Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Vosshoff, ist unverdächtig, Grundsatzbedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung zu hegen, hat sie doch als CDU-Parlamentarierin schon einmal zugestimmt. Wir wissen genug über Fraktionszwang und Koalitonsdisziplin, um ihr früheres Handeln heute nicht mehr als Belastung zu werten. Um so mehr muss es alarmieren, mit welcher Vehemenz sie sich in der letzten Woche zum zweiten mal kurz hintereinander gegen den ihrer Meinung nach völlig überzogenen und nicht verhältnismäßigen Gesetzentwurf der großen Koalition gewendet hat.

Und es ist begründet, denn seit dem Vorgängergesetz, das vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden war, hat sich der Umfang der gespeicherten Daten über jedermann ins nahezu Uferlose ausgeweitet. So sollen die Provider nicht nur Gesprächsdaten – also Anschlüsse, wer wann wie lange mit wem telefoniert – speichern, sondern auch Standortdaten, die es erlauben, Bewegungsbilder zu erzeugen, IP-Adressen, die Einkäufe im Internet, Suchmaschinennutung, Facebook-Kontakte und damit nahezu lückenlose Verhaltensprofile ermöglichen. Wer mit wem, wann und wie lange kommuniziert, wird von jedem Smartphone durchschnittlich alle zwei Minuten an die zuständige Funkzelle gemeldet und dann monatelang gespeichert. Ohne jeden Anlass oder Verdacht, über Jeden und Jede. So können Analysen der Bekannten- und Freudeskreise, sowie Geschäftskontakte erstellt und systematisch miteinander vernüpft werden.

Vorratsdatenspeicherung und “Lex Snowden”

Dies alles wird es zusätzlich geben zum kleinen und großen Lauschangriff, der Telefonüberwachung durch Poizei und den Überwachungsmaßnahmen der Verfasungsschützer, die aufgrund von Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses ohnehin möglich sind. All dieses wird uns von Sozialdemokraten als Fortschritt verkauft. Es ist unverständlich, wie Heiko Mass, noch vor etwas mehr als einem Jahr dezididerter Gegner der Vorratsdatenspeicherung, diesem Gesetzentwurf seinen Segen geben, ja ihn sogar entscheidend formulieren konnte. Und es ist bizarr, dass etwa Siegmar Gabriel sich dieser Tage zu der abenteuerlichen Behauptung verstieg, Norwegen habe in Reaktion auf die Taten von Anders Breivieg die Vorratsdatenspeicherung eingeführt. Norwegen hat keine Vorratsdatenspeicherung und hat es abgelehnt, trotz der Taten irgendwelche Freiheitsrechte einzuschränken. Anders unsere Bundesregierung: Sogar eine “Lex Snowden” hat man im Gesetzentwurf versteckt, nach der sich Whistleblower aus Polizei, BKA oder Geheimdiensten strafbar machen, wenn sie illegales Speichern der Behörden offenbaren und Datenträger darüber speichern. Der sozialdemokratische Abgeordnete Christoph Strässer aus Münster hat als Jungdemokraten-Vorsitzender vehement gegen Berufsverbote, Lauschangriff und Rasterfahndung und Überwachungsstaat gekämpft. Wie muss sich wohl der heutige “Menschenrechtsbeauftragte” der Bundesregierung fühlen, wenn er demnächst im Bundestag der verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung zustimmen soll? Man darf gespannt sein.

