von Annette Leo / Berliner Zeitung
Der endlose Streit um das Ernst-Thälmann-Denkmal
Der 50-Tonnen-Koloss war schon vor seiner Errichtung umstritten. Nach der Wende verschärften sich die Diskussionen. Die Historikerin Annette Leo zieht Bilanz.
Am Nachmittag des 18. November 2021 fand vor dem monumentalen bronzenen Kopf von Ernst Thälmann in dem nach ihm benannten Park in Prenzlauer Berg eine Einweihung besonderer Art statt. Auf den einstigen Aufmarschplatz wurden fünf rötliche Betonquader gesetzt, in lockerer Anordnung und bedeutend kleiner als der Sockel des Denkmals, doch ihm maßstäblich nachgebildet. Sie stellen den sichtbaren Teil der lange angekündigten, viel diskutierten künstlerischen Kommentierung des Thälmann-Denkmals dar.
Vielleicht schaffen es die Betonklötze, den gepflasterten, kahlen Platz, der sich des nachts eher in einen Un-Ort verwandelt, ein wenig zu beleben, vielleicht werden sie von Besuchern und Anwohnern als Tische, Sitzmöbel oder gar Kletterobjekte genutzt. Ihr wesentlicher Sinn offenbart sich in den Schriftzügen an den Seiten und vor allem in den lasergravierten QR-Codes, mit deren Hilfe insgesamt zehn kurze Filme abgerufen werden können.
Die Siegerin des künstlerischen Wettbewerbs, Betina Kuntzsch, präsentiert darin zehn subjektive Perspektiven auf Denkmal, Wohnbauten und Park, auf Geschichte, Vorgeschichte und Gegenwart des Ortes. Mit dieser ambitionierten Aktion möchte der Bezirk Pankow mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR dazu anregen, das „aus der Zeit gefallene Monument“, wie es häufig bezeichnet wird, anders wahrzunehmen, nach Hintergründen und Zusammenhängen seiner Entstehung zu fragen und es auf neue Weise ins öffentliche Bewusstsein zu holen.
Eine kleine gemischte Gesellschaft hatte sich zur Einweihung auf dem Platz versammelt: Anwohner, Jugendliche mit Skateboard unter dem Arm, Mitglieder der Wettbewerbsjury und Abgeordnete der Pankower Bezirksverordnetenversammlung. Besonders auffällig eine Gruppe von Männern und Frauen, die große rote Fahnen mit dem Hammer-und-Sichel-Zeichen trugen und mit erhobenen Fäusten vor dem Denkmal posierten. Sie waren gekommen, um ihr Idol gegen jeglichen Angriff zu verteidigen.
1993 war der Abriss beschlossen
Die feierliche Einweihung von Denkmal und Park am 15. April 1986 war ein großer Staatsakt gewesen. Der monumentale Koloss sollte nach dem Willen seines Schöpfers, des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel, und seiner Auftraggeber im Politbüro der SED von der Macht der führenden Partei und dem unaufhaltsamen Sieg des Sozialismus künden. Dreieinhalb Jahre später bereits war diese Botschaft für alle offenkundig verbraucht und verwelkt. Die Fahnen waren von den Masten geholt, die Scheinwerfer, die das Areal während der Nächte erleuchtet hatten, ebenso abgeschaltet wie die Überwachungskameras. Der Platz, auf dem keine Kundgebungen mehr stattfanden, lag verwaist.
Sprayer eroberten das Terrain und überzogen den Sockel mit immer neuen Farbschichten, Bildern und Zeichen. Anwohner hörten nächtliche Musik, sahen am Morgen zurückgelassene Bierflaschen. Viele von ihnen mieden den Ort in der Dunkelheit.
Dank seines enormen Gewichts von 50 Tonnen überstand der Bronze-Kopf die Phase der Bilderstürmerei in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre. 1993 hatte der Berliner Senat zwar den Abriss beschlossen, das Vorhaben wurde jedoch wegen der veranschlagten hohen Kosten niemals umgesetzt. So blieb das Thälmann-Denkmal einfach stehen – der Kopf und die kämpferisch gereckte Faust vor dem Hintergrund einer für immer erstarrten Fahne. Für einige das Symbol der untergegangenen Diktatur, für andere ein Zeugnis unserer Geschichte, das bewahrt werden sollte.
Vielen Anwohnern des Parks und zufällig Vorübergehenden dürfte der Bronze-Kopf eher gleichgültig sein. In dem Maße, in dem die Bäume und Büsche ringsum in die Höhe wuchsen, geriet er aus dem Blick und in Vergessenheit. Vermutlich sahen nur wenige vor allem der Älteren in ihm noch ein Zeichen der Erinnerung an den 1944 von den Nationalsozialisten ermordeten KPD-Vorsitzenden.
