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Verbrennerverbot

Stell Dir vor die Grünen regieren … und keiner merkt es

Die Grünen haben ein Problem. Obwohl sich die schwarz-rote Koalition über Kriegsdienstlotterie und Stadtbilder zerlegt, stagnieren sie auf dem Niveau der letzten Bundestagswahl. Vom Verlust der Koalition profitieren andere. Unübersehbar ist das Wahrnehmungsdefizit der Grünen.

Grünen-Vorsitzender Felix Banaszak hat dazu einen klugen Vorschlag. Grüne sollen „grüner werden“. Das Problem ist nur. Dafür reicht es nicht in der Bundestagsfraktion den „Herbst des Klimawiderstands“ auszurufen. Grün muss sichtbar Leitlinie von Regierungshandeln sein. Grün regieren aber findet seit dem Abgang von Robert Habeck nur noch in den Ländern statt.

Das Verbot nach 2035 keine Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren in Europa mehr zuzulassen, ist Herzstück des Green Deal der Europäischen Union. Zusammen mit den Flottengrenzwerte und dem Emissionshandel 2 wird die Grundlage für den Klimaschutz im Verkehr gelegt. Ohne Dekarbonisierung des Verkehrs wird Europa sein Ziel verfehlen, 2050 klimaneutral zu sein.

Dieses Herzstück europäischer Klimapolitik wollen die 16 Ministerpräsidenten Deutschlands nun aushebeln – so ihr einstimmiger Beschluss vom 24. Oktober. Der Beschluss geht weit über die Forderungen der FDP hinaus, die auf klimaneutralen Treibstoff setzte. Offensichtlich war den Ministerpräsidenten klar, dass diese Fahrzeuge nie kommen würden. Sie sind zu teuer. Deshalb wollen die 16 Landesfürsten nun fossile Range-Extender und Plug-in Hybride auch nach 2035 weiter zulassen. Letztere emittieren im Realbetrieb kaum weniger als einfache Verbrenner.

Von den 16 Ministerpräsidenten ist einer grün. Sechs weitere regieren in Koalitionen mit den Grünen. In keiner dieser Landesregierungen war Protest gegen die Revision europäischer Klimapolitik zu vernehmen. Schlimmer noch. Die Attacke auf das Verbrennerverbot war von einer sehr bunten Koalition unter aktiver Beteiligung von Grünen vorbereitet worden.

Es fing an mit einem Brief der Autoländer Baden-Württemberg (grün-schwarz), Bayern (schwarz-blau) und Niedersachsen (rot-grün). Womit klargestellt ist, dass es sich nicht um einen innergrünen Strömungsstreit geht. Die schwäbischen Reformer um Winfried Kretschmann zogen gemeinsam mit den Küstenlinken Julia Willi Hamburg und Christian Meyer gegen das klimapolitische Vermächtnis von Frans Timmermanns zu Felde.

Umso fataler sind die industriepolitischen Konsequenzen. Dass die Interessen von Mercedes und Porsche auch ohne Staatsbeteiligung die Interessen von Baden-Württemberg sind, geschenkt. Mercedes wie Porsche haben es trotz langen Vorlaufs nicht geschafft, die Flottengrenzwerte einzuhalten. Sie haben zu lange darauf gesetzt, weiter fette Verbrenner zu verkaufen. So hat Baden-Württemberg ein Problem.

Das aber gilt schon für BMW und Audi in Bayern nicht, die beachtlich in Elektromobilität investiert haben. Das Söder dabei war, hat weniger mit Industriepolitik zu tun. Ihm geht es um seinen antigrünen Kulturkampf. Für den muss mal die Wurst, mal der SUV herhalten. Gerade dies aber sollte für Grüne erst recht kein Grund sein, mit ihm gemeinsam Briefe zu schreiben. Es ist falsch, den Kakao zu schlabbern, durch den man gezogen wird.

Gänzlich bizarr aber ist die Beteiligung von Niedersachsen. Dem Land hören 20 Prozent von VW. Volkswagen lieferte in 2025 über 520.000 E-Autos aus. Seine Produkte dominieren die Verkaufslisten in Deutschland. Der ID.7 und der ID.3 belegen die Plätze 1 und 2. Europaweit hat Volkswagen Tesla bei Elektroautos auf Platz 2 verdrängt. Auf der letzten IAA wurden jene Fahrzeuge der unteren Mittelklasse vorgestellt, die viel zu lange auf dem Markt nicht angeboten wurden.

Auch bei Volkswagen ist der Hochlauf der E-Autos langsamer als wünschenswert. Das lag am fehlenden Angebot für Normalverbraucher – und am abrupten Ende der Förderung unter der Ampel. Nun korrigiert Volkswagen seine Modellpalette. Prompt fügt der eigene Shareholder dem Ampel-Marktchaos mit einer Debatte zum Aussetzen des Verbrennerverbots ein neues hinzu.

