Kapitalismus beutet Konsum statt Arbeit aus
Konsumieren Sie? Dann sind Sie die neue Arbeiterklasse. Sie zahlen noch mit Geld? Wertvoller als das sind Ihre Daten. Diesbezüglich ist jetzt Steinzeit: wir geben sie weg für Nichts. Über die zukünftige Weltherrschaft wird entscheiden, wer die meisten Daten besitzt und “intelligent” verwertet. Darum konkurrieren die kalifornischen und chinesischen Konzerne. Auch Indien kennt die strategische Relevanz dieser Frage. Traditionelle Industriezweige (Autos, Handelskonzerne) versuchen verzweifelt dazwischen zu kommen. Und auch der Blinddarm Eurasiens, Europa.
Dieses Bild zeichnet sich ab in dem lesenswerten Text von Timo Daum bei heise-online: “Missing Link: KI – die Künstlichen Idioten des digitalen Kapitalismus”. Der wichtigste Satz kommt ganz am Schluss: “Eine Debatte um Alternativen, jenseits der Verwertungslogik, jenseits verschiedenster Formen der fremdbestimmten Arbeit und jenseits von die persönliche Freiheit bedrohenden Entwicklungen steht auf der Tagesordnung.”
Und das ist aus meiner Sicht die einzige Chance Europas für seine Selbstbehauptung: diese Debatte schneller und besser als alle Anderen zu führen, und mit solcher “Soft Power” Ausstrahlung auf die Welt zu behalten. Werden die Daten der Menschen eines Tages fair bezahlt? Und welche sind uns so viel wert, dass sie mit Geld nicht zu kaufen sind? Es steht ein politischer Emanzipationskampf an, mit den Kämpfen der Arbeiterklasse im 19. und 20. Jahrhundert vergleichbar. Wer meint sich das ersparen zu können, hat schon aufgegeben.
Update 4.3.: Evgeny Morozov/SZ entlarvt manche meiner hier artikulierten Gedanken als kapitalismusimmanentes Realo-Denken. Die SZ hat es mit ein paar Tagen Verspätung online gestellt. Und ja, ich finde Morozov hat Recht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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