Die Verhandlungen zwischen Moskau und Washington sowie die Konfrontation zwischen EU und USA sind ein dramatischer Umschwung im internationalen System. Der Westen ist jetzt gespalten. Die globalen Kräfteverhältnisse sortieren sich neu.

Der Schock ist groß. „Unser Feind Putin ist jetzt Trumps Freund“, titelte die Bild-Zeitung und der Chefautor des Handelsblatts beklagt „eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes“. Beides ist zwar eine Übertreibung von Trump’schem Format, aber die Aufgeregtheit der Funktionseliten in Brüssel und den Hauptstädten kann man verstehen: sie müssen zwei hammerharte Schläge auf einmal verdauen.

Erstens ist die Ukraine dabei den Krieg zu verlieren. Das hatte sich schon vor dem Wechsel in Washington abgezeichnet. Trump hat das früh erkannt. Befangen in grotesker Realitätsverweigerung glaubt man dagegen in Berlin-Paris-Tallin-Brüssel, mit mehr Waffen wenn schon nicht mehr zu siegen, doch wenigstens die Verhandlungsposition Kiews stärken zu können. Aber ohne die USA werden Waffenlieferungen aus der EU das Blatt nicht wenden. Sie würden lediglich das Töten verlängern. Je länger es dauert, umso schlechter für die
Ukraine – und damit ihre europäischen Sponsoren. Sie schießen sich ins eigene Knie.

Zweitens ist die aktuelle Konfrontation zwischen den USA und der EU tatsächlich ein Bruch von historischer Tragweite. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs waren die transatlantischen Beziehungen der harte Kern des politischen Westens. Diesen Westen gibt es nicht mehr.

Machtpolitisch war das transatlantische Verhältnis immer asymmetrisch. Auf der einen Seite die Supermacht USA als großer Bruder, auf der anderen Seite dessen Schützlinge unterm militärisch/atomaren Schild. Zwar gab es nach dem Kalten Krieg einige Versuche zur Eigenständigkeit – man denke an die Nichtbeteiligung von Chirac und Schröder am Irakkrieg –, aber spätestens mit dem Afghanistankrieg war das wieder vorbei. Als dann die Biden-Administration nach dem Scheitern der Istanbuler Verhandlungen den Ukrainekrieg zum Stellvertreterkrieg machte, bildeten Polen, das Baltikum, das grün-linksliberale Spektrum quer durch die EU sowie die traditionellen Ostlandritter von Anfang an eine Koalition der Willigen, die Biden aus eigenem Antrieb gern folgte. Diplomatie und politische Konfliktlösung, wie die UN-Charta sie verlangen, waren dagegen tabu.

Das außenpolitische Scheitern der EU fällt mit einem wirtschaftlichen Niedergang zusammen, den der hauseigene Draghi-Report als „existentielle Herausforderung“ bezeichnet, und der dazu führen könnte, dass die Union „ihre Existenzberechtigung verlieren“ würde, wenn nicht die Wende gelingt.

Ukrainepolitik der EU gescheitert

Jetzt steht die EU vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Empört wird geklagt, dass Verhandlungen ohne sie begonnen wurden. Aber wäre es nach ihren Vorstellungen gegangen, wären Verhandlungen erst gar nicht zustande
gekommen.

Sicher ist es notwendig, Kiew ab einem bestimmten Zeitpunkt einzubeziehen. Aber hätte Trump nicht das Eis gebrochen, hätte die Führung in Kiew weiter gemacht, womöglich bis zum vollständigen Zusammenbruch. Die meisten Ukrainer dürften Trump insgeheim dankbar sein, dass statt des Schreckens ohne Ende jetzt ein Ende des Schreckens in greifbare Nähe rückt.

Auch die EU oder ihre wichtigsten Regierungen werden irgendwann einbezogen werden, wie Washington bereits signalisierte. Wann und wie hängt aber nicht von deren Wünschen ab, sondern von den transatlantischen Kräfteverhältnissen. Und da ist die EU eben seit 80 Jahren zweite Liga.

So befangen, wie die europäischen Funktionseliten in rein militärischer Logik und viele geradezu besessen von Hass gegen Russland sind, ist man auch von Peking bis Johannesburg und von Brasilia bis Neu Delhi froh, dass die Europäer erst mal aus dem Spiel sind. Ohne die USA werden sie nicht mehr lange Öl ins Feuer gießen können. Zumal ein Stellvertreterkrieg nur so lange funktioniert, wie der Stellvertreter dazu in der Lage ist.

Auch die Absicht, Truppen aus EU-Mitgliedsstaaten nach einem Friedensabkommen in der Ukraine zu stationieren, ist nicht sehr realistisch. Und das nicht nur, weil Moskau dies als NATO-Präsenz minus USA und damit als erneute Missachtung seiner Sicherheitsinteressen nicht akzeptieren wird. Ein gemeinsames Paper des Brüsseler Think Tanks Bruegel und dem Kieler Institut für Weltwirtschaft rechnet aus, dass 300.000 Mann und 250 Milliarden Euro dafür notwendig wären. Und das auch nur für die Anfangsfinanzierung. Aber selbst wenn man nur die Hälfte veranschlagt, wäre das eine Belastung, die den wirtschaftlichen Abstieg nur beschleunigen würde. Auch hier gilt: Wollen ist eine Sache, Können eine andere.

Sobald die Messen zum dritten Jahrestag des russischen Einmarsches gelesen sind, dürften nicht nur Ungarn und die Slowakei Vorstöße machen, freundschaftliche Beziehungen mit Washington anzubahnen. Ebenso stehen
Giorgia Meloni und der polnische Ministerpräsident schon in den Startlöchern, um ihre special relations zu Trump zu aktivieren.