Der Streit um das Denkmal hatte bereits vor seiner Errichtung begonnen. Mit der Stilllegung des Gaswerks, das viele Jahrzehnte die Energie für den Stadtbezirk geliefert und dabei mit seinen Emissionen das Wohnumfeld und die Luft nachhaltig belastet hatte, wurde 1981 der Weg frei für ein langgehegtes Vorhaben, an dieser Stelle einen großen Wohnpark anzulegen, in dessen Zentrum der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann geehrt werden sollte. Es existierte sogar schon ein bemerkenswert moderner Entwurf des Bildhauers Klaus Schwabe, der vom DDR-Künstlerverband (VBK) favorisiert wurde: Eine begehbare, nichtfigürliche Plastik, in der sich die Menschen in Spiegeln selbst verorten konnten. Ursprünglich für den Platz vor dem Palast der Republik vorgesehen, bekam dieser Vorschlag nun eine neue Aktualität.
Erich Honecker und der Berliner Generalbaudirektor Erhardt Gißke jedoch schoben das Votum des Verbandes Bildender Künstler beiseite und übergingen ebenso die normalerweise an solchen Verfahren beteiligte Kommission „Kunst am Bau“. Sie entschieden sich für den sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel und dessen antiquierte Formensprache einer monumentalen Plastik. Die Vertreter des VBK protestierten vergeblich. Ebenso vergeblich blieben wenig später die Proteste aus unterschiedlichen Teilen der Berliner Stadtgesellschaft gegen die Sprengung der eindrucksvollen Gasometer, die ursprünglich als Wahrzeichen des Stadtbezirks erhalten werden sollten.
Das letzte Prestige-Projekt der DDR
Der Thälmann-Park war das letzte große Prestige-Projekt der DDR, das von Beginn an voll von Widersprüchen und Ambivalenzen steckte. So wie das eindrucksvoll gestaltete Ensemble moderner Wohnbauten mit dem anachronistisch anmutenden Heldenmonument in seinem Zentrum kontrastierte, passte auch das diktatorische Eingreifen der Staatsmacht nicht mehr zu den hörbaren und sichtbaren Forderungen der Bürger nach Teilhabe und Mitbestimmung. Nach Willen der SED-Führung sollten an diesem Ort noch einmal in einem großen Kraftakt Vergangenheit und Gegenwart zu einem Anspruch auf die Zukunft verbunden werden – eine Zukunft, die nicht mehr stattfand, wobei die Flugblätter, Plakate, Foto-Aktionen und Protestschreiben gegen den Abriss der Gasometer bereits als Vorboten der Demonstrationen im Herbst 1989 verstanden werden können.
Bisher war in diesem Text kaum von Ernst Thälmann die Rede, dem Mann, nach dem der Park und auch die nahe gelegene S-Bahnstation benannt wurden. Thälmann war eine zentrale Figur der DDR-Erinnerungspolitik. Auf ihn berief sich die SED-Führung, um ihren Anspruch auf die führende Rolle in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu legitimieren. In dieser Eigenschaft diente der Vorsitzende der KPD im Verlauf der Jahre als Projektionsfläche für verschiedene Hoffnungen, Erwartungen und Botschaften.
Mit seiner abgeschabten Lederjacke, der Schiffermütze und der erhobenen Faust hatte sich Thälmann bereits zu Lebzeiten gern als „Mann aus dem Volk“ stilisiert. Auch in der DDR galt er als Garant für die vielbeschworene Arbeiter-Politik der SED. In der nach ihm benannten Pionierorganisation sollten die Kinder geloben, seinem Vorbild nachzueifern. „Teddy“, wie er bisweilen kumpelhaft genannt wurde, galt als der Held des gescheiterten Hamburger Aufstands von 1923, er gründete später den Roten Frontkämpferbund, was ihm eine wichtige Funktion bei der vormilitärischen Erziehung der Jugend in der DDR bescherte.
Seine jahrelange Haft und sein Tod vor dem Krematorium des KZ Buchenwald machten aus ihm die Symbolfigur für den antifaschistischen Gründungsmythos der DDR. Im Rahmen der DDR-Politik der 1950er-Jahre galt er als Vorkämpfer für die Einheit Deutschlands. In den 1980er-Jahren – nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Errichtung des Wohngebiets im Thälmann-Park – mutierte der KPD-Führer schließlich auch noch zum geistigen Vater des Wohnungsbauprogramms der DDR.
Das Bild eines glatten, übermenschlich großen Helden, der in der von Kerbel geschaffenen Skulptur seinen letzten Ausdruck fand, blieb bis zum Ende der DDR öffentlich unwidersprochen – weil es bis zu diesem Zeitpunkt keine Öffentlichkeit gab. Tatsächlich begann die Debatte um die Neubewertung von Thälmanns historischer Rolle und um seinen Platz im Geschichtsverständnis einer in Aufruhr und Veränderung befindlichen Gesellschaft erst 1990/91. Der Zeit ungeahnter Möglichkeiten und großer Unsicherheiten. Straßen und Schulen wurden umbenannt, Gedenktafeln abgeschraubt, Ausstellungen geschlossen, Denkmäler von Sockeln entfernt.
