„Wir werden die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um Guthaben auf verwaisten Konten zur Förderung des Gemeinwohls nutzen zu können.“ So steht es auf Seite 30 des Koalitionsvertrages der Ampelparteien. Einzelheiten zu den Fragen, um welchen Betrag es sich handeln könnte, wie die verwaisten Konten ermittelt werden sollen, welche Verwen­dungszwecke gemeint sind und welchen Einfluss der Staat nehmen will, findet man nicht.

So geht es, wenn man in einer Ampelkoalition dem kleinsten Partner, der FDP, die Verant­wortung für die Staatsfinanzen überlässt: Keine Steuererhöhungen, Wiederaufleben der Schuldenbremse, keine Vermögenssteuer. Da muss man sehen, wie man Geld zusamm­en bekommt. Der erste Sündenfall ist bereits aktenkundig. Finanzminister Lindner verwen­det Kreditermächtigungen von 60 Mrd. €, die zur Linderung von Folgen der Corona-Pan­demie bewilligt wurden, nunmehr für einen Energie- und Klimafonds. Inhaltlich durchaus positiv, rechtlich fragwürdig. Die Op­position hat eine Verfassungsklage angekündigt.

Angesichts der russischen Bedrohung hat die Koalition jetzt einen kreditfinanzierten 100-Milliarden-Fonds für Rüstungsgüter angekündigt, der als Sondervermögen deklariert wird, also als Nebenhaushalt, und damit offiziell nicht der Schuldenbremse unterliegt. Da­für muss das Grundgesetz geändert und damit ein anderer Grundgesetzartikel (die Schul­denbremse) ausgehebelt werden. Diesmal macht die Opposition mit. Künftig haben wir also einen „Waffenfonds“ im Grundgesetz. Der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie wird pauschal ein Riesenbetrag bewilligt, und sie werden schon dafür sorgen, dass das Geld auch ausgegeben wird.

Solche Konstruktionen können die Schuldenbremse unwirksam machen. Kann man dann nicht auch weitere Nebenhaushalte schaffen, z.B. für Wohnungsbau, Ge­sundheitswesen, Digitalisierung oder Bildung? Wäre es nicht redlicher, wie damals bei der Corona-Pande­mie eine Notsituation festzustellen und eine Aus­nahme von der Schuldenbremse zu be­schließen? Dann wäre keine Grundgesetzänderung nötig. – Im Übrigen stimmt die Aussa­ge des Kanzlers nicht, dass der Bundeshaushalt durch den Rüstungsfonds nicht berührt wäre. Seine Verzinsung und Tilgung müssen doch wohl daraus finanziert werden (Finanz­minister Lindner geht von einer Zehn-Jahre-Laufzeit des Fonds aus).

Angesichts solcher Engpässe bemüht sich die Bundesregierung dann auch um Geld, das ihr gar nicht gehört und zum Beispiel auf verwaisten Konten liegt. Allerdings soll das Geld nicht formlos in den Bundeshaushalt flie­ßen, sondern für Zwecke des Gemeinwohls ver­wendet werden. Irgendwie wird dabei ge­wiss die Öffentliche Hand entlastet. Allerdings kommt der Plan zur Nutzung verwaister Konten nicht ganz überraschend. Die Koalition greift mit ihrer Ankündigung Anfragen, An­regungen und Anliegen auf, die schon seit einiger Zeit vorliegen:

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans forderte schon 2016 ein öffentliches Register, in dem Banken und Sparkassen nachrichtenlose Konten und Depots melden müssen, auch die Grünen erhoben ähnliche Forderungen. Der Niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers brachte 2020 eine Gesetzesinitiative im Bundesrat ein, um Erben die Recherche nachrichtenloser Konten zu erleichtern. Solche „nachrichtenlo­sen Vermögen“ entstehen vor allem, wenn eine Person stirbt, deren Erben nichts von der Existenz des Vermögens wissen und die Bank des Verstorbenen nicht die Erben kennt.

Im Oktober 2019 brachten die Grünen im Bundestag eine umfangreiche Anfrage mit 23 Unterpunkten ein, in der sie nach verwaisten Konten fragten, nach der Rechtslage und nach der Möglichkeit der Verwendung der Guthaben in einer Förderbank. Die Antworten zeigen, dass es weder konkrete Daten über die Zahl der Konten und die Höhe der ver­waisten Gelder noch über den Umfang eingezogener Gelder oder Zahlungen nach Ablauf der 30-Jahre-Frist gibt.

