Beueler-Extradienst

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Die Katastrophe – diesmal selbstgemacht?

Ein sehr schöner Besuch im afas Duisburg mit der Wundersamen Bahn CCXXXII

Das “Archiv für alternatives Schrifttum” (afas) in Duisburg feierte am Wochenende seinen 40. Geburtstag. Ich habe mitgefeiert. Und ich bin sehr glücklich, mit so wenig eigener Arbeit so erfolgreich dabei mitgeholfen zu haben. Das Archiv hat sich zu diesem Geburtstag eine aussergewöhnlich lesenswerte mit zahlreichen Abenteuern gefüllte Broschüre geschenkt, die ich auf der Homepage nicht finde, aber schon eifrig drin gelesen habe.

Meine eigene Leistung bestand nur darin, dass seine bewundernswerten Mitarbeiter*innen Dr. Jürgen Bacia, Miriam Bajorat, Bernd Barenberg, Anne Niezgodka und Claudia Spahn in den 90ern mein persönliches Archiv aus dem feuchten WG-Keller in Beuel-Süd abholten, und mir zum Dank auch noch eine Spendenquittung ausstellten. Seitdem habe ich über Medienberichte sporadisch von den in unserer Republik üblichen Finanzkrisen solcher Einrichtungen gehört, die in mir das Helfersyndrom dergestalt mobilisierten, dass ich in meinen Freund*inn*enkreisen immer wieder auf das Archiv hinwies. Viele dieser Freund*inn*e*n fuhren persönlich hin, überzeugten sich von der professionellen Arbeit der wenigen spärlich entlohnten Mitarbeiter*innen.

Alle hatten das Gefühl, dass ihre Dokumente ihres eigenen Lebenswerks hier in guten Händen sind.

Bei diesem Geburtstag bezeugten die Chef*innen des Bundesarchivs, des NRW-Landesarchivs, die Leiterin der Marburger Archivschule (inkl. mehrerer ihrer sehr netten Schüler*innen), sowie ein rhetorisch glänzender Vertreter der Stadt Duisburg ihren öffentlichen professionellen Respekt. Und, das ist finanzpolitisch relevant, das zuständige NRW-Landeskulturministerium ebenfalls: seit kurzem wird das afas “institutionell” gefördert. Dieser Bürokratenbegriff verspricht mehr Planungssicherheit und befreit von dem jährlichen Zittern vor landespolitischen Haushaltsberatungen.

Neuer “Vorlasser” ist mein alter Freund Michael Kleff, der diesen 40. Geburtstag zusammen mit Gattin Nora Guthrie zum Anlass nahm, seine “Michael Kleff Research Collection”, ein überwiegend radio- und musikjournalistisches Archiv, in die sicheren und immer zugänglichen Hände des afas zu geben. Und mich macht es glücklich, ähnlich wie zwischen dem afas und der deutschen Anti-Apartheid-Bewegung, solche fruchtbaren freundschaftlichen Kontakte anzustossen. Imgrunde habe ich immer nur Tipps und Kontaktdaten weitergereicht – die Arbeit machten Andere. Das freut mich dann immer besonders 😉

Und damit zur wundersamen Bahn

Die eigentliche Katastrophe, die tagelange Stilllegung des Kölner Hauptbahnhofes, war ja dieses Mal ausnahmsweise schon vorangekündigt. Der RE 5 kam aber aus Süden schon mit einer knappen halben Stunde Verspätung in Bonn an. Da kamen bis Duisburg nur noch 5 Minuten dazu. Das ist doch imgrunde pünktlich, oder? Dumm nur, dass er auch am Samstagnachmittag überfüllt war, ich bis Köln-Süd stehen musste, und damit ausgelastet war, nach meinem Herzinfarkt vor einem knappen halben Jahr nicht zu kollabieren. Während dieser Auslastung in räumlicher Enge wurde mir offenbar meine Brieftasche mit Bargeld und allen Karten (inkl. “Deutschlandticket”) aus meiner Jackentasche geklaut, was ich erst in Duisburg bemerkte (in Bonn Hbf. hatte ich noch Zeitungen barbezahlt). So ist für Beschäftigung an den nächsten Tagen gesorgt: Geldkarte gesperrt, Bargeld weg, Strafanzeige bei der “Bundespolizei” – da arbeiten auch sonntags drei echte Menschen in einem abgeranzten Büro an Gleis 1 – erstattet.

Die Rückreise am Sonntag aus Essen-Altenenssen war komplett erfolgreich. In Oberhausen Hbf. erreichte ich den RE5 mit freier Platzwahl. Alle die ab Duisburg einstiegen, mussten stehen. Die Langsamfahrt zwischen Düsseldorf Hbf. und Neuss Hbf. war offenbar im Fahrplan schon eingepreist. Ankunft in Bonn mit 20 min. Verspätung. Das ist in den heutigen Zuständen ebenfalls “pünktlich”.