Während viele Menschen danach strebten, die überall präsenten Symbole und Zeichen des untergegangenen Regimes möglichst schnell loszuwerden, wollten andere eigensinnig daran festhalten, wiederum andere hielten eine Auseinandersetzung mit den Zeugnissen unserer jüngeren Vergangenheit für notwendig. Die Archive, in denen die gut gehüteten Geheimnisse aus dieser Zeit lagerten, standen endlich allen Interessierten offen. Meine Kollegin Regina Scheer und ich blätterten uns damals dort durch viele der Ernst Thälmann betreffenden Akten.
Ein differenziertes Bild von Thälmann
Nicht völlig überraschend, aber doch in diesem Ausmaß nicht erwartet, wies das Bild, das diese Dokumente von der Person Thälmann und seiner Rolle in der KPD zeichneten, nur entfernte Ähnlichkeit mit der in der DDR propagierten weisen, gütigen Führerfigur auf. Thälmann trat daraus als ein Mensch entgegen, der zwar von einem starkem Machtbewusstsein getrieben war, jedoch mit der politischen Verantwortung an der Spitze der Kommunistischen Partei heillos überfordert schien. Indem er und seine Anhänger getreulich alle Anweisungen aus Moskau umsetzten und etwa seit 1929 die Sozialdemokratie zum Hauptfeind erklärten, trugen sie mit dazu bei, die Weimarer Demokratie zu destabilisieren und den Nationalsozialisten den Weg an die Schalthebel der Macht zu bahnen.
Auch die Deckung einer Unterschlagungs-Affäre um seinen Kumpel John Wittdorf, die Thälmann beinahe den Parteivorsitz gekostet hätte, gehörte zu den Tabus der SED-Geschichtsschreibung. Es stellte sich überdies heraus, dass der „Held“ des Hamburger Aufstands von 1923 in Wirklichkeit Hans Kippenberger hieß. Der Name des späteren Leiters des KPD-Geheimapparates, der 1937 in Moskau erschossen wurde, kam in der DDR-Geschichtsschreibung nicht vor. In Filmen und Büchern wurde seine Rolle stattdessen Thälmann zugeschrieben.
1993 veranstaltete der Verein Aktives Museum zusammen mit dem Bezirk Prenzlauer Berg in unmittelbarer Nähe des Denkmals in der „Wabe“ einen zweitägigen Workshop, mit dem Ziel, anstelle einer raschen Entsorgung die Auseinandersetzung mit dem Denkmal und der historischen Person anzustoßen. Ich erinnere mich nicht mehr, ob der Abriss zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen war oder ob wir meinten, er könne noch aufgehalten werden.
21 Jahre später erfolgte der Eintrag des gesamten Areals einschließlich des Thälmann-Kopfes in die Denkmalliste. In der Zwischenzeit hat sich die Gesellschaft verändert. Es gibt Anzeichen, dass sie sich mittlerweile einen nachdenklicheren und behutsamere Umgang mit den Zeugnissen der Vergangenheit zutraut. In der Wabe schließt der Kreis sich: 2018 fand dort ein Kolloquium zur Vorbereitung des Wettbewerbs zur künstlerischen Kommentierung der Skulptur statt. Drei Jahre später präsentierte die Wettbewerbssiegerin an diesem Ort ihre Filme, die jetzt auf den Sockeln abrufbar sind und bald auch auf andere Weise zugänglich sein werden.
Als eine Kommission aus vier Expert*innen, zu denen auch ich gehörte, Empfehlungen für eine das künstlerische Projekt begleitende historisch-kritische Kommentierung von Denkmal, Park und Wohngebiet erarbeitete, brachen einige Konflikte der 1990er-Jahre unerwartet wieder auf. Der Vertreter des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB) in unserer Gruppe verweigerte zunächst seine Unterschrift unter das gemeinsam erarbeitete Papier. Er war über einen Satz gestolpert, in dem sinngemäß stand, der KPD-Vorsitzende sei nicht nur eine ungeliebte Propagandafigur gewesen, sondern auch von Menschen verehrt worden, die ihre Hoffnungen auf einen besseren Sozialismus auf ihn projizierten.
Ein Kompromiss konnte schließlich ausgehandelt werden, in dem die Widersprüche und Ambivalenzen, mit denen wir es bei diesem Thema zu tun haben, doch sichtbar blieben. Die Auseinandersetzung um das Denkmal ist damit nicht beendet. Vielleicht beginnt gerade eine neue Phase – in der es nicht mehr nur um schwarz oder weiß, um Thälmann nur als Helden oder nur als Schurken gehen wird.
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