Die Rechtslage sei unklar, einseitige Kontenauflösungen seien allerdings unzulässig. Die Effektivität der bankenseitigen Nachforschungen wird von der Regierung als hinreichend betrachtet, gesetzliche Regelungen seien daher nicht beabsichtigt. Bei technischen Lösun­gen seien zudem datenschutzrechtliche Belange zu beachten. Mit dem Thema einer ge­meinnützigen Verwendung verwaister Gelder hatte sich die Regierung bis dahin noch nicht befasst.

Im Oktober 2020 gab die Bundesregierung eine Studie in Auftrag, die eine rechtliche Defi­nition erarbeiten und die Höhe nachrichtenlosen Vermögens in Deutschland schätzen soll. Zudem sollen Fragen zur Schaffung eines Melderegisters geklärt werden. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine sogenannte Kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervor, die sich auf Schätzungen von zwei bis neun Milliarden Euro bezieht, die verwaist bei deutschen Banken lägen. Allein die Sparkasse Dortmund verfügte im September 2019 über 4,7 Millionen Euro auf 247.000 nachrichtenlosen Konten. Nach Ansicht der Fragestel­lenden sollten mit diesen Mitteln Start-ups und insbesondere auch soziale Entre­preneure finanziert werden.

Seit Januar 2021 liegt zudem eine Petition vor, die von der Bundesregierung eine gesetzli­che Definition fordert, was ein nachrichtenloses (herrenloses) Konto ist, eine Pflicht der Banken, die Öffentlichkeit über die Zahl dieser Konten und die Vermögenshöhe zu infor­mieren, und eine Pflicht der Banken, dieses Geld nach einer Frist an den Staat oder eine gemeinnützige Stiftung zugunsten von Bildungs-, Kunst-, oder Kultureinrichtungen auszu­zahlen.

Die Kreditinstitute sprechen von nachrichtenlosen Konten, wenn seit mindestens 30 Jah­ren keinerlei Kontakt mehr besteht und es ebenso lange keine Umsätze mehr gab. Beim Sparbuch gilt die Sonderregel “Wer es hat, darf es nutzen.” Wer es besitzt, hat Anspruch auf das Geld, unabhängig davon, ob er der rechtmäßige Erbe ist. Bei einem Girokonto hin­gegen muss das Testament des Verstorbenen der Bank vorgelegt werden. Hat nach Ab­lauf von 30 Jahren noch niemand Anspruch auf das Konto erhoben, dürfen die Banken das Geld vereinnahmen. Das Geld auf dem verwaisten Konto muss aus bilanzrechtlichen Gründen von dem Kreditinstitut als Gewinn verbucht und versteuert werden. Jedoch muss die Bank das Geld auch danach noch auszahlen, sollten sich die Erben unter Vorlage ei­ner Berechtigung melden.

Vermutlich sind die Bemühungen der Banken, die Erben ausfindig zu machen, angesichts der Rechtslage eher zurückhaltend. So wird berichtet, dass manche Banken schon Anfra­gen beim Einwohnermeldeamt oder die Nutzung der Umzugsdatenbank der Post als aus­reichende Recherche ansehen. Somit fällt die Aufgabe, das richtige Konto ausfindig zu ma­chen, meist den Erben zu.

Immerhin müssen Suchende nicht alle Geldinstitute einzeln an­schreiben, sondern können sich an die Dachverbände der Banken und Kreditinstitute wen­den. Diese forschen dann bei ihren Mitgliedern nach, wenn Erben ihre Erbberechti­gung nachweisen und eine Kopie des Erbscheins oder Testa­ments einreichen. Nicht im­mer ist das Verfahren kostenlos. Al­lein 2020 gingen 1.700 Nachforschungsanträge ein, über die Erfolgsquote ist nichts be­kannt. Finden die Erben verwaiste Konten, so müssen die Guthaben ausgezahlt werden, unabhängig vom Zeit­punkt der letzten Kontobewegung.

Dazu ein Rückblick: In der Zeit des Nationalsozialismus hatten etliche Juden ihr Vermö­gen bei Schweizer Banken deponiert. Viele wurden im Holocaust getötet, so entstanden nach­richtenlose Konten, über die die Schweizer Banken stillschweigend verfügten. Etwai­gen Erben fehlten Dokumente, um ihre Ansprüche zu beweisen. Erst 1996 begann in den USA eine vom Jüdischen Weltkongress ausgelöste Diskussion um diese Gelder. Die Ban­ken weigerten sich zunächst, auf Erstattungsansprüche einzugehen. Politischer Druck, Ge­richtsverfahren und Boykottdrohungen bewirkten eine Meinungsänderung. 4,1 Mio. Konten wurden untersucht, 1,25 Mrd. $ wurden an Holocaust-Überlebende gezahlt. Wis­senschaftliche Studien ergaben, dass insgesamt von einem jüdischen Vermögen in der Schweiz von 12 Mrd. $ auszugehen war. 6)

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.