Die Wohnungsfrage ist im real existierenden Immobilienkapitalismus Mittel- und Westeuropas die Klassenfrage unserer Zeit. Immer wieder geht der Blick jener, die Alternativen zur misslichen Wirklichkeit suchen, dabei nach Österreich. Österreichische Freunde, wie z.B. mein alter Journalistenfreund Adalbert Krims, den ich in den 70ern in Bonn kennenlernte, wehren sich mit einigem Recht und profunder Sachkenntnis gegen die Verherrlichung österreichischer Realitäten. Der frühe Aufstieg der dortigen FPÖ, in vielem der deutschen AfD als Vorbild dienend, spricht sehr dafür, dass vieles, was in deutschen Augen glänzt, innen böse morsch geraten sein muss. Wie ist das z.B. mit Alterlaa?

Ich habe das noch nie gesehen. Bis diese abgelaufene Woche auch nie davon gehört. Warum eigentlich nicht? Das “Kleine Fernsehspiel” des ZDF versenkte Montagnacht diese spannende Dokumentation:

27 Storeys – 27 Stockwerke, 10.000 Menschen. Eine Dorfgemeinschaft mitten in der Stadt. Ein Einblick in den weltberühmten Wohnpark Alterlaa in Wien, der als ikonisches Monument sozialer Utopie gilt”.

Weltberühmt? Ich kannte das nicht. Bianca Gleissinger, die Filmemacherin, ist dort aufgewachsen. Distanz täuscht sie gar nicht erst vor. Warum sie jetzt in Berlin lebt, bleibt ein Rätsel.

Gut, ich hatte das noch nie gesehen. Und optisch ist das, was dort zu sehen ist, ein Hammer. Aber noch sensationeller ist mit den deutschen Erfahrungen in solchen Siedlungen, warum es dort so aussieht, wie beim Erstbezug. Kein Dreck, unsichtbarer Müll, gepflegte Anlagen innen und aussen. Wie kann das sein? Was ist das Geheimnis, das nicht bis Tannenbusch, Chorweiler, Mümmelmannsberg oder ins Hannoveraner Ihne-Zentrum gedrungen ist?

Moritz Keilholz/Jungle World versucht sich an einer politischen Erklärung: Mieterparadies Österreich? Die Hauptstadt der Alpenrepublik gilt als Vorreiter bei der Erhaltung erschwinglichen Wohnraums: Wohnen in Wien – Die Hauptstadt Österreichs gilt europaweit als Vorreiter bei der Erhaltung erschwinglichen Wohnraums. Und das tut städte­baulichem Ehrgeiz keinen Abbruch: Sogar Freibäder auf Hochhausdächern haben die Wiener.”

Das sind die wichtigen Diskussionen unserer Zeit. Warum fassen die real existierenden Kommunalpolitiker*innen und die mit ihnen eingebetteten Medien das so wenig an? These: weil die Medienbesitzer*innen und ihre Clans selbst Teil des Immobilienkapitals sind. Der OppenheimEschFond in Köln z.B. weiss, was ich meine.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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