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“Strangers in their own land”

von Alexandra Geese

Die amerikanische Soziologin Arlie Russel Hochschild hat mit „Strangers in their own land“ ein hochinteressantes Werk über die Rolle von Gefühlen in der heutigen US-amerikanischen Politik verfasst. Mit großer Empathie zeigt sie das Drama der Weißen in Louisiana auf, die in einem der ärmsten und am stärksten von der Umweltzerstörung durch die Ölkonzerne betroffenen Bundestaaten trotz aller Misere die Unternehmen um jeden Preis verteidigen und jede Form der Kontrolle durch die Regierung abschaffen wollen. Menschen, die aufgrund der Profitgier der Petrochemie ihre Häuser und Fischgründe verlieren oder an schweren Krankheiten erkranken, stellen dennoch den freien Markt über alles.

Selbst diejenigen, die sich selbst zeitweise nur mit Sozialhilfe über Wasser halten können, sprechen sich gegen staatliche Leistungen aus. Wie irrational kann Politik sein?Russel Hochschild blickt hinter die Fassade und sieht kluge, warmherzige Menschen auf der Suche nach Stolz und Würde. Ihre Erklärung der emotionalen Antriebskräfte findet Ausdruck in einem Bild: der Warteschlange, in die Menschen sich geduldig einreihen, um auf die Erfüllung ihres persönlichen American Dreams zu warten.

Die Schlange bewegt sich jedoch nicht (Wirtschaftskrise und stagnierende Realeinkommen der unteren und mittleren Einkommensklassen). Darüber hinaus drängeln sich ständig Personengruppen vor, die sich als Opfer darstellen. Schwarze, Frauen, Native Americans, Latinos, Schwule und Lesben… Harte Arbeit und eine klassische, vermeintlich moralisch richtige Lebensführung werden nicht mehr belohnt. Aber die Weißen Louisianas wollen keine Opfer sein und nicht um Aufmerksamkeit des Staates betteln. Sie wollen sich stolz fühlen und ihre Würde bewahren. Vielleicht gilt das auch für die Einwohner Sachsens?

Ob dieser Mechanismus sich auf Deutschland übertragen lässt, sei dahingestellt. Sicherlich sind die großen Fragen der Politik hierzulande andere als in den USA. Dennoch sind Gefühle in einer „postfaktischen“ Zeit eine Größe, der wir in Zukunft Rechnung tragen müssen. Denn selbst wenn sie sich einer faktenfreien Kommunikation bedienen, schaffen sie Fakten. Donald Trump lässt grüßen.

P.S. Der Titel des Buches passt jetzt auf die amerikanischen Liberals. Die Berkeley-Professorin Arlie Russel Hochschild hätte es sich sicherlich nicht träumen lassen, dass sie kurz nach der Veröffentlichung ihres Buches selbst zu den Fremden im eigenen Land gehören würde.

Über Gastautor:innen (*):

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3 Kommentare

  1. Michael Kleff

    “Gefühle” hin und her… Die Besprechung von Alexandra Geese greift vielleicht etwas zu kurz. Die Frage ist doch, warum Gefühle dazu führen, dass Menschen Politiker wählen, die objektiv gegen ihre Interessen handeln. Das wiederum hat in den USA auch etwas damit zu tun, dass das Bildungssystem katastrophal ist – so etwas wie Bürgerkunde, “civics”, ist aus dem Lehrplan gestrichen worden – und die Medienlandschaft sich geradezu unterirdisch darstellt. In einem Bahnhofskiosk einer mittleren Kleinstadt in Deutschland kriege ich immer noch mindestens ein halbes Dutzend verschiedener Tageszeitungen. Im Kennedy Airport in New York liegen gerade einmal die New York Times und USA Today aus. Und vielleicht noch eine Zeitschrift aus Los Angeles oder Chicago. In den weiten Landstrichen zwischen Ost- und Westküste herrscht dagegen gähnende Leere in Sachen Informationen und Nachrichten über das nationale, geschweige denn internationale Geschehen. Wenn man Glück hat, gibt es im örtlichen Kramladen ein lokales Anzeigenblättchen. Diese Lücke wird vom Mythos des amerikanischen Traums ausgefüllt. Es ist so eine Art “Soma-“Droge (siehe Aldous Huxleys Buch “Schöne neue Welt”) für die Armen, die von allen Politikern ausgegeben wird. Ein gutes Beispiel dafür ist Hillary Clintons Reaktion auf den Trump-Slogan “Make America great again”. Sie erklärte, dass sei gar nicht notwenig, da Amerika ja schon großartig sei. Wirklich? Brücken stürzen ein, Züge entgleisen, die Straßen sind in einem Zustand, die an die DDR-Autobahnen erinnern…. Arlie Russel Hochschild gehörte übrigens nicht erst seit der Wahl von Trump zu den Fremden im eigenen Land. Ich empfehle ihre eigenen Worte zum Buch. Hier nachzuhören: https://www.democracynow.org/2016/9/28/arlie_russell_hochschild_on_strangers_in

    • Alexandra Geese

      Hallo Michael, danke für den Kommentar und die Ergänzungen, das sehe ich ganz genauso. Allerdings stellt sich die Frage nach der Henne und dem Ei. Wie finanzieren sich unabhängige Medien, wenn Menschen einen tendenziösen Sender wie Fox News für die ultimative Wahrheit halten? Wie erhält man ein Bildungssystem, wenn Politiker wie Bobby Jindal in Louisisana gewählt werden, die enorme Summe aus Schulen und Universitäten abziehen, um sie den Unternehmen in den Rachen zu werfen? Wie Russell Hochschild in ihrem Buch schön aufzeigt, sind gerade die republikanischen Bundesstaaten ärmer und stärker von Umweltverschmutzung geplagt. Sind sie nun republikanisch, weil sie arm sind, oder sind sie arm, weil sie republikanisch sind? Aber genau dort, wo die Menschen am stärksten von einem starken Staat (im Sinne von Umweltschutz, Sozialleistungen, Bildung) profitieren würden, sind sie am stärksten dagegen. Ein Teufelskreislauf. Da muss man auch auf die irrationalen Faktoren blicken, die diese Menschen dazu bewegen, so massiv gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. So findet man durchaus Parallelen zu Europa. Der verletzte Stolz des weißen Mannes…

  2. Holger Koslowski

    Hochinteressant. Danke für die Rezension Alexandra. Nur ein Gedanke zum Thema Würde und Stolz: Die Parallele erfahren wir in Europa vielleicht in der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen. Auch hier gibt es ein Unbehagen der Unfreiheit. Wer will schon zu einem ‘Angestellten der BRD GmbH’ werden?

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