Die Fälle NSU und NSA haben vieler Menschen Fantasie übertroffen, wenn nicht im Prinzip, so doch im Ausmaß. Bei mir jedenfalls. Bin ich darum jetzt paranoid? Ist das vielleicht schon ein beabsichtigter Zweck? Muss man wohl jetzt alles für möglich halten.

Herr Edathy war Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses. Er soll seine Arbeit gut gemacht haben. Schreiben alle Autoren, die ich bisher dazu gelesen habe. Eine gewisse Schärfe bei einigen Befragungen soll ihm nicht fremd gewesen sein, was der Wahrheitsfindung eher gedient haben soll. Freunde bei den Befragten macht man sich so nicht. Also auch nicht bei den befragten Geheimdiensten. Dabei wird Edathy keineswegs als geheimdienstfeindlicher Fundamentalist beschrieben, eher als gemäßigter Sozialdemokrat. Aber das sind Eigenschaften, die für stabile Freundschaften wohl nicht ausreichen.

Die andere, die NSA-Affäre hat uns gelehrt, oder mich zumindest, dass Geheimdienste grundsätzlich alles auch machen, was überhaupt technisch möglich ist. Technisch möglich wiederum ist derzeit fast alles, was ich mir heute überhaupt vorstellen kann.

Das wiederum, das habe ich bei NSU und NSA wahrgenommen, wird mitunter von der Wirklichkeit noch locker übertroffen.

Warum soll es also Edathy selbst gewesen sein, der sich irgendwelchen Dreck auf seinen Computer geladen hat? Warum kann nicht irgendein Dienst seine Identität geklaut und das dort abgelegt haben? Und ist einer wie Edathy wirklich so bescheuert, um Spuren zu „verwischen“, demolierte Festplatten in seiner zu durchsuchenden Wohnung rumliegen zu lassen, wenn er seit Monaten von Ermittlungen weiß? Gut, ich kenne Leute, die so bescheuert wären. Edathy kenne ich nicht.

Die Hinweisgeber sind interessant. Die Ermittlungen gegen Edathy sollen durch Hinweise aus Kanada ausgelöst worden sein. Die kanadischen Dienste gehören zu den 4 bevorzugten Freundesländern der NSA. Könnte es also eine Retourkutsche an die paranoiden, ausrastenden Deutschen sein? Ein nicht unwichtiger, aber auch nicht zu wichtiger Abgeordneter als Kollateralschaden, ein wirklich nicht mehr wichtiger Bundesminister, und ein paar Einschläge ganz nah an der niedersächsisch dominierten SPD-Spitze, um der gleich mal zu demonstrieren, wo es so langgeht. Auch Frau Merkel und Herr Northstream-Schröder sind nah genug dran, um die Einschläge zu vernehmen.

Überhaupt Niedersachsen und sein Justizapparat. Wäre der nicht mal eigene Promotionsarbeiten wert? Immerhin haben sie dort schon einen richtigen Bundespräsidenten in ihrem Colt eingekerbt. Jetzt noch einen kürzlichen Bundesinnenminister dazu, dagegen ist ein Edathy ja fast schon ein kleines Licht, „Beifang“ sagen sie dazu an der Küste. Oppermann, Steinmeier, Gabriel, alle beteiligt, alle Niedersachsen. Ist dort Bürgerkrieg? Die Causa Wulff sprach dafür, das war ein Bürgerkrieg in der niedersächsischen CDU. Gibt es den dort genauso in der SPD? Oder wollen CDU-Juristen die Kampfhandlungen dorthin ausweiten? Aus Gerechtigkeitsgefühl gewissermaßen?

Die SPD-Spitze spielt wie immer eine ausnehmend komische Rolle. Von rechtsstaatlichen Spielregeln haben sie noch nie viel gehalten und darum auch nicht verstanden. Entscheidend ist doch immer, wer die Verfügungsgewalt über die Regeln hat. Und wer anders soll die haben, als ein SPD-Vorsitzender? Oder Fraktionsvorsitzender? Oder Fraktionsgeschäftsführer? Oder innenpolitischer Sprecher? Es ging doch schliesslich darum, Schaden von der SPD abzuwenden. Und damit von der Bundesrepublik. Und damit von uns allen. Sie haben doch nur das Gute gewollt. Schliesslich haben sie dafür den Genossen Edathy sofort fallen lassen. Parteifreunde eben.

Bleibt noch die Rolle von Staatssekretär Fritsche. Er verdankt seine persönliche Aufregung Günter Bannas, dem von mir hochgeschätzten Hauptstadtkorrespondenten der FAZ (keine Verlinkung; das FAZ-Archiv ist paywall-bewehrt). Ist er jetzt auch ein Paranoiker wie ich? Bannas zufolge war es Fritsche, der Innenminister Friedrich auf die Schiene setzte, auf der er seine sturzrelevante Irrfahrt begann. Zu meinem Erstaunen besteht Fritsches Wikipedia-Eintrag zu über der Hälfte seines Umfangs aus einem Skandal im NSU-Untersuchungsausschuss, den er selbst durch sein Auftreten provoziert hat. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Geheimdienstexperte wie er sich nicht um seinen Eintrag kümmert, bzw. mindestens jemanden sich drum kümmern lässt. Oder sitzt er in einem so festen Sattel, dass ihm sein Image egal sein kann? Fritsche hat für Günther Beckstein, wie er und Friedrich CSU-Bezirk Franken, als Büroleiter gearbeitet (1993-96), dessen politische Karriere ebenfalls schon ein unschönes Ende genommen hat, durch eine heftige Wahlniederlage 2008. Beckstein wurde beerbt durch Horst Seehofer. Befreundet sind sie wahrscheinlich nicht. Parteifreunde eben.

Dass jetzt alle übereinander herfallen, Medien, Parteien, Behörden, ist so abstoßend wie langweilig und berechenbar. Hat es ein „Mastermind“ angestoßen? Möglich ist es. Indes, und so viel zu meiner antiparanoiden Entlastung: ich glaube es nicht. Es ist wohl so schlimm, wie es aussieht.

Bis hierhin war dieser Text von mir vor einem Jahr verfasst, dann aber nicht veröffentlicht worden. Jetzt hat Sascha Lobo auf Spiegel-online wieder auf die Rolle von Staatssekretär Fritsche hingewiesen. Die Affäre Edathy reicht näher an die Bundeskanzlerin heran, als es die breite Öffentlichkeit wahrhaben will. Es war sie, die den damaligen Bundesinnenminister Friedrich entlassen hat, ganz wie es das Grundgesetz vorschreibt, nicht die SPD.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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