Mir wurde intern ein konspiratives Tondokument vom Deutschlandfunk zugespielt. Ganz offen wird gefordert, für die Alten, Kranken, Siechen und Greise – demnächst sogar die Babyboomer – den Digitalzwang abzuschaffen und zwar nur deshalb, weil diese gesellschaftlich schwierige Gruppe mit den „Digital Natives“ nicht gleichziehen kann – oder auch nicht will.
Ich habe mir persönlich einen dieser „Digital Natives“ extrahiert, um zu untersuchen, was dieses „Digital Native“ den Armen, Alten, Kranken, Siechen und Greisen voraus hat. Meine erste Frage war: „Wat hat du denn da?“ Was passiert? Keine Reaktion, nichts, nada.
Gut, ich muss wohl anders vorgehen und hole tief Luft und brülle so laut ich kann: „WAT HAT DU DENN DA?“ Und? Wieder nichts. Bevor ich das wiederhole, besehe ich mir das Objekt nochmals genauer und entdecke in den Ohren kleine weiße Stöpsel. Weil das Objekt (ich spreche jetzt lieber von Objekt, das muss ich nicht gendern) nur auf dieses flache Brikett starrt, greife ich mir für einen ersten Untersuchungsansatz die beiden Stöpsel gleichzeitig, ziehe dran und raus aus den Ohren. So weiß sind die gar nicht, denn an dem eingesteckten Teil sind sie gelblich verfärbt und es bröselt etwas ab, daraus folgere ich, sie müssen wohl schon länger drin stecken. Aber: Das Objekt zeigt wieder keine Reaktion, ich nehme allen meinen Mut zusammen und schreie wieder: „WAT HAT DU DENN DA?“ und das Objekt antwortet mir, „Alder, was schreist Du denn so?“
Ich bin irritiert und erkläre so freundlich ich kann, dass es, das Objekt, mich wohl sonst nicht hören würde. Sagt es: „Ich kann Dich sogar sehr gut hören, wenn ich meine Air-Pods nicht trage.“ und erklärt weiter, die Stöpsel haben Noise-Cancelling – da werden unerwünschte Geräusche durch Erzeugung eines entgegengesetzten Schallwellensignals fast vollständig eliminiert. Klugscheißer, denke ich…
Nun der nächste Kommunikationsversuch in Zimmerlautstärke „Wat hat du denn da?“ – wieder keine Reaktion, nichts, nada. Der Blick auf dieses smarte Brikett gerichtet, starr, unbeweglich – nur ab und zu ein leichtes, verzerrtes Grinsen. Immer wieder wischt der Daumen über das Brikett, immer und immer wieder, endlos. Ich schleiche mich herum und sehe, wie mit einer affenartigen Fixigkeit Bilder und kurze dümmliche Videos kurz auftauchen und noch bevor ein Ende des Clips zu erahnen ist, gleitet der Daumen des Objekts schwungvoll darüber, schiebt, weiter und weiter, immer weiter, ohne Ziel ohne Ende, einfach weiter. Ich muss Geduld haben und unter konrollierten Bedingungen das Verhalten untersuchen.
Nach rund vier Stunden unterbreche ich die Sitzung und zeige dem Objekt einen Pizzakarton, es muss schließlich was zu sich nehmen, sonst gefährde ich den Versuchsaufbau und das Objekt zeigt vielleicht gar keine Reaktionen mehr. Das wäre Verschwendung – anderseits gibt es genug von diesen Objekten, aber ich will nicht unmenschlich wirken, wedele also weiter mit dem Pizzakarton. Ein kurzes Nicken mit dem Kopf, der sonst unbeweglich scheint, deutet mir, ich soll beim Pizza-Blitz bestellen. Online ist das schnell erledigt, wird gleich von der Kreditkarte abgebucht.
Nach nur zehn Minuten wird geliefert, ich lege dem Objekt den geschlossenen Karton auf den Tisch. Es greift mit der linken Hand in den Karton und mit einer Eleganz, die ich sonst nur von Zauberkünstlerinnen im Zirkus kenne, rollt es die Pizza zusammen, eine mundgroße Röhre entsteht, die es ohne den Blick vom Brikett abzuwenden sich zuführt. So wie der Daumen unablässig gleitet verschwindet die Pizza in dem Objekt.
Dann, auf einmal eine Reaktion, ich halte es im ersten Moment für ein Bäuerchen, das sich den Weg in die Realität bahnt. Zum zweiten Mal schleiche ich herum, denn offensichtlich bewegt es den Daumen nicht mehr. Ein medizinischer Notfall? Ein schmerzhafte Verkrampfung der rechten Hand? Nein, das Objekt liest. Den Text in der grünen Blase kann ich nicht mehr erkennen, aber kurz bevor es die Antwort abschickt, lese ich noch „ich kann heute nicht kommen!“ und schwupss, ist der weg, der Text.
Kann ich mir denken, dass das Objekt seine Termine absagen muss, denn ich hatte es, um den Versuch zu reproduzieren, mit den Beinen am Stuhl fixieren müssen. Noch während das Objekt wieder mit dem Daumen über das Brikett gleitet, beginne ich dieses Experiment schriftlich zu dokumentieren. Die filmische Dokumentation dazu gleicht leider nur einem Foto.
Das Ergebnis dieses Versuchs werde ich mit weiteren Objekten unter gleichen Bedingungen fortführen, allein um auszuschließen, dass der Ansatz nur Vorurteilen folgt, die ich pflege. Die erste Sitzung läuft bereits zwei Tage, ich werde die Pizzakartons noch zählen müssen.
So viel steht schon fest: die Kommunikation dieses Objektes ist auf einen ausgesuchten Kreis beschränkt, kurze Phasen der Erhellung geben emotionale Höhen preis, Texte wie „reicht mir!“, „ruf mich später an“, „krasse Nummer“, „geiles Zeug“, „zeig es mal“ verlassen das Instrument in seinen Händen.
Eigentlich wollte ich etwas darüber schreiben, was Facebook mit Deinen Daten alles macht, aber das ist Quatsch. Die Alten, Kranken, Siechen und Greise werden es nicht verstehen, das gefesselte Objekt am Stuhl will es gar nicht wissen – es ist sowieso nicht zu ändern. Denkt es.
Wen es dennoch interessiert, der liest es bei Heise nach.
… ich glaub, ich mach das Objekt jetzt ab und beobachte, ob es sich eigenständig bewegt.

Und fertig ist ein neues Drehbuch für die “Kurzschluss”-Reihe mit Anke Engelke und Matthias Brandt 😉
https://www.ardmediathek.de/serie/kurzschluss-silvester-fuer-zwei/staffel-1/Y3JpZDovL3dkci5kZS9rdXJ6c2NobHVzc3NpbHZlc3RlcmZ1ZXJ6d2Vp/1
Tja, herzlichen Dank für die Blumen, ich könnte das noch lebhaft ausschmücken.
Ich hab noch viel mehr nicht realisierte Drehbücher – im Kopf. Braucht nur kein Mensch, leider.