Beim Bonner Datenschutz

Martin Böttger, der Herausgeber dieses Online-Mediums, hat neulich die kühne Behauptung aufgestellt, ich würde mit meinen Anfragen an alle möglichen Ämter und Mandatsinhaber “eine recht bescheidene Beliebtheit generieren”. Martin Böttger ist ja unbestreitbar ein kluger Analytiker. Das könnte stimmen. Nehmen wir zum Beispiel den Bonner Datenschutzbeauftragten, laut seinem Briefbogen ein Mann namens “Herr Schell”. Mit dem verbindet mich ein inzwischen einige Monate andauernder Email-Austausch. Ergänzt mit – seitens des Datenschützers richtigen Briefen. Doch so eine richtige Freundschaft scheint daraus nicht zu erwachsen. Vielleicht habe ich auch ihn – mit meinen Fragen ganz leicht, also nur so ein bisschen genervt.

Der Anlass war eher lapidar, es ging um die Frage, ob die Stadt – so wie in früheren Jahren stets praktiziert – für die Einladungen zum jährlichen Adventscafe für ältere Mitmenschen die Adressen der Senioren, also über 65 jährigen Einwohner von Bonn-Oberkassel herausgeben darf – oder nicht.

Keine Adressen – kein Kuchen

Eher nicht, meinte der Datenschutzbeauftragte und stützte sich dabei auf die etwas spezielle Bonner Auslegung der nun europaweit gültigen Datenschutzgrundverordnung. Also erfolgte die Einladung im Herbst letzten Jahres nicht mehr per Brief, sondern mangels Adressen über Hinweise in einem theoretisch an alle Haushalte des Stadtteils verteilten Blättchen. Doch solche Druckerzeugnisse finden nicht immer den Weg zur LeserIn. Folglich waren nicht alle älteren Menschen über die Einladung zu Kaffee, Kuchen und liebevoll arrangiertem Programm informiert.

Viele Stühle blieben leer.

Angesichts des Arbeitsaufwands für die Veranstalter war dieser “Fall” etwas, womit ich mich gerne weiter befasse. Ich wollte von der Stadt wissen, wieso die Senioren nicht – wie früher auch – über die Einwohnermeldedaten erfaßt und eingeladen werden durften. “Datenschutz” lautete die Auskunft. Also habe mich bei verschiedenen Datenschützern darüber informiert, was geht und was nicht.

Kein “öffentliches Interesse”

Der in Bonn verantwortliche Mensch erklärte mir, das ginge nicht. Beim Landesdatenschutzbeauftragten erhielt ich den Hinwies auf § 46 des Bundesmeldegesetzes. Denn dort heißt es direkt unter Punkt 1: “Eine Melderegisterauskunft über eine Vielzahl nicht namentlich bezeichneter Personen (Gruppenauskunft) darf nur erteilt werden, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt.” Während meiner Auffassung nach bei der Unterstützung des Zusammenhalts der Bewohner eines Ortsteils ein solches “öffentliche Interesse” vorliegt, sah Bonns Datenschützer das anders und teilte mir mit:

„Ein öffentliches Interesse liegt vor, wenn der Zweck der Anfrage über die Belange einer Person oder einer Gruppe hinausgeht und im Interesse der Allgemeinheit liegt. Außerdem muss es sich um ein innerstaatliches öffentliches Interesse handeln. Im öffentlichen Interesse können beispielsweise Untersuchungen oder Tätigkeiten der Forschung und Wissenschaft sowie Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge liegen. Die genannten Beispiele (Forschung, Wissenschaft, Gesundheitsvorsorge) verdeutlichen, dass der Gesetzgeber mit öffentlichem Interesse etwas anderes meint als z.B. die Einladungen zu Vereins-Weihnachtsfeiern. Dies sehen im Übrigen auch andere Städte in NRW genauso.”

Auch wenn andere Städte das genau so machen, fand ich diese Ignoranz den BürgerInnen gegenüber nach wie vor nicht in Ordnung. Ich fragte den erfahrenen Datenschützer, früher u.a. Datenschutzbeauftragter für Schleswig-Holstein, Dr. Thilo Weichert. Der ist heute noch aktiv im Rahmen des in Bonn beheimateten “Netzwerk Datenschutzexpertise”.