Die Autoindustrie in Europa befindet sich in einem existenziellen Wettlauf mit China. Dieser wird ausgetragen auf dem Feld der Elektromobilität. VW samt Audi und auch BMW sind in diesem Wettlauf gerade dabei, von der rechten auf die mittlere Spur zu wechseln. Geht es nach den von Grünen gestellten und gestützten Ministerpräsidenten sollen sie nun bremsen und rechts auf die Standspur fahren, damit Mercedes und Porsche aufholen können. Währenddessen rauschen auf der Überholspur die Chinesen vorbei.

Der Beschluss der Ministerpräsidenten ist ein Musterbeispiel urdeutschen Industrielobbyismus. Der Langsamste bestimmt das Tempo. Innovatoren werden ausgebremst. Statt den Nachzüglern zu helfen, werden die Frontrunner bestraft. Ihre Investitionen werden entwertet, in dem neue Verunsicherung in den Markt getragen wird. Wenn jetzt eine lange Debatte über die Aufweichung des Verbrennerverbots stattfindet, wird das den Absatz von E-Autos nicht befördern – im Gegenteil. Und dass mehr Chinesen und Scheichs dann Porsche und Mercedes kaufen, steht auch nicht zu erwarten.

Parallel zum Treffen der Ministerpräsidenten erhielten drei Wissenschaftler den nach Alfred Nobel benannten Preis für Wirtschaftswissenschaften, die zu Wachstum, Innovation und schöpferischer Zerstörung geforscht haben. Ihr Befund ist eindeutig. Technologische Innovationen sind bedeutende Wachstumstreiber. Wer Innovation bremst, verliert. Bremsen aber ist das Rezept der All-Parteien-Koalition der Ministerpräsidenten.

Sie haben nicht verstanden, dass sich die Märkte der Welt verändert haben. Autos werden künftig nicht mehr aus der Perspektive alter, weißer Männer verkauft. Der Typus Porsche-Poschardt ist ein aussterbender Kunde. Autokunden von heute wollen bequem an Ziel kommen und dabei noch in den sozialen Medien interagieren. Sie glauben an Technik und nicht daran, besser zu sein, als ihre Assistenzsysteme.

Die Laufzeitverlängerung für eine untergehende fossile Technologie ist nicht nur industriepolitisch dumm. Für Grüne ist sie klimapolitisch fatal. Neben allen Phrasen zur Elektromobilität beschreiben die Ministerpräsidenten in schöner Offenheit die Folgen:„zusätzlichen CO2-Ausstoß“ durch Hybride und Range Extender. Der soll durch Beimischungen und Einsparungen in der Wertschöpfungskette wie grünen Stahl und die Nutzung erneuerbarer Energien ausgeglichen werden.

Diese Maßnahmen aber hängen an einem funktionierenden Emissionshandel und dem Kohlenstoffgrenzausgleich CBAM. Zu diesem Thema hatten sich die Ministerpräsidenten auch zwei Referenten eingeladen. Den Chef des Verbandes der Chemischen Industrie und der IG BCE. Beide lobbyieren dafür, das seit zwanzig Jahren bestehende Herzstück des europäischen Klimaschutzes zu beseitigen – den Emissionshandel. Er war in Deutschland von rot-grün durchgesetzt worden.

Bevor die nächste Ministerpräsidentenkonferenz dem innovationsfeindlichen Industrielobbyismus beim Emissionshandel nachgibt, hätte ich einen Vorschlag für Grüne in Landesregierungen: Wie wäre es mit einem Beschluss, in dem Katherina Reiche aufgefordert wird, die Blockade bei den gescheiterten Ausschreibungen für Off-Shore-Wind aufzugeben? Da könnten sich doch McPomm (rot-rot), Schleswig-Holstein (schwarz-grün), Hamburg und Niedersachsen (rot-grün) und Bremen (rot-grün-rot) gut zusammenfinden. Denn hier drohen durch den Investitionsattentismus Tausende Arbeitsplätze verloren zu gehen.

Die Investitionsdelle beim Wind wird nicht nur die geforderten zusätzlichen Mengen erneuerbaren Strom verhindern. Es droht wie 2011 bei der Photovoltaik die Abwanderung einer ganzen Industrie nach China. Am Ende ist Europa vielleicht unabhängig von russischem Gas wie von US-Fracking, aber seine Technologie zur Stromerzeugung ist in chinesischer Hand. Eine Perspektive, die auch für die Autoindustrie droht, steht sie bei der E-Mobilität weiter auf der Bremse. Dem haben die Ministerpräsidenten unter grüner Zustimmung die Hand gereicht.

Stell Dir vor, Die Grünen regieren und keiner merkt es – kein gutes Rezept das grüne Wahrnehmungsdefizit zu überwinden.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog des Autors, mit seiner freundlichen Genehmigung.

Über Jürgen Trittin:

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Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    Martin Böttger

    Die Ministerpräsident*inn*en – “kompetent” wie in der Medienpolitik. Und billig.

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