Seit dem 20.8.2014 ist die Bundesregierung offiziell von ihrer Linie abgegangen, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Dabei sind Waffenlieferungen das Letzte, das die seit Jahrzehnten durch Stellvertreterkriege um Rohstoffe geschundene Region braucht. Waffenlieferungen haben die aktuellen terroristischen Exzesse erst ermöglicht. Deshalb ist jetzt geboten, die politischen Ursachen zu bekämpfen und nachhaltig den Finanziers des Terrors wie Qatar und Saudi-Arabien entgegenzutreten. Denn die islamistisch-extremistische Missionierung hat längst unsere Gesellschaft erreicht. Anstatt politische Konsequenzen zu ziehen, begibt sich die Bundesregierung auf die Rutschbahn, schrittweise durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei zu werden. Und mit dem ukrainischen Abenteuer verstellt sie sich selbst den Weg, eine Befriedung des Nahen Ostens politisch zu erreichen. Denn das geht nicht ohne Russland. Aber zu ernsthafter Politik scheint die EU derzeit nicht mehr fähig zu sein.   

Im Schweinsgalopp will die Bundesregierung eine neue Variante der Außenpolitik dem staunenden Volk verkaufen: “Frieden schaffen durch immer mehr Waffen” verkehrt einen Slogan der Friedensbewegung (Frieden schaffen ohne Waffen) ins Perverse und kommt unter dem Deckmäntelchen humanitärer Hilfe daher. Die tapferen Peschmerga sollen nun endlich mit ordentlichen Waffen ausgerüstet werden, um den Terroristen des “Islamischen Staat” (IS) erfolgreich die Stirn bieten zu können. Auf den ersten Blick erscheint diese Kehrtwende von der jahrelang ohne hin nur vorgeblichen Politik, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, nachvollziehbar.

Geht es wirklich um humanitäre Hilfe? 

Die Terrorbanden der IS- Islamisten bedrohen die Jeziden, fegten die Reste der irakischen Armee davon und breiten sich von Syrien aus über den gesamten Nordirak aus. Dieser Entwicklung muss dringend Einhalt geboten werden – darüber gibt es keinen Zweifel. Aber die Politik, die der Westen, allen voran die USA praktizieren, ist die Fortsetzung jahrelanger Fehler und birgt die Gefahr, alles nur noch schlimmer zu machen.

Misstrauisch musste man allerdings werden, als sich gestern und vorgestern in kurzer Folge die IG Metall Südwest und die Rüstungsindustrie zu Wort meldeten und sich sinngemäss beschwerten, dass es nicht ginge, dass Wirtschaftsminister Gabriel den Waffenexport einschränken wolle, denn dann würden Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Ist die vorgebliche Offensive der Menschlichkeit nur ein billiges Manöver zur rechten Zeit, um Deutschland vom dritten Platz des weltweiten Waffenexporteurs näher an die Spitze zu rücken?

 Waffenlieferungen sind das Letzte, was die Region braucht

Nur wenige Regionen des Planeten sind seit Jahrzehnten so extrem aufgerüstet worden, wie die Krisenregion im Nahen Osten. In den siebziger und achtziger Jahren waren es die West- und Ostmächte – USA, Deutschland und Frankreich beliefern Israel, Saudi-Arabien und die Golfemirate, Ägypten, Marokko und den Südjemen; der Ostblock beliefert den Iran, Äthiopien, Jordanien, Vater und Sohn Assad, Libyen, zeitweise Ägypten, der Sudan die Palästinenser und der Iran und viele stehen auf der Waffenkundenliste Pekings.

