Auch vor Betrieben machen rechte Parolen nicht halt. Das Erfolgsrezept gegen sie lautet: Sich gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen stark machen. Wer Solidarität und Selbstwirksamkeit erlebt, ist deutlich weniger anfällig für rechtsextremes Gedankengut

Wichtig ist ihm, Mut zu machen. Deshalb baut er vorsichtshalber schon mal vor. “Egal, wie gut die AfD bei den Wahlen abschneidet”, sagt Pflegeazubi Tim Germann aus Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. “Egal, wie scheiße das ist. Davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Gemeinsam können wir etwas bewegen. Und zwar vor allem in den Betrieben.” Als Reichsbürger während der Coronapandemie jeden Montag durch seine Heimatstadt marschierten und falsche Nachrichten verbreiteten, trommelte Tim Germann ein paar Freund*innen zusammen und stellte sich ihnen auf der Straße entgegen. Woche für Woche, ein Dreivierteljahr lang. Auch bei den Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Magdeburg war er vorne mit dabei. Doch der 23-Jährige ist überzeugt, dass es ganz besonders auf das Engagement in den Betrieben ankommt, um die Demokratie zu bewahren und zu stärken.

“Egal, wie gut die AfD bei den Wahlen abschneidet. Davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Gemeinsam können wir etwas bewegen. Und zwar vor allem in den Betrieben.” Tim Germann, Pflegeazubi

Im Krankenhaus spüre er viel Unmut, sagt der Azubi. Personal sei knapp, der Stress werde immer größer. Hinzu kämen finanzielle Sorgen. Vielen Beschäftigten setze die Inflation stark zu. “Diesen Unmut macht sich die AfD zunutze.” Indem sie die Belegschaft versucht zu spalten – und erneut Feinbilder beschwört. Tim Germann verweist darauf, dass die rechtsextreme Partei offen zugibt: “Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.” Das Erfolgsrezept gegen rechte Hetze sei deshalb, sich gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen stark zu machen.

Der ver.di-Jugendsekretär Nick Schöbel aus Magdeburg ist davon auch überzeugt und hebt das Potenzial der Gewerkschaften hervor. Während sich politisches Engagement in Parteien auf die Freizeit beschränke, seien Gewerkschaften mittendrin. Die Menschen verbrächten viel Zeit auf der Arbeit, kämen dort mit vielen unterschiedlichen Personen zusammen, auch außerhalb der eigenen Sphäre. “Auf der Arbeit treffen sich alle.” In der Gewerkschaft erlebten sie Solidarität und Zusammenhalt, könnten diskutieren und streiten, sagt Nick Schöbel.

Kür des schrecklichsten Betriebs

Die ver.di Jugend ist in der Region präsent. Und setzt den Ton: Sie lädt alle neuen Azubis zum Willkommenstreffen in die Strandbar ein, geht gegen Rechtsextremisten auf die Straße, organisiert Radtouren zu KZ-Gedenkstätten und kürt an Halloween den schrecklichsten Betrieb. Das Gute daran: “Wir erleben in letzter Zeit einen deutlich größeren Zulauf.”

Der Jugendsekretär sagt, dass der Rechtsruck in den Betrieben stark zu spüren ist. “Das ist total bitter.” In der Corona-Pandemie haben Rechte versucht, die Situation im Gesundheitswesen für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. Das ist auch der Grund, warum eben dort der Widerstand gegen rechte Umtriebe bereits konkrete Formen angenommen hat. Vor allem Jugendliche litten unter der Hetze, sagt Nick Schöbel. “Das macht etwas mit ihnen.” Als Beispiel verweist der Gewerkschafter auf junge Frauen, die ihre Ausbildung zur Hebamme abgebrochen hätten oder sich auf andere Stationen versetzen ließen. Täglicher Rassismus sei der Grund. Es gelte oftmals als “völlig normal”, abwertend über Menschen mit Migrationsgeschichte zu sprechen oder schwarze Frauen bei der Geburt schlechter zu behandeln. Das seien zwar Einzelfälle, bemerkt Nick Schöbel, aber die häuften sich. Was tun?

Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans Böckler Stiftung kommt zu dem Schluss: “Gute Arbeit ist schlecht für die AfD.” Ob Stolz auf die eigene Arbeit, angemessener Lohn, Anerkennung, Mitsprache oder Zufriedenheit mit dem Job: Wer AfD wählt, bewertet alle Punkte schlechter. Mit anderen Worten: Die AfD ist dort besonders stark, wo die Unzufriedenheit besonders groß ist.

Deshalb will Tim Germann aus dem Harzklinikum auch konkret im Betrieb etwas verbessern. Seine Shirts und Buttons zeigen, dass er was gegen Rechtsextreme hat. Und natürlich hält er dagegen, wenn mal wieder jemand sagt, er “habe ja nichts gegen Ausländer – aber …” Auch deshalb widmet sich der 23-Jährige vor allem dem Aufbau einer Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) in seinem Krankenhaus. Für ihn steht fest: “Die Bedingungen zu verbessern, ist das beste Mittel gegen rechte Spaltung.”

Solidarität sticht rechte Einstellungen

Die Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig betont, wie wichtig die Erfahrung der Beteiligung, Solidarität und Anerkennung ist: Rechtsextreme Einstellungen sind seltener, die Zufriedenheit mit der Demokratie größer. Das heißt nicht, dass Gewerkschafter*innen per se weniger anfällig für rechte Propaganda sind. So erhielt die AfD zum Beispiel zuletzt bei der Landtagswahl in Hessen 2023 insgesamt 18,4 Prozent. Unter männlichen Gewerkschaftern war sie nach Angaben des DGB mit 26 Prozent sogar die meistgewählte Partei, vor CDU und SPD. Die Autoritarismus-Studie stellt klar, dass die Mitgliedschaft allein wenig aussagt, die Erfahrungen allerdings sehr wohl einen Unterschied machen. Und zwar im positiven Sinn.

Davon ist auch Marcus Drobny vom ver.di-Bildungsprojekt “Demokratie und Vielfalt in Sachsen” – kurz DuVis – überzeugt. Viele Menschen wendeten sich von der Demokratie ab, weil sie sich nicht mitgenommen fühlten. Umso wichtiger sei die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. “Für die Prävention ist das der wichtigste Punkt überhaupt”, betont Marcus Drobny. Dabei spielten Betriebs- und Personalräte eine wichtige Rolle. “Es geht um Mitbestimmung in der Gesellschaft und im Betrieb.” Eine andere WSI-Studie zeigt, dass Gewerkschaften großes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Das gilt auch für jene, die die AfD oder gar nicht wählen. Generell lässt sich feststellen: Sind die Menschen mit der Arbeit ihres Betriebsrats zufrieden, fällt auch ihr Vertrauen in die Gewerkschaften höher aus.

Mit dem – bis zum Jahresende befristeten – DuVis-Projekt will Marcus Drobny die Beschäftigten in den Betrieben stärken, rechten Parolen zu widersprechen. “Unsere Botschaft lautet: Steckt den Kopf nicht in den Sand, wir unterstützen euch.” Zum Beispiel durch Knowhow. DuVis stellt kostenlose Bildungsangebote bereit, unter anderem Seminare zu Verschwörungsmythen, Argumentationstrainings gegen rechte Parolen und Workshops zum AfD-Wahlprogramm. Das Projekt ist Teil des bundesweiten Förderprogramms “Initiative betriebliche Demokratiekompetenz” des Bundesarbeitsministeriums, das noch bis Ende 2024 läuft.

Das Angebot stehe allen offen, betont Marcus Drobny. Doch Betriebs- und Personalräte hätten oft andere Sorgen und das Thema nicht auf ihrer Prioritätenliste. “In erster Linie erreichen wir Azubis.” So lädt zum Beispiel die JAV der Dresdner Verkehrsbetriebe zweimal im Jahr alle Azubis zu einer ganztägigen Versammlung während der Arbeitszeit ein, auf dem Programm steht stets auch ein Workshop von DuVis. “Uns geht es darum, die Auszubildenden frühzeitig zu sensibilisieren”, sagt Lea Bilischek, 21. “Wir wollen schon vorher aufzeigen, für welche Werte wir stehen. Damit sich rechte Tendenzen gar nicht erst festigen können.”