Auch wenn eine bessere Welt wünschenswert wäre, wenn es hart auf hart kommtsind die machtpolitischen Kräfteverhältnisse immer noch die entscheidende Währung, in der die internationalen Beziehungen abgewickelt werden. Die EU verfährt übrigens genauso, wenn sie ihr ökonomisches Potential in ungleichen Handelsverträgen mit Entwicklungsländern oder für Sanktionen in Stellung bringt.

Riskantestes Eskalationspotential

Gegenwärtig tobt nicht nur in der Ukraine die Furie des Krieges. Auch im Nahen Osten und im Kongo gibt es blutige Konflikte. Und für alle ist ein rasches Ende dringend geboten. Dennoch ist der Krieg in der Ukraine aus globaler Perspektive der bedrohlichste. Er birgt das riskanteste Eskalationspotential und die international weitreichendsten Konsequenzen. Denn eine Hauptkriegspartei ist Atommacht, an deren Grenzen direkt gekämpft wird, und durch die ukrainische Besetzung von Teilen der Region Kursk sogar auf deren Territorium. Das hat es noch nie gegeben. Alle Kriege der USA fanden immer Tausende Kilometer von ihren Grenzen entfernt statt – in Korea, Vietnam, Jugoslawien, Irak, Afghanistan oder Libyen. Als 1962 die Sowjets in Kuba Raketen 150 Kilometer vor Miami stationieren wollten, wäre die Hölle losgebrochen, wenn Chruschtschow nicht seine Schiffe hätte umkehren lassen.

Darüber hinaus beeinträchtigt der Wirtschaftskrieg gegen Russland auch die gesamte Weltwirtschaft. Lieferketten müssen aufwendig reorganisiert werden, es entsteht Investitionsunsicherheit. Unter dem Zwang, die wirtschaftliche Abkopplung von Russland zu kompensieren, nimmt die Konkurrenz um Rohstoffe zu. Und da nimmt die EU, wie schon beim Corona-Impfstoff, auch keine Rücksicht auf ökonomisch weniger potente Länder.

Aus all diesen Gründen ist es richtig, wenn die Beendigung dieses Krieges jetzt Priorität hat. Und es ist deshalb auch richtig, Trumps Initiative zu unterstützen.

Trumps Widersprüchlichkeit

Das heißt keineswegs, der Außenpolitik der neuen Administration generell zuzustimmen. Zwar war der Umgang der USA mit dem Völkerrecht auch bisher immer ihren geopolitischen Interessen untergeordnet. Aber Trumps offener Rechtsnihilismus bemüht sich nicht einmal mehr um eine rechtliche Legitimation. Die Bindewirkung von multilateralen Organisationen und Verträgen ist ihm lästiger Klotz am Bein – siehe den Austritt aus der WHO, oder die Kündigung des Pariser Klimaabkommens. Die abstruse Idee, den Gaza Streifen in eine ‚Riviera‘ mit Luxushotels, Golfplätzen und Spielcasinos zu verwandeln und dafür die Palästinenser zu deportieren, bedarf keiner weiteren Kommentierung. Ähnliches gilt für seine Äußerungen zu Grönland, Kanada und Panama, oder die Drohung gegen die BRICS, Zölle von 100 Prozent zu verhängen, wenn sie eine Alternative zum Dollar als internationaler Währung etablieren.

Ein nüchterner Blick sollte aber die Widersprüchlichkeit der neuen US-Außenpolitik nicht zugunsten der weit verbreiteten Sehnsucht nach einfachen, klaren Verhältnissen einebnen. Es ist eines der Merkmale einer multipolaren Weltordnung, dass man sich nicht mehr an einem simplen Lagerschema orientieren kann, wenn man realitätstüchtige Außenpolitik machen will. Der Begriff ‚multivektorielle Außenpolitik‘ oder auch Außenpolitik ‚tous azimuts‘ (frz. ‚in alle Himmelsrichtungen‘) bezeichnet diesen Politiktypus.

Ein typisches Beispiel ist Indien. So treibt das Land intensiven Handel mit Russland und unterläuft mit den indisch-russischen Ölgeschäften die Sanktionen. Parallel dazu beteiligt sich Neu Delhi aber an der sogenannten Quad-Gruppe, eine sicherheitspolitische Konsultationsplattform mit den USA, Japan und Australien. Das soll die Rivalität und den Territorialkonflikt mit China im Himalaya ausbalancieren. Gleichzeitig aber ist Indien auch BRICS-Mitglied, und am Rande des BRICS-Gipfels in Kasan gab es eine bilaterale Verständigung mit Peking zur Deeskalation.

In gleicher Weise kann man Trumps Ansatz einer politischen Lösung für den Ukrainekrieg unterstützen, ohne sich automatisch mit seinen anderen Initiativen identifizieren zu müssen.

Natürlich ist eine multivektorielle Außenpolitik komplizierter als eine Staatenwelt, die in zwei simple Wagenburgen, in die Guten und die Bösen bzw. in Demo- und Autokratien eingeteilt ist. Für Anhänger einer Außenpolitik, die gern mit moralisierendem Sendungsbewusstsein auftritt, oft mit dem Ziel von Regimechange, muss das natürlich als prinzipienlos oder bestenfalls als ‚Schaukelpolitik‘ erscheinen.

Das ist jedoch keineswegs ein Plädoyer für eine Außenpolitik ohne normative Orientierung. Die obersten Werte sind hier nämlich Frieden, politische Konfliktlösung und Kooperation. Auch wenn uns, um Brecht zu zitieren, „die Worte bereits wie Asche in unserem Mund sind“, so bleibt die Binsenweisheit vom Frieden, ohne den alles andere nichts ist, doch Weisheit.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus Makroskop, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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