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Glimpfliche Katastrophe

NRW-Kommunalwahl mit Bonn als Insel der Idylle

Nordrhein-Westfalen ist das grösste Bundesland der BRD – ca. ein Fünftel der Deutschen leben (und wählen) dort. Bei den gestrigen Kommunalwahlen, bei denen relativ die meisten Wähler*innen gerne mal von ihren Gewohnheiten abweichen, weil sie zur Wahl stehende Personen persönlich kennen, haben über 15% derer, die überhaupt teilgenommen haben (57% werden bejubelt), ein Kreuz bei der AfD gemacht. Dass es so viele Nazis unter uns gibt, hatte ich mir schon als Jugendlicher in den 70ern gedacht – und nicht nur ich. 1969 war die NPD nur knapp am Einzug in den Bundestag gescheitert. Ein entsprechendes Weltbild hatten schon damals weit mehr Leute. Nur gingen sie damals nicht wählen, weil sie glaubten, das habe sowieso keinen erreichbaren Zweck. Das ist seit einigen Jahren ganz anders. Und dazu haben die meisten demokratischen Parteien kräftig beigetragen.

Seit gestern ist das in NRW nun erneut dokumentiert. 15 AfD-Prozente sind noch glimpflich angesichts bundesweiter Umfragen mit angeblich über 25%. Noch glimpflicher sind die 6% in Bonn.

Die Forsa-Umfrage letzte Woche war nicht besonders präzise in den Zahlen, hat aber die wichtigsten Tendenzen bereits spüren lassen. OB Dörner (33,2%) kann den CDU-Deus (38,8%) in zwei Wochen noch abfangen, wie es ihr schon vor fünf Jahren mit dem weit sympathischeren Sridharan gelungen war. Überall, wo die beiden öffentlich zusammentreffen, wird sie Sympathiesiegerin sein – rhetorisch und persönlich. Deus muss also überall hin, wo sie nicht sein kann, um sich eine absolute Mehrheit zusammenzumobilisieren. So weit ich ihn kenne, kann der das nicht. Aber nicht auszuschliessen ist natürlich, dass die Ratskoalition aus Grünen, SPD, Linken und Volt noch Verkehrsunfälle baut, die es ganz anders kommen lassen. Deus müsste also mit Spaltpilzen arbeiten. So wie der General-Anzeiger, der schon für “Schwarz-Grün” trommelt – ein durchdachtes Attentat auf Dörners Stichwahlmobilisierung. Aussichtslos ist das nicht. Aber Dörner ist mit dieser Gefahr bestens vertraut.

Die Bonner Grünen sind klarer, als sie vermutlich selbst glauben können, in Bonn an allen Bundes- und Landeskatastrophen vorbeigeschifft – nur -1,6%. Das darf sich die Oberbürgermeisterin, neben ihrem klar verbesserten eigenen Ergebnis im 1. Wahlgang (+ 6,5%), persönlich anrechnen lassen. Und alle bei den Grünen, die ihr das Leben nicht noch schwerer gemacht haben (jede*r OB – aller Parteien! – hat*te in Sekundenschnelle den meisten Stress mit der eigenen Fraktion). Es gibt nicht viele Grüne, die ihren Job in Lobby-Gegenwinden so gut schaffen, wie meine alte Freundin und Ex-Arbeitskollegin Katja.

Dass die rechten Hetzer*innen in unserer Stadt so wenig politisches Land sehen, hat auch was mit den starken Frauen in der hiesigen Kommunalpolitik zu tun, und ihrem Grundverständnis von politischer (Streit-)Kultur. Es gibt Männer, der CDU-OB-Kandidat gehört erkennbar dazu, die damit nur ganz, ganz schlecht klarkommen. Katja Dörner, Lara Mohn, Nicole Unterseh, Friederike Dietsch oder Coletta Manemann, Frauen, die nicht nur Politik verstehen, sondern auch die Menschen, für die sie sie machen, und mit ihnen zu reden wissen – die sollte mann nicht zur Feindin haben.

In Köln übrigens liegt die linke Grüne Berivan Aymaz überraschend klar vorn, mit fünf Prozent weniger als Dörner, aber mehr als 6 vor dem Sozialdemokraten Burmester. Köln kann nun in zwei Wochen eine Urabstimmung machen: Milliarden Steuergelder in U-Bahnen vergraben – oder für die Zukunft einer klimagerechten Stadt investieren.

Auch im Ruhrgebiet lief es auf den ersten Blick glimpflicher als befürchtet. In Essen liegt der offen schwule CDU-OB Kufen klar vorne (über 40). In Gelsenkirchen hat die AfD nicht alles abgeräumt, und wird in der Stichwahl gegen die SPD-Kandidatin unterliegen. In Bottrop, ebenfalls Emscherzone, wurde die AfD nur Dritte und verpasst die OB-Stichwahl. In Dortmund liegt die SPD immer noch vorne, aber mit so bescheidenen Werten (klar unter 30), dass Herbert Wehner sich wieder im Grabe umdrehen kann.

Fazit

Noch immer jotjejange? Nee, keineswegs. Eine realistische politische Bestandsaufnahme, die niemanden beruhigen kann. Die bürgerliche deutsche Demokratie bleibt in Gefahr, wie in allen wichtigen europäischen Ländern. Dass sie überlebt, ist unsicherer denn je. Und abhängig von intensiverer und mobilisierender Arbeit der Demokrat*inn*en für einen sozialen und klimaschützenden föderalen Staat. Wie es das Grundgesetz vorschreibt. Richterinnenwahl ist da noch die kleinste Aufgabe. Wer schon daran scheitert, sollte sich eine neue berufliche Herausforderung suchen.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger

Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    w.nissing

    Da lobe ich mir doch mein Köln, hier hat man ein deutliches Ergebnis hingelegt:
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Koeln_1945.jpg

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