Raus aus den Echoblasen

Solche Workshops bietet auch Annika Stange seit Jahren ehrenamtlich für das ver.di-Bildungsprojekt an, unter anderem zu Flucht und Asyl. “Das Thema können und dürfen wir nicht mehr ausklammern”, findet die 29-Jährige. Bei der Landtagswahl in Hessen gab über die Hälfte der AfD-Wähler*innen an, dass die Zuwanderung für ihre Wahlentscheidung das wichtigste Thema war. Rechte Kräfte hätten das Thema fest besetzt, sagt Annika Stange. Es fehle an Gegennarrativen. Bei den Projekttagen mit Azubis kommen in der Regel die typischen Klischees und Vorurteile zur Sprache. Die Referentin fragt viel nach und versucht, zu verstehen: “Welche Ängste stecken dahinter?” Wichtig sei, ins Gespräch zu kommen. Oft bewegten sich Meinungen nur noch in “Echoblasen” und festigten sich immer weiter.

Zugleich gehe es darum, eine klare Grenze aufzuzeigen: “Stopp!” Es gelte, rassistischen Kommentaren immer etwas entgegenzusetzen. Vor allem für das Umfeld. “Damit die Menschen sehen: Da steht jemand auf und sagt etwas dagegen.” Stillschweigen werde sonst oft als Zustimmung gewertet. Und die Gefahr sei groß, dass sich die Grenzen weiter nach rechts verschieben.

Im Workshop liefert die Referentin viele Zahlen und Fakten: Wer kommt nach Deutschland? Wie verläuft so eine Flucht? Wie viele Menschen sterben im Mittelmeer? Und wie groß muss das Leid sein, damit jemand so eine Gefahr in Kauf nimmt? “Da passiert etwas”, sagt Annika Stange. Neulich habe eine Auszubildende erzählt, dass ihre Kollegin aus Syrien viel schlechter behandelt werde als sie selbst. “Das hat viele wachgerüttelt.”

Der Weckruf

Ob Informationen, Beratung oder Aktionen gefragt sind: In allen Bundesländern können Beschäftigte auf professionelle Unterstützung zählen. Darüber war zum Beispiel der Personalrat des Stauferklinikums in Schwäbisch-Gmünd in Baden-Württemberg heilfroh. Während der Coronapandemie hatte dort eine Kollegin am Wochenende mit Plakaten kurzfristig zu einem “Fünf-Minuten-Streik” gegen die Impfpflicht im Krankenhaus aufgerufen. Die Nähe zu rechten Kreisen lag auf der Hand. Zwar lehnte auch ver.di die Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitseinrichtungen ab. Doch AfD & Co. befeuerten die Debatte und nutzten sie für ihre rechte Hetze. In vielen Gesundheitseinrichtungen war das für die ver.dianer*innen eine Art Weckruf, endlich zu handeln.

Der Personalrat des Stauferklinikums erfuhr zwar erst am Montagmorgen – im letzten Moment – von dem Aufruf. “Wir waren zunächst völlig erschreckt und ratlos”, berichtet Personalrätin Ingrid Müller. Da aber meldete sich bei ihnen Lukas Hezel vom DGB-Bildungswerk Baden-Württemberg, ebenfalls Teil der bundesweiten “Initiative betriebliche Demokratiekompetenz”: Der Gewerkschafter hatte den Aufruf in die Hände bekommen und konnte einen Bezug zur rechtsextremen Szene belegen. Gemeinsam stellten sie in Windeseile eine Gegendemo auf die Beine.