Die “Indikatoren” des Abhörens

Den nächsten Schlag gegen die Bürgerrechte führten die Sozialdemokraten in dieser Woche, indem sie einem Verfahren zum Umgang mit den sogenannten “Indikatoren”, der Schlüsselworte, nach denen der BND im Auftrag der NSA den internationalen Funkverkehr abhörten und entschlüsselten. Darunter sollen neben Politikernamen und Organisationen auch Firmen wie Daimler oder Airbus sein, deren Schutz vor Wirtschaftsspionage auf dem Spiel steht. Es ist wiederum kaum zu glauben, mit welcher Willfährigkeit und mangelnden Kritikfähigkeit die SPD dem vom Kanzleramt vorgeschlagenen Verfahren zugestimmt haben, dem Parlament, der Volksvertretung und damit höchsten Instanz der repräsentativen Demokratie keinen Einblick in diese Akten zu geben. Dies ist ein in der Geschichte der seit dem 2+4 Vertrag souveränen Bundesrepublik Deutschland ein verfassungsarechtlich einmaliger Vorgang, der so nicht hingenommen werden kann. Nach Artikel 19 steht – mit einer einzigen Ausnahme, den G 10 Maßnahmen, bei denen an Stelle der Gerichte besondere Kontrollkommissionen treten, der Rechtsweg offen. Auch die SPD hat mit der Zustimmung zum Verfahren, das eine unerträgliche Verstümmelung der Parlamentsrechte beinhaltet, der Verfassung schweren Schaden zugefügt. Sie haben zugestimmt, dass die USA sich jederzeit das Recht herausnehmen, die Souveränität Deutschlands nach Belieben einzuschränken. Für die USA gibt es wie für das alte Rom Rechte nur für Bürger 1. Klasse. Merke: Wer Guantanamo errichtet hat, wird freiwillig keine Bürgerrechte in Europa achten. Weil Merkel es nicht will und die SPD es nicht versteht, sich in der Koalition durchzusetzen, ist das Bundesverfassungsgericht die letzte Bastion, die Bürgerrechte zu verteidigen. Unverständlich, dass es den Parlamentariern vor allem der SPD nicht peinlich ist, dass seit über 20 Jahren die Richter in Karlsruhe die einzige Instanz sind, die der Einschränkung von Bürgerrechte entgegentritt.

Journalist Ahmed Mansur verhaftet

Wenn wir schon wussten, in einem Land zu leben, in dem es immer öfter der Richter aus Karlsruhe bedarf, die Verfassung vor dem Parlament zu schützen, so hat die Staatsgewalt am Wochenende mit der Verhaftung des arabischen Journalisten Ahmed Mansur durch die Bundespolizei in Berlin einen Übergriff völlig neuer Qualität begangen und damit unser Land erstmals seit den 60er Jahren wieder international ins demokratische Zwielicht gerückt. Mansur, ein international bekannter Journalist des im arabischen Raum weit und breit unabhängigsten Presseorgans Al Jazeera, das im Gegensatz zu allen anderen Medien der Region nicht staatliche Regierungspropaganda verbereitet, wurde eine Woche nach dem umstrittenen Besuch des neuen Ägyptischen Präsidenten von tumben Bundespolizisten aufgrund eines offensichtlich absurden Haftbegehrens der ägyptischen Regierung tatsächlich in Haft genommen. Schon die Vorwürfe muten abenteuerlich an: So soll der Journalist angeblich an “Folterungen” auf dem Tachia-Platz teilgenommen haben. Im übrigen hätten die Behörden den Sachverhalt bereits bei der Einreise zur Sprache bringen können – stattdessen wurde einer der wenigen Vertreter der demokratischen Öffentlichkeit im nahen Osten von deutschen Polizisten nicht nur an der Ausreise gehindert, sondern wie ein Straftäter inhaftiert. Das erinnert peinlich an die Festnahme von Herausgeber Konrad Ahlers in der Siegel-Affaire durch die spanische Polizei des Diktators Franco auf Betreiben von Franz-Josef Strauß. Merkel als Buddy der zweifelhaften ägyptischen Justiz – toll. Rechtstaat Bunderepublik Deutschland gebeugt vor dem Hintergrund eines ägyptischen Auftrags für Siemens über Milliarden Dollar.

Muff von vielen Jahren

Irgendwie erinnert das alles an den Muff von1968, große Koalition, die Notandsgesetze, das Verhältnis der damaligen Bundesregierung zum Schah von Persien. Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal gerät sie zur Farce. Im Gegensatz zu heute gab es damals sozialdemokratische und liberale Politiker, wie Willy Brandt und Walter Scheel, die nach einer finsteren Phase “mehr Demokratie wagen” wollten. Heute gibt es leider nur sozialdemokratische Vizekanzlerkandidaten wie Gabiel und Steinmüller und eine Kanzlerin, die in der DDR sozialisiert wurde und in der FDJ nicht viel über Bürgerrechte gelernt hat.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net