“Ohne Atomkraft gehen die Lichter alle aus!” – so saß ein knollennasiger Mann 1978 vor dem Bildschirm, gezeichnet von Gerhard Seyfried. Denselben Unsinn beteten diese Woche die wissenden, aber unbelehrbaren, interessenverbandsbeherrschten, ideologisch verbohrten, ewiggestrigen, grün-hassenden, gewissenlosen, an gesellschaftlichem und technischem Fortschritt desinteressierten Akteure herunter. Sie scheuten, wie Lobbyist und DIHT-Geschäftsführer Wansleben – für mein Unternehmen spricht er nicht – keine Unwahrheit oder Legende, um die Atomkraft zu einer vermeintlich sauberen, günstigen und sicheren Energie zurechtzulügen. Legendenbildung in letzter Minute – bis hin zur Behauptung, nachdem in den letzten 20 Jahren zwei Drittel der Bevölkerung die Atomkraft abgelehnt haben, sei nun in letzter Minute eine Mehrheit für ein Verbleiben der AKWs am Netz. Ergebnis einer manipulativen “Umfrage” im Angesicht der Drohung einer Energieknappheit aufgrund des Ukraine-Krieges.
Legende Nummer 1: Die Atomkraft sei “klimaneutral” und würde gegenüber der vermehrten Kohleverstromung aufgrund des Ukrainekrieges die bessere Alternative sein. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die Errichtung, der Betrieb und der Rückbau von Atomkraftwerken sind CO2-Quellen erheblichem Umfangs. Hinzu kommen Castor-Transporte, Wartung, Wiederaufbereitung von Brennstäben und die CO2-relevanten Energiekosten für die Zwischenlager sowie die noch nicht existierenden Endlager. Sämtliche Sicherheitsmaßnahmen erfordern hunderttausende Tonnen von Zement, der nicht klimaneutral herstellbar ist.
Legende Nummer 2: AKWs in Deutschland seien “sicher”. Das AKW Neckarwestheim, das heute stillgelegt wird, weist erhebliche Mängel im Kühlsystem auf. Die Rohre sind veraltet und zum Teil korrodiert, so die örtliche Initiative. Das gilt in ähnlicher Weise für die beiden anderen AKWs. Die regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen des Gesamtsystems, vergleichbar mit der Hauptuntersuchung von Kraftfahrzeugen, wurden verschoben, herausgezögert und suspendiert, weil das Betriebsende absehbar war. Würden sie, wie Traumtänzer Söder fordert, reaktiviert, müssten sie eine mehrjährige Grundrevision über sich ergehen lassen – ergebnisoffen.
Legende Nummer 3: Atomstrom ist “günstig”. Atomstrom gehört zu den teuersten Energiearten, die sich die Menschheit jemals geleistet hat. Das Heilsversprechen der 50er Jahre auf saubere, billige Energie wurde nie eingelöst. Stattdessen hing die Atomindustrie egal ob in Deutschland, in Frankreich, in Großbritannien oder im Ostblock immer am Subventionstropf der Regierungen. Aktuellstes Beispiel ist das französische Flamanville, das 2007 begonnen wurde und im Frühjahr 2024 in Betrieb gehen soll, bis heute nicht fertig ist. Die Kosten explodierten von ursprünglich 3,3 Mrd. € auf 13.2 Mrd. Ohne Milliardensubventionen zur Errichtung der Forschungs- und Betriebsreaktoren hätte es keine einzige Kilowattstunde Atomstrom gegeben.
Legende Nummer 4: Es gibt ein Endlager. Nein es gibt bis heute weltweit kein einziges. Die Zwischenlagerung von Atommüll verschlingt jährlich Milliarden und die sichere Endlagerung ist offen: “Wir haben ein Flugzeug gestartet, für das es bisher keine Landebahn auf einem Flughafen gibt.” Die Endlagersuche in Deutschland wird nach der Aufgabe des politisch gewählten Standorts Gorleben frühestens in 20 Jahren zu einem Ergebnis kommen. Zwar haben sich die Energiekonzerne durch die “Stiftungslösung” von der Verantwortung für die Kosten eines Endlagers freigekauft, aber der Staat wird im Zweifel für eine sichere Endlagerung bürgen müssen. Der Atommüll strahlt die nächsten 10 Millionen Jahre.
