Beueler-Extradienst

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Tag der Befreiung

Das Meisterinnenstück der Stefanie Christmann

Heute vor 39 Jahren hielt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine Rede, die nur wenige aus einem Spross dieser Familie erwartet hatten: “Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung”. Wenig beachtet – aber nicht von mir – blieb, dass eine junge Frau an dieser Rede mitgeschrieben hat, die später in den 90ern Kreisvorsitzende der Bonner Grünen werden sollte: Stefanie Christmann. Diese Rede war gute Arbeit in einer Zeit, in der in der West-BRD ein sog. “Historikerstreit” tobte.

Die damals noch unterlegene Seite versuchte in der Öffentlichkeit das Narrativ zu verankern, am deutschen Faschismus sei der russische Kommunismus schuld gewesen. Das war dann doch auch für diesen von Weizsäcker zu absurd, und Frau Christmann, die bis zum Hauptstadtumzug noch Bonner Korrespondentin des Freitag war (die meisten Texte digital eingemauert), hat ihm Gutes aufgeschrieben.

Allein diese Rede ist ein politisches Lebenswerk, an das das von Walid Nakschbandi nicht heranreicht, obwohl es ähnlich tiefe Furchen durch die Republik gezogen hat. Der heutige Geschäftsführer der Film- und Medienstiftung NRW (muss sich mal um seinen Wikipedia-Eintrag kümmern) hatte einen anderen Bundespräsidenten, Christian Wulf, dazu inspiriert, “Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.” zu sagen. An dieser Nuss hat sich heute, 14 Jahre später, noch ein ganzer CDU-Parteitag einen Muskelkater in seine Kiefer gebissen. Ich bin immerhin stolz, den schlauen Kerl 1994 an die MdB Kerstin Müller vermittelt zu haben. Von dort wechselte er dann zur damaligen Produktionsfirma von “Talk im Turm” (AVE produzierte für SAT1), deren Boss er später wurde.

Und ein anderer Bundespräsidenten-Redenschreiber gehört heute zu den regelmässigen Gastutoren des Extradienstes: Christoph Habermann.

Wenn nur heute noch jemand in Berlin auf so kluge Leute hören würde …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Rolf Sachsse

    1983 erhielt ich von der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) den Auftrag, die Reden für den Kulturpreis der Gesellschaft vorzubereiten, der an die exilierten Fotograf*innen Lotte Jacobi und Tim Gidal verliehen wurde. Die Rede zu Lotte Jacobi hielt Richard von Weizsäcker als Berliner OB, die andere für Tim Gidal Hans Friderichs (Dresdner Bank) als Vorsitzender der DGPh. Während Weizsäcker meine Notationen heftig überarbeiten ließ, bevor er sie verlas, hatte Friderichs mein Arbeitspapier in der Hand und las es – offensichtlich ohne es je vorher angeschaut zu haben – direkt ab. Dabei verstolperte er sich mehrfach an den Stellen, wo es um die Umstände der Emigration sowie um die neuerlichen Konflikte um Israel ging…

  2. Martin Böttger

    Stefanie Christmann übersandte mir folgende Richtigstellung, die ich hiermit auf ihr Verlangen dokumentiere.

    ““Martin Böttger hat diesen Text leider ohne Rücksprache mit mir geschrieben und online verbreitet. Nur durch Zufall habe ich davon erfahren.
    Falsch ist: Ich hätte an der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 8. Mai mitgearbeitet.
    Richtig ist: Damals habe ich an meiner Magisterarbeit geschrieben. Erst nach meiner Promotion habe ich im Planungsstab des Bundespräsidialamts gearbeitet (Präsidentschaft Richard von Weizsäcker). Eine Rede erhält ihr Gewicht aber durch den Amtsträger, nicht durch “ghostwriter”, wie sie aus gutem Grund im anglophonen Raum genannt werden. Sie sollten auch namenlose Geister bleiben, damit jede Rede ihre Bedeutung behält.
    Martin Böttger hat nicht nur falsche Behauptungen aufgestellt, sondern quirlt sie auch noch unzulässig mit Einzelheiten aus meinem Leben, indem er mich für die Grünen vereinnahmt. Ich bin engagierte Feministin, als solche war ich sehr kurz im Bonner Kreisverband der Grünen, wo man überraschenderweise als Neumitglied Kreisvorsitzende wurde. Aus pazifistischen Gründen habe ich diesen Fehler rasch korrigiert, bin schnell wieder ausgetreten und habe mich “in den 90ern” jahrelang gegen die Grünen engagiert, nicht für sie. Insbesondere habe ich in den 90er Jahren den demagogischen Heereszug der Realos und den vertraulichen Brief von Fischer-Intimus Hubert Kleinert vom 12. Oktober 1995 – neudeutsch – “geleakt”: In der Argumentation benutzte Kleinert den Holocaust als Argument, dass Deutschland sich am Krieg in Ex-Jugoslawien beteiligen müsse, um einem Genozid vorzubeugen – während er sich im Anschreiben von dieser rein strategischen Argumentation distanzierte. Durch meine jahrelange Tätigkeit bei der Wochenzeitung “Freitag” und das Buch “Die Zerstörung der Vernunft in Zeiten des Krieges” (gemeinsam mit dem Hamburger Friedensforscher Dieter S. Lutz, Aufbau Taschenbuch Verlag 2000) bin ich als Grünen-Kritikerin profiliert. Mich für die Grünen vereinnahmen zu wollen, wie Martin Böttger das tut, ist absurd.
    Leider muss ich nun diese Gegendarstellung in diesem blog veröffentlichen, ich untersage explizit meine Nennung in der Auflistung der Autoren des blogs und die Weitergabe meiner privaten email.

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