Wieder eine Chance vertan?
Wenn die Welt untergeht, gehen Sie nach Bad Godesberg: da geht sie 20 Jahre später unter. So lange sind die reichen Diplomaten nun schon weg und nach Berlin abgehauen. Die Jugendlichen waren schon immer geflohen, weil die Schulen von Schickimicki-Jüngelchen dominiert wurden, die ihre Zeit bisweilen auf den Schössen unbefriedigter Lehrer zubringen mussten – und weil bei Sonnenuntergang immer die Bürgersteige hochgeklappt wurden.
Seitdem grübeln sie in Bad Godesberg, unter grossem Unverständnis in allen anderen Bonner Stadtteilen, wie es weitergehen soll. Ob die Welt nicht in Bad Godesberg sogar früher untergeht, als im Rest von Bonn? Nicht, dass es in diesem Gesamtbild von grosser Bedeutung wäre, aber eine kleine Chance zur Besserung wird gerade wieder verpasst.

Die Theorie der “Zwei Welten” von Bad Godesberg

Sie ordnet sich in die “Zwei-Welten”-Theorie zu Bad Godesberg ein. So hiess vor einigen Jahren mal ein in den bundesweiten Feuilletons abgefeiertes, vor Ort allerdings entschieden weniger beliebtes Theaterstück. Was dieses Stück (und sein Lobhudler im GA) stark vereinfachte, lasse ich ihm hiermit ebenso angedeihen: es gibt die alten reichen Rentner*innen, die beim Abhauen damals nicht mitgenommen wurden und sich heute verlassen fühlen. Und die migrantischen Jungen, die sich nicht ernstgenommen und integriert fühlen, und darum lieber ihr eigenes Ding machen; die Einen (klein-)kriminell, die Andern durch Gründung von Kleinunternehmen, die die Nachfrage ihrer Community befriedigen, wobei es zwischen Beiden auch Überschneidungen geben kann. Wichtig: die eine alte und die andere junge Gruppe reden nicht miteinander, leben zwar nebeneinander, kennen sich aber nicht – ganz wie in Strassenzügen von Berlin-Wedding oder -Neukölln.

Fußball als Chance

Fußball ist eine Sportart, die erwiesenermassen das Potenzial hat, solche Abgrenzungen zu überwinden. Es ist die Magie des Balles, die es in vielen Beinen zucken lässt. Fantastisch wie viele grundverschiedene Menschen diesen Reflex miteinander teilen.
In Deutschland war bisher Fußball-Winterpause. Die heimischen Medien versuchen die Lücke mit dem Weisse-Männer-Sport Handball zu füllen. Gleichzeitig findet in Arabien die Kontinental-Fußballmeisterschaft Asiens statt. Berichtet darüber wird kaum. Kein TV-Sender hat Verträge abgeschlossen. (Wie die den Sportjournalismus ruinieren, lesen Sie hier. – Ausnahme: Sport inside) Bad Godesberg hat Einwohner*innen aus zahlreichen AM-Teilnehmerländern. Und Gastronomien. Und es gibt einen ganzen Journalisten, nirgends fest angestellt, den das interessiert und der durch Bad Godesberg streift, um etwas davon zu sehen und uns darüber zu berichten. Glenn Jäger in der (Berliner!!) Jungen Welt.
Mal angenommen, Bad Godesberg hätte eine Gewerbegemeinschaft wie Beuel, in der alle wichtigen Unternehmen, egal aus welchem Land ihre Besitzer*innen stammen, zusammenarbeiten: hier wäre die Lücke gewesen: eine asiatische Winterfussball-Party, das erste Fan-Vorbereitungslager für die WM 2022 in Katar (die auch im Winter, im Dezember, stattfinden soll!).

Die Realität verschiedenster “Kulturen”: Missbrauch, Gewalt, Waffengeschäfte

Die deutschen Beziehungen zu diesem Sklavenhalterstaat sind immerhin schon so gut, dass “wir” Waffen dorthin liefern. Begleitende PR-Artikel über die gastgebende Nationalmannschaft erscheinen bereits in wichtigen deutschen Medien. Wenn das nur diese schlimmen Berichte über sexuellen Missbrauch nicht wären: nach den USA, Österreich, Bad Godesbergs Eliteschulen … jetzt auch Afghanistan (Journalist*innen*preise bitte an Alina Schwermer; Fußballerinnen-Ehrungen an die genannten Spielerinnen).
Es gäbe viel zum politischen, kulturellen und sportlichen Eingreifen. Ignorantes Desinteresse ist die schlechteste Handlungsoption.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net