Legende Nummer 5: Atomkraft ist “beherrschbar”. Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Belgische und französische Schrottreaktoren umgeben Deutschland, Tschernobyl und Saporischja in der Ukraine stehen für Zeitbomben im Krieg. Sie sind Ziele von Terroranschlägen, Flugzeugabstürzen und Hackerangriffen. Sie sind Erdbeben, Tsunamis und anderen denkbaren Naturkatastrophen gegenüber verwundbar. Nach den Risikoanalysen der Atomkraftindustrie sollte ein GAU (Größter Anzunehmender Unfall) alle 10.000 Jahre passieren. Seit 1979 sind mit Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima nun schon “30.000 Jahre” in 45 Jahren verstrichen.
Legende Nummer 6: AKWs seien “friedliche Nutzung der Atomenergie”. Es gibt keine friedliche Nutzung der Atomenergie. Russland, die USA, Frankreich und Großbritannien, China, Indien, Pakistan und Israel sind Atommächte, weil sie über angereichertes Uran verfügen – der Grundstoff für AKW und Atombomben. Nicht ohne Grund wollte der Westen mit dem Iran-Atomabkommen verhindern, dass die Mullahs Atombomben bauen können. Das gleiche gilt für Nordkorea und möglicherweise weitere “Schurkenstaaten.”
Legende Nummer 7: AKWs könnten einen Beitrag zur Energiesicherheit leisten. Das ist falsch, weil sie als Grundlastkraftwerke, die ständig laufen, erneuerbare Energien aus dem Netz verdrängen. Weil die letzten drei AKWs 2022 und bis heute am Netz waren und Strom produzierten, mussten zeitweise hunderte von Windrädern abgeschaltet werden. Das Prinzip von AKWs beruht auf einer zentralistischen und von wenigen Großkraftwerken abhängigen Versorgungsstruktur. Sie bedeutet nicht nur Stromtransport über Großtrassen hunderte oder tausende von Kilometer weit, Leitungsverluste und Anfälligkeit gegen Witterungseinflüsse oder Anschläge. Sie bedeutet Anfälligkeit des Gesamtsystems, schon wenn ein oder zwei Großkraftwerke ausfallen. Erneuerbare Energieversorgung basiert auf einer dezentralen, regionalisierten Energieerzeugung, -Speicherung und -Verwendung. Beide Prinzipien sind nicht miteinander kompatibel, AKWs behindern die Energiewende.
Legende Nummer 8: AKWs seien technikoffen. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Staat, der AKWs betreibt, muss ständig die gesamte Erzeugungs- und Sicherheitskette von der Beschaffung und dem Transport der Brennstäbe über den sicheren Betrieb bis zur Entsorgung aufrecht erhalten. Atomkraftwerke erfordern eine ganz bestimmte Struktur und Kompetenz von Mitarbeitenden. Die Energiekonzerne in Deutschland haben diese Mitarbeiter*innen längst in den Ruhestand verabschiedet oder anderweitig eingesetzt. Die noch laufenden AKWs sind nicht nur technisch marode, sie enthalten auch durchgängig 35-45 Jahre alte Technik, die mit modernen Steuerungsmethoden der Energiebereitstellung nicht kompatibel sind.
Legende Nummer 9: AKWs sind mit der Demokratie offener Gesellschaften vereinbar. AKWs bedingen wesentlich schärfere Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen für den Umgang mit den Kraftwerken, Brennstoffen und dem atomaren Abfall, als Staaten ohne Atomkraft. Die Überwachung und Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitenden, Zulieferern, Transportwegen, aber auch von allen Besucher*inne*n, Familienangehörigen von Mitarbeitern, Aufsichtsbehörden, Zertifizierungsunternehmen haben negative Auswirkungen auf die Freiheitsrechte einer Atomgesellschaft. Eine der ersten großen Spitzelaffären in Deutschland war die Überwachung des Atomwissenschaftlers Prof. Klaus Traube, bei dem BND und Verfassungsschutz gegen Gesetze und die Verfassung verstießen und Innenminister Maihofer zurücktreten musste.