Weichert unterstützte meine Position: “Natürlich liegt die von Ihnen geplante Adress-Nutzung im ‘öffentlichen Interesse’ i.S.v. § 46 BMG…” In seiner Antwort ist auch die Rede von “menschabgewandter Bürokratie”.

Moralisch solcherart aufgerüstet schrieb ich einige meiner in der Bonner Politik und Verwaltung so geschätzten Mails an Personen, die ich in Verantwortung sah. Anders als die Angeschriebenen. Aus der Politik kam nichts, jedenfalls nichts Hilfreiches.

Der Vorsitzende des Verband der Ortsvereine-Oberkassel, Rolf Sülzen hatte zwischenzeitlich einen Bürgerantrag eingebracht, um künftig wieder alle älteren EinwohnerInnen des Stadtteils Oberkassel zum Senionorencafe einladen zu können. Aus dem für Bürgeranträge zuständigen Büro, angesiedelt bei der Oberbürgermeisterin, erreichte ihn ein Anruf, in dem sich im Namen der Stadt für die Verweigerung der Adressen entschuldigt und zugesichert wurde, in diesem Jahr wieder die Adressen zur Verfügung zu stellen. Also voller Erfolg – noch vor der Beratung des Bürgerantrags.

Plötzlich doch im öffentlichen Interesse

Ich erhielt ein Schreiben des Datenschutzbeauftragten Herrn Schell, in dem ebenfalls ein leichter Wandel zu verzeichnen war. Nun wurde ein Gesetzeskommentar bemüht, in dem ein öffentliches Interesse auch bei “Tätigkeiten karitativer Organisationen (beispielsw. Ansprache bestimmter Personen für soziale Betreuung) als gegeben” angesehen wurde. Der abschließende Satz lautete jedoch: “Unter diesen Voraussetzungen wird die Stadt Bonn auch weiterhin an ihrer bislang geübten Praxis der Datenübermittlung an Vereine festhalten.”

Da die Stadt aber dem Verein genau diese Datenübermittlung verweigert hatte, gab es von mir eine weitere Nachfrage. Die Antwort kam dieses Mal per Mail und steckte voller Überraschungen. Denn plötzlich war alles anders. Weil es so schön ist, hier die wesentlichen Aussagen im Wortlaut:

“Zu welchem Zeitpunkt die von Ihnen monierte Herausgabe der Daten verweigert wurde, geht aus Ihrem bisherigen Schriftverlauf leider nicht hervor.Die in Rede stehende Veranstaltung des VdO Oberkassel wird jedoch seitens der Stadt Bonn als Veranstaltung mit karitativem Charakter eingestuft und erfüllt somit die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung. Eine entsprechende Datenübermittlung erfolgte bereits in der Vergangenheit und wird auch in der Zukunft unter diesen Rahmenbedingungen (also karitativer Charakter) weiterhin erfolgen. Seien Sie also unbesorgt.”

Alles in Ordnung, es gibt also künftig wieder die Daten, sozusagen “wie immer schon”, denn wie heißt es doch in der Email: “Eine entsprechende Datenübermittlung erfolgte bereits in der Vergangenheit…” Ich war sprachlos und fragte mich, warum ich mich überhaupt so aufgeregt und Emails geschrieben habe? Wo doch der Bonner Mann für den Datenschutz gar nicht weiß, was ich von ihm wollte, wann und warum ich ihm geschrieben habe und vor allem, was er mir geantwortet hatte?! Sicherheitshalber habe ich ihm seine eigenen Emails noch mal zugeschickt – man weiß ja nie..

Eine andere Möglichkeit – im ohnehin maroden Stadthaus stimmt etwas mit der Lüftungsanlage nicht, oder aber – in der Bonner Verwaltung gibt es ganz eigene Wahrheiten – vielleicht wie bei Trump im Weißen Haus – so was wie “alternative Fakten”.