Waffenlieferungen und Aufrüstung des Terrors

Auch wenn die Wahrheit schmerzt und gerne verdrängt wird: Nahezu alle Extremisten und Terroristen, die in der islamischen Welt seit Jahrzehnten eine Blutspur hinter sich herziehen, sind ursprünglich durch eine verfehlte und kurzsichtige Waffenlieferungspolitik des Westens und der USA hoffähig und kampffähig gemacht worden:

  • Die Taliban wurden von den USA während der sowjetischen Besetzung Afghanistans als Terrorarmee gegen das Moskautreue Regime mit ausgebildet und aufgerüstet.
  • Bin Ladin und die Al Khaida waren Teil und Ergebnis dieser Aus- und Aufrüstung, der Spross aus reichem Hause der Saudis wurde gepäppelt, bevor er sich gegen den Westen wandte;
  • Die Moslembrüder in Ägypten erhalten Geld aus Qatar. Sie wurden von Westerwelle ermutigt, als im “arabischen Frühlings” 2012 kurzzeitig dem Westen eine Entmachtung des über die wirtschaftlichen Ressourcen Ägyptens wachenden Militärs sinnvoll erschien;
  • Die Salafisten in Ägypten, Syrien und Libyen werden aus Saudi-Arabien finanziert und kaufen ihre Waffen im Westen;
  • Hamas wurden von den USA in den 70er Jahren gegen den wachsenden Einfluss der PLO Yassir Arafats unterstützt, bevor der Iran die Unterstützung von Hamas übernahm;
  • Die Terroristen der ISIS wurden im syrischen Bürgerkrieg durch Waffenlieferungen der EU-Staaten aufgerüstet und erbeuteten viele moderne Waffen, die vom Westen in die Region geliefert wurden, um das Assad-Regime zu destabilisieren;
  • Die unter der Leitung des islamistischen Führers Al Bhagdadi agierenden Terroristen und selbsternannten Herren des “Islamischen Staat” erbeuteten US-Bewaffnungen der irakischen Armee und der vom Westen ausgerüsteten aufständischen Gruppen in Syrien.
  • Viele Extremisten werden aus den Golfstaaten ideologisch und finanziell unterstützt und durch einen nicht versiegenden Strom von Geld und Waffen aufgerüstet.
  • Die Saudis selbst kaufen fleißig in Deutschland und auch Qatar bekommt Waffen aus dem Westen.

Wer in dieser Situation meint, dass erneute Waffenlieferungen irgendwelche Probleme lösen könnten, gleicht einem Feuerwehrhauptmann, der sich zur Eindämmung eines Großbrandes entschließt, einen Tankwagen mit Benzin anzufordern.

Schluss mit der Verharmlosung der Terrorfinanzierung durch die Golfdespoten!

Die Golfstaaten wiederum sehen längst nicht mehr ihren wichtigsten Feind in Israel, sie haben sich auf die Destabilisierung der schiitischen Einflussbereiche und damit auf den Nach-Golfkriegs-Irak, den Iran und das alavitisch dominierte Assad-Regime eingeschworen. Auch die Moslembrüder in Ägypten werden weiterhin von ihnen unterstützt.

Saudi-Arabien unterstützt Salafisten und ihre islamistischen Irrlehren. Wahabiten, die Staatssekte der saudischen Herrscher, so ein Islamwissenschaftler, wären ohne die Unterstützung der Königsfamilie etwa so relevant wie irgend eine skurrile christliche Splittergruppe im “Bible Belt” der Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist an der Zeit, den Öl-Despoten am Golf den Waffenstrom abzuschneiden. Was sie betreiben, hat längst Spuren in der Mitte auch unserer Gesellschaft hinterlassen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Salafisten in Deutschland Unterstützung durch Gelder aus den Golfstaaten erhalten. Was von den Saudischen Wahabiten nachweislich betrieben wird, ist ihre aktive ideologische Aufrüstung des Islam in Deutschland.

So stellt z.B. die Saudi-Arabische Botschaft in Berlin seit Jahren in tausendfacher Auflage das Buch “Irrtümer über Menschenrechte im Islam” kostenlos zur Verteilung in deutschen Moscheen zur Verfügung. In dieser islamistischen Hetzschrift wird “Gleichberechtigung” im Islam so beschrieben: – hat ein Mann mehrere Frauen, muss er sie gleich gut behandeln! Die Steinigung nach Ehebruch wird als unausweichliche Strafe der Scharia dargestellt und gleichzeitig verharmlost. Das sexualisierte, von archaischen Gebräuchen und Vorurteilen strotzende Machwerk gilt unter klugen Verfassungsschützern als Standardwerk zum “Anfixen” in ihrer männlichen Selbstfindung gestörter, potenzieller Konvertiten.