Legende Nummer 10: AKW-Gegnerschaft der Grünen und der Umweltverbände sei “ideologisch” begründet. In Finnland würden sogar die Grünen die Atomkraft befürworten. Das finnische AKW-Projekt mit Russland, an dem Rosatom mit 1/3 beteiligt war, wurde am 1.5.2022 eingestellt. Wegen Olkiluoto 3, dem ersten neuen AKW in der EU seit Tschernobyl, zerbrachen gleich mehrere finnische Regierungen. Der Reaktor, der im Dezember 2021 ans Netz ging, wurde 2002 beschlossen und 13 Jahre später, als ursprünglich geplant, in Betrieb genommen. Nachdem die dortigen Grünen mehrfach die Koalitionen verlassen hatten, gaben sie ihren Widerstand in der letzten Wahlperiode auf. Trotz dieser politischen Geschmeidigkeit stürzten sie bei den Wahlen 2023 von 11,5% auf 7,0% ab und Premierministerin Sanna Marin verlor die Wahl gegen Konservative und Rechtsextremisten.
Legende Nummer 11: Die Stromversorgung könnte bei abgeschalteten AKW gefährdet sein oder teuren Strom zur Folge haben. Vor allem der DIHT-Geschäftsführer hat in der letzten Woche vor dem Abschalten seine “Sorge” auf allen öffentlichen Kanälen ausgebreitet, es könne ohne AKWs nicht genügend billigen Strom für die Industrie geben, die deshalb z.B. in die USA abwandern könne. Solche Vergleiche hinken und entbehren jeglicher Grundlage. So fließen in den Strompreis neben Netzentgelten, Umlagen, wie der nach dem Erneuerbaren Energien Gesetz, Steuern und Abgaben in die Kalkulation ein. Hätte Wansleben recht, müssten Industriekunden, die 2020 durchschnittlich in Deutschland 12,7 Cent pro Kilowattstunde zahlten, nicht nach USA mit 11,1 Cent/kWh, sondern in die restliche EU mit 8,89 ct/kWh abwandern. Der DIHT hat somit nicht nur falsch gerechnet, sondern – siehe Legende Nummer 3 – einfach die Unwahrheit behauptet.
Fazit: Das Festhalten an der Atomenergie ist weder zukunftsfähig, noch wirtschaftlich, noch mit einer dezentralen Energieversorgung kompatibel, und entpuppt sich somit als rein ideologisch begründeter Versuch, einen grundsätzlichen Umbau der Energieerzeugung in letzter Minute zu behindern und langfristig zu torpedieren. Insbesondere Statements wie die Ankündigung von Markus Söder, er wolle AKWs bei einem Wahlsieg wieder reaktivieren und die Kernfusion fördern, sind von keinerlei Sachkenntnis getrübt und entpuppen sich als reine Ideologie. Angstmache schien lange zu funktionieren: “Ohne Atomkraft gehen die Lichter alle aus.” Ab heute ist damit Schluss.
Sehr gut, Roland! Alle Argumente auf den Punkt gebracht und die Ideologie der Befürworter entlarvt. Allerdings frage ich mich dieser Tage immer wieder, wieso sie an ihrer Mär so eisern festhalten- was haben sie davon? Nur um die Grünen zu desavouieren? Was glauben die liberalen und Söders dieser Republik eigentlich zu gewinnen? Die Transformation muss kommen- bei uns wie anderswo …. Sonst gehen in der Tat in naher Zukunft für viele Menschen, viele Lichter aus und viel Wohlstand in vielen Regionen verloren. Man kann Rebellion extinction schon verstehen in ihrer Verzweiflung – nur dass leider ihre Aktivitäten auch zu nix führen außer zu noch mehr Widerstand gegen notwendige Veränderung. Düstere Gedanken an einem erneut total verregneten und düsteren Sonntag. Brrr
Ich glaube schon, dass es sich um ein reines Wahlkampfmanöver handelt, das in Bayern https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/index.htm ja auch verfängt. Angstmache vor Neuem und Kosten für die Energiewende – das ist der Antrieb, um von den wohlhabenden Mittelschichten, die die Grünen wählen, Stimmen zurückzuholen. Das war schon bei Habeck und der Heizungstausch-Kampagne so. Die Mehrheiten sollen so verändert werden, dass die FDP wieder als Blockpartei zur CDU/CSU zurückkehren muss oder man die Grünen so schwächt, dass die bei Schwarz-Grün die Schlüsselressorts Wirtschaft, Energie und Umwelt zum Teil wieder abgeben müssen.