Im Rahmen meiner persönlichen Mediendiät gehe ich diesem Unsinn weiträumig aus dem Weg. Aber der Kollege Peer Schader/dwdl war so freundlich sich die Zeit damit zu vertreiben: Deutschland-Reports von ZDF & Sat.1: Fernsehen, warum tickst du so? – Auf ihren Reisen durchs Land wollen Paul Ronzheimer, Dunja Hayali und Eva Schulz mit Menschen ins Gespräch kommen, um deren Wut und Protest zu verstehen. Das ist ein ehrenwertes Anliegen. Es endet aber meist in denselben Plattitüden.” Ich subsumiere sie in die Pest der “Presenter”-Reportagen, die deutsche TV-Anstalten auch jungen Talenten aufoktroieren, statt ihnen anständigen Journalismus beizubringen.

Darum ist eine Diagnose Schaders gleich am Anfang auch falsch: “… die politisch-gefühlige Zuhör-Reisereportage! In der geht es ausnahmslos um Themen, die gerade das Land bewegen.” Es geht nicht um Themen oder gar das Land – es geht um sie selbst. Es geht um das Medium und sein*e Presenter*in, die weder “das Land” noch gar die Welt verstehen. Ihr Selbst steht im Mittelpunkt der Reportagen. Darum sind sie so überflüssig. Update nachmittags: besonders extremistisch in dieser Hinsicht “Der Spiegel” (die Alten erinnern sich vielleicht an die Werbung “Spiegel-Leser wissen mehr” – haben wir gelacht). Hinter dessen Paywall darf doch tatsächlich – und angeblich – kein*e Redakteur*in, aber ein Layouter, eine Meinung der Bevölkerungsmehrheit äussern. Nicht dass mich das juckt – aber für einstige “Massenmedien” ist das deprimierend.

Nach diesem Urteil wird fast schon zur Nebensache, dass das Medium TV seiner angeblichen einstigen “Lagerfeuer”-Rolle hinterhertrauert – damals, als angeblich alle am Samstagabend das Gleiche geguckt und montags auf der Arbeit miteinander darüber gesprochen haben. Dieses irre Bild der einigen Volksgemeinschaft nimmt bewusstlos Anleihen bei faschistischen Weltbildern, und hat zum Glück in meiner Lebenszeit (seit 1957, in der BRD) nie gestimmt.

Tatsache war und ist: es ist die Ökonomie, die im Kapitalismus nicht ausräumbare Interessengegensätze schafft. Die in öffentlichen Medien zu leugnen und wegzuschwadronieren ist ein Verdummungsversuch. Mal ist er, wie gegenwärtig, mehr, und mal weniger erfolgreich.

Fast kein einziges der im Grundgesetz (Art. 1-19) festgelegten Grund- und Menschenrechte gilt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit hierzulande für alle gleich. Das sind gute Gründe uneinig und “gespalten” zu sein, auf jeden Fall sich heftig darüber zu streiten, und dafür Verantwortliche politisch dingfest zu machen.

In meiner Lebenszeit gab es Jahrzehnte, in denen diese Tatsache in öffentlichen Medien benannt und rauf und runter debattiert wurde. In jenen Zeiten war ich Fan dieser Medien. Sie zeigten: es ist möglich.

Holzmedien

Ein Holzmedium will sich nächstes Jahr verabschieden: die gedruckte taz. Ich lese sie nun schon seit Jahren nur noch digital, und bin sehr zufrieden damit. Nicht zufrieden bin ich mit der egomanischen Orientierung zahlreicher ihrer Texte. Das halten die in Berlin wohl für authentisch, weil sie mit der Wahrnehmung gesellschaftlicher Realitäten ähnliche Probleme haben, wie die oben niedergemachten “Presenter”-Reportagen. Wenn ich Ausnahmen erlebe, werden sie meistens von mir hier im Extradienst erwähnt.

Das Einzige, was ich ein wenig vermisse, ist die Kreativität der Titelseiten-Aufmacher. Dafür hat sich die taz mit Recht einigen Ruhm erworben. Ich würde ihr raten, das bei der Optik ihrer digitalen Präsentation auffälliger herauszuarbeiten.

Mehr will ich von ihr nicht. Was sich für mich nie geändert hat: ein Leitmedium war sie nie und wird sie nicht. Wer sich ausschliesslich bei ihr “informiert”, nagelt sich die Welt mit Brettern zu. Aber das gilt für jedes Medium. Darum lese ich 30 am Tag.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net