Hätte ich mit meiner Brieftasche besser aufpassen müssen? Ja, wenn ich gesund wäre. Unter den beschriebenen Bedingungen kann eine Bahnreise nicht empfohlen werden. Sitzen können nur kleine radikale Minderheiten. Im Autostau – ich weiss – ist es auch nicht besser. Für mich wäre es unerträglich. Darum meine Konsequenz: jede Reise, die sich vermeiden lässt, vermeide ich. In Beuel ist es sowieso am schönsten.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger

4 Kommentare

  1. Avatar-Foto
    Holger Koslowski

    Lieber Martin, wie schön, dass Du diese wirklich unfassbaren Strapazen auf Dich genommen hast und uns von dieser Reise und dem wunderbaren Archiv berichten kannst. Deine Brieftasche ist zwar weg, deine glasklare politische Analysefähigkeit, finde gerade keine besseren Worte, aber nicht. Ich, der vermeintlich fitter ist, halte es genau wie Du mit der Bahn. Aufgrund der rücksichtslosen Fahrweise der meist männlichen Bonner Busfahrer, erstreckt sich meine ÖPNV-Diät auch auf diesen Strang. Halt bitte die Ohren steif und liefere weiterhin gestochen scharfe Texte hier ab. Solidarische Grüße

  2. Avatar-Foto
    Gilbert Kolonko

    Gut das du zu Hause angekommen bist!
    Leider ist deine Bahnfahrt inklusive Klau der Brieftasche das perfekte Beispiel, von dem was Deutschland bevorsteht und das wissen wir auch aus wissenschaftlichen Studien über Entwicklungsländer wie zum Beispiel Pakistan. Dort hat der Staat im Zuge der Globalisierung nahezu alles privatisiert. Dies half zwar dabei, das eine kleine Mittelschicht entstand, die dann für ausländische Konzerne und lokale Blutsauger arbeitet, aber der große Rest der Bevölkerung bleibt auf der Strecke.
    Indien geht einen ähnlichen Weg. Doch Medien zeigen uns eher die Erfolge: Die indische Börse boomt, ebenso der Verkauf von Autos – es entsteht eine Mittelklasse wie bei uns. Doch was kaum gezeigt wird, ist wie der Rest der Bevölkerung auf der Strecke bleibt und das selbst die aufstrebende Mittelklasse im Smog lebt und mit dem neu Wagen im Dauerstau steht. Der große Rest in Indien fährt weiter in überfüllten Zügen mit der indischen Bahn: Jedes Jahr tun das 8 Milliarden indische Fahrgäste.
    So wie du Martin stehend in einem überfüllten Zug, denn die wenigen Sitzplätze werden nach den Regeln des Kapitalismus verteilt: An den Stärksten.
    Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer: Wir wissen heute, dass es in quasi jedem Land immer Menschen gibt, die auch wissen, was gespielt wird und man kann sich Dank des Internets einfacher austauschen. Wir wissen auch, dass sich am Samstag die Ultras fast aller Fussball-Vereine in Leipzig getroffen haben, die gegen FIFA und UEFA und DFB genauso aufbegehren, wie Du, Küpperbusch und Co. gegen Blackrock und Nestle: Also gegen das System des Kapitalismus.
    Linke und Fussballfans passt genauso wenig zusammen, wie die „Todfeinde“ Dresden und Rostock: Doch die Fans und Ultras beider Lager standen am Samstag gemeinsam Seite an Seite für ein höheres Ziel demonstrierend auf der Straße.
    Ja, es sieht sehr mies aus, aber nicht hoffnungslos.
    Hoffe du hast dich mittlerweile wieder erholt und das du trotzdem wieder neue Ausflüge außerhalb von Beuel unternehmen wirst!
    P.S Verzeih, dass ich mal wieder versucht habe, zu viele Themen in zu wenig Zeilen unterzubringen. Aber versuchen aufzuzeigen, dass die Masse der Menschen fast alle in einem Boot sitzen, muß eines der Ziele für die nächsten Jahre sein, denn die Anzahl der Blasen in der wir leben ist heute viel, viel größer.

  3. Avatar-Foto
    Detlev knocke

    Also meine Rückfahrt vom afas Geburtstag – Duisburg Hbf nach Bonn Hbf dauerte über 3 Stunden – Verspätung knapp zwei Stunden. Dazu musste Mensch sich alle 10 Minuten anhören, dass der RE5 nicht weiterfahren könne, da — wahlweise ein Güterzug vorfahren würde, ein Signal auf rot stehe oder …. Als jahrzehntelanger Pendler stellt sich mir die Frage, warum
    Der DB Vorstand seine Aktienpaket nicht nach China oder wegen mir Japan verkauft, die können Bahn einfach besser. Vorstand und Aufsichtsrat der DB und der Privatbahnen sollten zusätzlich zur Kasse gebeten werden, wegen nachweislicher Unfähigkeit.
    Martin: Dir gute Besserung

    • Avatar-Foto
      Martin Böttger

      Dann habe ich wohl taktisch alles richtig gemacht. Kommt selten genug vor. Danke für die informative Ergänzung.

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