 Gotteskrieger sind inzwischen auch unser Problem

 2.500 junge europäische Staatsbürger, darunter etwa 320 aus Deutschland – allein120 aus NRW – 120 Niederländer, 300 Belgier, kämpfen nach Erkenntnis der Geheimdienste auf Seiten der ISIS in Syrien, Organisationen wie die extremistische “Helfen in Not” e.V. sammeln in den Städten der Bundesrepublik tausende Euro, um damit moderne Waffen und Ausrüstung kaufen zu können. Man mag den Zeitpunkt fürchten, zu dem sich der erste Selbstmordattentäter auf der Kölner Domplatte, unter dem Eiffelturm oder auf dem Alexanderplatz inmitten einer Touristenmenge in die Luft sprengt: Es ist schon frappierend, wie es uns gelingt, diese Entwicklungen nicht als unser ureigenstes Problem zu begreifen. Die Entwicklung in nahen Osten sät vielerorts – auch bei uns inzwischen – die Wurzeln eines unversöhnlichen, religiös motivierten Hasses. Es war vor einigen Tagen und Wochen erschreckend, mit welcher Vehemenz und Unbekümmertheit anlässlich der Demonstrationen von jungen Menschen gegen die Luftangriffe der Israelis menschenverachtende und antisemitische Parolen skandiert wurden – nicht von Kaftan tragenden, bärtigen Männern, sondern von blonden, blauäugigen Teenagern mit Palästinensertuch.

Gewaltfreiheit nicht mal vom Hörensagen

Politisiert durch die aktuellen Kriege wächst vielleicht eine junge Generation heran, die die Friedensbewegung und Begriffe wie passiven Widerstand, zivilen Ungehorsam oder Gewaltfreiheit nicht einmal mehr vom Hörensagen kennt. Eine Befriedung der Situation liegt auch deshalb in unserem ureigensten Interesse, und wir täten gut daran, etwa die Rechte der Kurden auf einen eigenen Staat zu berücksichtigen. Die derzeit stattfindende gewaltsame Revision der durch den Kolonialismus gezogenen Grenzen im Nahen Osten und eine Identitätsstiftende Wiedergeburt einer sunnitisch-islamistischen Nation in der Nachfolge des osmanischen Reiches wird keinen Frieden bringen. Aber der Gedanke daran treibt die Islamisten der IS an, wie einst die Hoffnung auf die Weltrevolution die Bolschewiki. Deshalb wird man Terrortourismus nicht mit weiteren Waffenlieferungen unterbinden.

Kurdische Helden oder Opfer des Spätkolonialismus?

Die Kurden als ethnisch-kulturelle Minderheit in mindestens drei Staaten wurden zum Spielball kolonialer Machtinteressen. In der Türkei wurden organisierte Kurden seit Atatürk verleugnet und verfolgt. Als rechtlose “Bergtürken” ihrer Sprache, Kultur und Strukturen beraubt, gründeten sie die kurdische Arbeiterpartei PKK, die bis heute als Terroristen ausgegrenzt und verfolgt wird – auch durch die USA und Deutschland aus Opportunismus und wegen des Unterhalts der strategisch wichtigen Stützpunkte der USA in der Türkei. Dass sich die USA mit ihrer Hilfe derzeit auf Luftschläge beschränken, hat zwei Gründe: Zum einen will sich Präsident Obama aus innenpolitischen Gründen in kein neues Irak-Abenteuer ziehen lassen. Die USA werden nicht den NATO-Partner Türkei, der gerade einen islamfreundlichen Präsidenten gewählt hat, durch eine zu intensive Unterstützung der Kurden verprellen. Auch in Syrien stehen die Kurden als Minderheit allein, können nicht auf mächtige Freunde zählen.

Im Irak haben sie sich als der einzig stabile Faktor erwiesen und die Mittel, die ihnen unter anderen das kleine Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt hat, klug für Investitionen in Bildung und Infrastruktur genutzt. Sie haben berechenbare regionale Staatsstrukturen ausgebildet, weshalb sie sich jetzt der Unterstützung erfreuen: Aber schon wird in den USA die Gefahr abgewogen, ob ein vereinigter kurdischer Staat vielleicht eine zu mächtige Kraft im Nahen Osten werden könnte.