Als wenig später etwa 60 sogenannte Querdenker*innen vor das Krankenhaus zogen, postierten sich die Gewerkschafter*innen vor dem Eingang, mit knallrotem Transparent: “Wer mit Rechten marschiert, hat nichts kapiert.” Eine Demonstrantin rief, wo hier bitte schön Nazis seien. “Na dort”, erwiderte Lukas Hezel – und zeigte auf Oliver Hilburger: Er ist tief in der Neonaziszene verwurzelt und hat die rechtsradikale Pseudo-Gewerkschaft “Zentrum Automobil” gegründet, die inzwischen nur noch “Zentrum” heißt. “Mir lief es kalt den Rücken runter”, gesteht Ingrid Müller. “Gut, dass Lukas dabei war. Das hat uns viel Sicherheit gegeben.”

Schnell stellte sich heraus, welche Kollegin die Plakate aufgehängt hatte. Sie gehörte der rechten Pseudo-Gewerkschaft Zentrum Gesundheit & Soziales an. “Da hat ein ganz dicker rechter Sumpf dahintergesteckt”, betont die Personalrätin. Chatverläufe zeigten, dass die Pflegekraft die eine oder andere Kollegin bereits angesprochen hatte. Da sie als Praxisanleiterin mit vielen jungen Leuten in Kontakt stand, wurde sie sofort auf eine andere Station versetzt, inzwischen hat sie gekündigt.

“Jeder Funke, der dagegenhält”

“Total wichtig ist, direkt beim ersten Anzeichen aktiv zu werden”, ist Ingrid Müller überzeugt. Außerdem rät sie: Unterstützung holen. “Unser Glück war, dass Lukas direkt auf uns zugekommen ist. Jetzt wüssten wir, wo wir uns hinwenden können.” Die Gewerkschafterin lobt auch die Klinikleitung, die sich klar positioniert und entschieden gehandelt habe. “Das ist wichtig.”

Viele Unternehmen verfügen über einen Verhaltenskodex, der Rassismus und Diskriminierung missbilligt. Darauf würde er sich im Ernstfall immer berufen, sagt Marcel Bärmann, Betriebsrat in der Zentralklinik Bad Berka in Thüringen. Doch Fakt ist: Es braucht Beschäftigte, die bei rechten Tendenzen dagegenhalten. Sonst kann leicht die Stimmung im Betrieb nach rechts kippen. “Wir dürfen uns nicht wegducken”, findet der ver.di-Aktive. Wichtig sei, bewusst das Gespräch zu suchen. “Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger.”

Immer wieder erklärt er Kolleg*innen, dass die AfD nicht die Interessen der einfachen Leute vertritt. Auch eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung macht klar: “Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen”. Schließlich profitieren die allerwenigsten von ihnen von Steuersenkungen für Spitzenverdiener*innen, von niedrigeren Löhnen für Geringverdiener*innen und einer Beschneidung der Sozialsysteme. Die AfD steht für eine Umverteilung von unten nach oben. “Das ist vielen gar nicht bewusst”, sagt der Medizinisch-technische Laborassistent. Er verweist auch auf den Personalmangel. Seine Klinik werbe Pflegekräfte aus Indien, Vietnam, Marokko und Madagaskar an. “Wenn sie uns verlassen, kann unser Haus zu machen.”

Vor der Landtagswahl in Thüringen will Marcel Bärmann aktiv Aufklärung betreiben und Leute ansprechen, auch im eigenen Betrieb. “Das ist das Nonplusultra.” Nicht immer fällt es ihm leicht. So musste er neulich tief Luft holen, als er sich in ein Gespräch von Kolleg*innen einmischte. “Aber die Hemmschwelle muss man überwinden”, findet der Gewerkschafter. “Das ist so wahnsinnig wichtig: Jeder Funke, der dagegenhält.”

Direkte Hilfe

Unterstützung gegen rechte Hetze im Betrieb findet ihr hier:

Initiative für betriebliche Demokratiekompetenz

DuVis – Demokratie und Vielfalt in Sachsen

MOBIT – Mobile Beratung in Thüringen

Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Einige Links wurden nachträglich eingefügt.

Über Kathrin Hedtke / ver.di-publik:

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