Die EM – und eine gute Ablenkung von ihr
Zu den essentiellen Dramaturgien vom WMs und EMs, den zentralen Finanzierungsquellen der Mafiaorganisationen Fifa bzw. Uefa, gehört, dass das Veranstalterland, das diese Organisationen so wunderbar auszusaugen verstehen, sportlich oder unsportlich nicht benachteiligt werden darf. Und so geschah es auch gestern beim Spiel BRD-Dänemark. Peter Ahrens/Spiegel gelang eine faire Bilanz, in der auch die dänische Position zu Wort kam – ist aber digital vermauert.
Für Italien kam alles wesentlich schlimmer. Sein Team wurde gar nicht benachteiligt. Im Gegenteil: im letzten Gruppenspiel wurde bis zur 98. Minute gespielt, bis ihm endlich ein fürs Weiterkommen lebensnotwendiges Siegtor gegen Albanien gelang. Albanien spielte zwar mutig, tapfer, engagiert und überhaupt nicht mehr wie ein “Fussballzwerg”, die es bekanntlich gar nicht mehr gibt, aber es hat halt in der Uefa nichts zu melden. Seit gestern weiss die Fussballwelt, dass Italien besser da schon ausgeschieden wäre. Dann hätte es den gestrigen sportlichen Offenbarungseid (chancenloses 0:2 gegen die Schweiz) vermieden.
Politisch ist zu hoffen, dass dieses schlechte sportliche Abschneiden im Lande selbst politische Folgen hat. Denn menschenrechtlich schlimmer, als mit einer faschistisch geführten Regierung, kann es in diesem schönen Land nicht mehr kommen.
Die DFB-Elf wird nun am kommenden Wochenende auf den Sieger von Spanien-Georgien treffen. Sie ist dann entweder krasser Aussenseiter oder Riesenfavorit. Spielerisch überzeugender als Spanien hat noch kein Team ausgesehen – kämpferischer und optimistischer als Georgien auch keins. Ich persönlich sehe dem mit interessierter Spannung entgegen. Ich habe nur einen dringenden Wunsch: jemand möge bitte zügig das von England entsandte Team aus diesem Turnier entfernen. Wenn es die Slowakei heute noch nicht schafft, was angemessen wäre, dann möge es bitte nächstes Wochenende die Schweiz erledigen. Allein schon Yann Sommer hätte das als gerechten Lohn für seine fulminante Sportlerkarriere verdient.
EM-Ablenkung: “Bestseller Boy”
Schon ziemlich lange habe ich keine attraktive niederländische Serie mehr gesehen – im Gegensatz zum häufig damit überzeugenden Belgien. Nun hat es die Serie “Bestseller Boy” bis zu mir geschafft. Verfügbar bis 27.8.
Mal wieder stimme ich vollinhaltlich mit Oliver Jungen/FAZ überein: “Wenn von der Literatur nur die Pose bleibt – Die niederländische Serie ‘Bestseller Boy’ ist eine Feier des Übermuts mit einem Schuss Identitätssuche. Mit Literatur hat das wenig zu tun, dafür viel mit der Kulturindustrie.” Mit Firefox ohne Paywall.
Vordergründig geht es um marokkanisch/islamische Immigration, im Kern aber um die Lächerlichkeit eines aufgeblasenen Literaturkommerzes, und wie er, fast schon streng materialtistisch gearbeitet, die Charaktere der sympathischsten Menschen verkorkst. Der Held hat massenhaft attraktive Freundinnen. Meine Lieblingsfigur ist jedoch die knochenharte Verlegerin des “Hammer&Sichel-Verlages”, gespielt von Wimie Wilhelm. Die ist vor knapp einem Jahr im September an Krebs verstorben. Da hat sie ihre Zeit aber verdammt gut genutzt.
Nachfühlen kann ich die Traumatisierung des Helden “Momo Zebbi”, gespielt von Shahine El-Hamus, als ein Schlachter sein Lieblingslamm (oder -Zicklein?) für das “Opferfest” abholte. Ich hatte selbst im Kleinkindsalter ein Lieblingshuhn (ein schwarzes unter lauter weissen) mit Namen Pizzy im idyllischen Behelfsheimsgarten meiner Grosseltern in Glinde bei Hamburg. Beim Abholen war ich zum Glück nicht anwesend.
Mein anderer Grossvater (mütterlicherseits in Essen), der von dem ich meine Fussballmacke habe, der selbst Tauben und Hühner züchtete, hat zeitlebens kein Gefügelfleisch essen können, weil er seine Tiere zu sehr liebte. Ich zumindest bin heute radikal dafür, dass Kinder sehen und lernen, wie das Fleisch auf den Teller kommt. Und dann frei entscheiden, was ihnen schmeckt.
Korrektur: Das oben beschriebene italienische Tor in der 98. Minute fiel nicht gegen Albanien, sondern gegen Kroatien. Es war auch kein Siegtor, sondern ein Ausgleichstor zum 1:1, das Italiens Weiterkommen im Turnier ermöglichte. Albanien war zuvor 2:1 geschlagen worden; ein albanisches Ausgleichstor zum 2:2 verhinderte Donnarumma kurz vor Schluss nur ganz knapp. Danke für den Korrekturhinweis aus dem Ambleside Pub in Mount Kisco nahe NYC.
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