Strategie statt Aktionismus, Interessenpolitik statt Menschenrechtsrhetorik

Außenminister Steinmeier hat in der vergangenen Woche versucht, die einstige Krisendiplomatie seines Vor-vor-Amtsvorgängers Hans-Dietrich Genscher nachzuahmen, mit einem wesentlichen Unterschied: Gelang es dem alten Fuchs Genscher und seiner Entspannungspolitik, durch Anerkennung von Realitäten und Interessen zwischen den hochgerüsteten Blöcken einen Weg im Interesse Deutschlands und gleichzeitig einen Europäischen Ausgleich zu schaffen, macht Steinmeier eher den Eindruck eines diplomatischen hin und her Taumelns und tagesaktuellen Stimmungen folgenden Aktionismus.

Und er wird von der Kanzlerin ausgebremst: Während er am Wochenende vergeblich versuchte, mit Frankreich und Russland, zwischen Ukraine und den Separatisten einen Waffenstillstand auszuhandeln, unterzeichnete Angela Merkel in Brüssel gemeinsam mit den EU- Außenministern einen “unterschütterlichen” Beistand der EU zur “territorialen Integrität” der Ukraine. Der nächste Eskalationsschritt wird folgen.

Wenn Kurt-Georg Kiesinger so mit Willy Brandt umgegangen wäre, hätte Brandt die Große Koalition verlassen. Aber vielleicht tut man Steinmeier damit auch unrecht. Denn eigentlich gibt es im Nahen Osten auch Chancen für eine Friedenslösung, die in der hektischen Diskussion über einen anderen Krisenherd, die Ukraine, gar nicht gesehen werden.

Die verfehlte Ukrainepolitik beider Seiten hindert an einer Lösung in Nahen Osten

Politisch und strategisch erscheint die Region von Libyen bis in den ehemaligen Irak heute als ein einziges destabilisiertes Konglomerat von Schlachtfeldern und Interessenkonflikten. Bei genauerem Hinsehen aber böten sich politische und diplomatische Chancen, die nicht genutzt werden.

Israel ist bei aller berechtigten Kritik an der aktuellen Regierung und ihrer verfehlten Siedlungspolitik ein Stabilitätsfaktor. Ägypten könnte sich wieder zu einem solchen entwickeln, würden sich vor allem die Saudis und Qatar der Finanzierung von Extremisten enthalten. Die Konfrontation mit der Hamas zu überwinden, geht nicht ohne den Iran. Und ohne den Iran ist auch eine Befriedung Syriens nicht möglich. Der aber zeigt unter seinem neuen Präsidenten und dem Eindruck des IS-Terrors eine lange nicht erlebte Gesprächsbereitschaft.

Nichts ohne die USA

Wer sollte hier Verhandlungen führen, Gespräche einleiten? Europa unter Führung von Deutschland, Frankreich und Polen. Polen, um einen Vertrauten der USA und Angstträger der EU-Oststaaten einzubinden. Aber ohne Russland, das hier einen ganz wesentlichen Einfluss hat und ohne die USA als Garant für Israel, wird sich gar nichts bewegen.

Und damit sind wir mitten in der Sackgasse der EU-Außen- und Friedenspolitik: EU und NATO haben sich heillos in ihr Ukraine-Abenteuer verstrickt und treiben es wider alle Vernunft weiter. Die gegenseitigen Embargos schaden inzwischen nicht nur real der Wirtschaft, ohne dass sie irgend ein erkennbares Ziel erreichen könnten. Sie sind ebenso wenig durchdacht, wie die Chaos-Tage der EU-Außenminister auf dem Maidan im Frühjahr. Ihre Sinnlosigkeit zeigt sich in der kindischen Reaktion des polnischen Premiers, der angesichts seiner plötzlich unverkäuflichen Ernte zum vaterländischen Äpfel essen aufgerufen hat. Vernunft sieht einfach anders aus, Politik ist das nicht.

Dieser Artikel erschien am 21.8. 2014 in der “Rheinisachen Allgemeinen”

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net