarbeit mit Paper Trail Media, DER STANDARD, Follow the Money, The Globe and Mail, Justice For Myanmar, InterSecLab und dem Tor Project durchgeführt. Die Ergebnisse beruhen einerseits auf öffentlich zugänglichen Handelsdaten internationaler Unternehmen und andererseits auf einem 600 GB großen Datenleak des chinesischen Unternehmens Geedge Networks.

Timur Vorkul ist seit September 2025 Volontär bei netzpolitik.org. Er hat Sozialwissenschaften und Kulturanthropologie studiert und zuletzt für den MDR gearbeitet. Neben seinem Volontariat macht er Beiträge für den Fernsehsender KiKA. Er interessiert sich für staatliche Überwachung, Migrationsregime und Ungleichheit. Kontakt: E-Mail (OpenPGP). Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Über Timur Vorkul - netzpolitik:

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2 Kommentare

  1. Avatar-Foto
    GILBERT Kolonko

    Erst einmal ein Danke für das Weiterleiten dieser Informationen!
    Den jungen Menschen in Pakistan die ich im Dezember gesprochen habe, wissen von der Überwachung auch ihrer social media world. Und trotzdem:
    „Wir sind zu viele“, antwortete lachend ein junger Mann, denn ich fragte, ob er keine Angst vor einer Verhaftung hätte, wenn er sich im Netz über die Armee/Regierung lustig mache. Dann fügte er sachlich hinzu: „Sie können nicht Millionen junger Menschen verhaften.“ Jeder junge gesprochene Pakistaner von Lahore bis Karachi antwortete ähnlich.
    Das Medianalter in Pakistan beträgt 20,6 Jahre. Aktuell machen sich die jungen Menschen im Netzt über den Mayor von Karachi lustig – die 20 Millionen Einwohnerstadt steht mal wieder unter Wasser. https://images.dawn.com/news/1194128/the-river-is-flowing-like-a-river-karachi-mocks-mayor-murtaza-wahabs-post-as-the-city-floods-again
    Als Indien beim letzten „Kriegs-Scharmützel“ drohte, Pakistan das Wasser abzustellen, machte sich die pakistanische Jugend im Netzt über ihre Generäle wie die Indischen lustig, in dem tausendfach ironisch gefragt wurde, was denn da abgestellt werden soll – Pakistan habe doch schon jetzt kein mehr Wasser und Indien doch auch kaum. In beiden Ländern herrschte im Frühjahr mal wieder Wassermangel.
    Aktuell gab es in der nepalesischen Hauptstadt und anderen größeren Städten des Landes schwerste Unruhen vorwiegend junger Menschen. Der Premiereminister trat zurück. Die haben einfach genug von ihrer korrupten, politischen Elite. In Nepal beträgt das Medianalter 25 Jahre.
    In Bangladesch war es vorwiegend die studentische Jugend, die im letzten Jahr einen Aufstand auf die Beine stellte, der die Autokratin des Landes Hasina vertrieb.
    Auch die progressive indische Jugend hat jeglichen Respekt zumindest im Netzt vor ihrem neoliberalen, religiösen Landespopulisten Narendra Modi verloren: Im indischen Himalaya gab und gibt es diesen Monsun Erdrutsche in sehr großer Anzahl. Der nördliche Bundesstaat Punjab stand zu großen Teilen unter Wasser. Dazu Mumbai und etliche andere Großstädte. Immer mehr junge Menschen wissen, das der Klimawandel nur ein Grund ist: Planloses Bauen, Bauen, Bauen ist der Hauptgrund. Selbst sogenannte Smart-Citys in der Hauptstadt Delhi kollabierten nach 20 Minuten Regen, denn nicht einmal dort existiert eine funktionierende Kanalisation.
    Ja, es sieht schlimm aus, aber von Hoffnungslosigkeit keine Spur.

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      Martin Böttger

      Danke für diese qualitativ hochwertigen Infos, die wir in hiesigen Medien lange suchen können. Und sehr, sehr freundliche Grüße.

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