Jeder Terroranschlag zieht ähnliche Szenarien hinter sich her: Die Politik reagiert wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen und spätestens eine Woche nach dem Ereignis präsentieren Regierende ihre innen- oder außenpolitischen Kraftmeiereien. Entweder fordern Innenminister die alten Hüte des Überwachungsstaats wie Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatenspeicherung, und Videoüberwachung oder innenpolitisch angeschlagene Staatspräsidenten präsentieren ihre Kriegs- und Interventionsszenarien als Handlungsbereitschaft. Der renommierte Jurist Sebastian Cobler nannte das einmal “Gesetzgebung im Belagerungszustand”. Nur Norwegen hat gezeigt, dass es auch anders geht.

Im Fall der Pariser Anschläge handelt es sich um kriminellen Massenmord, Terroranschläge überwiegend EU-heimischer Straftäter, die von langer Hand vorbereitet waren. Nicht mehr und nicht weniger. Kein Krieg, kein Angriff von außen, schon gar nicht von einem anderen Staat. Trotzdem steht Frankreichs Präsident Hollande kurz davor, den George Bush Jr. des Jahres 2015 zu geben und die Bundesregierung wird sich, so wie es jetzt aussieht, gegen Recht und Verfassung in einen Kriegseinsatz hineinziehen lassen. Warum?

Die Bundesregierung will dem Bundestag im Eilverfahren noch heute zur Schlussabstimmung am kommenden Freitag einen Antrag vorlegen, nach dem 1.200 Soldaten in Syrien eingesetzt werden sollen, um ohne ein klares VN-Mandat in einen Krieg einzutreten, bei dem weder die kriegführenden Parteien, noch ihre Interessen, weder eine eindeutige Führungsstruktur und schon gar nicht die Kriegsziele klar definiert sind. Die Umsetzung des Beschlusses würde bedeuten, dass die deutsche Luftwaffe Ziele für Bombardements in Syrien “aufklärt” und die deutsche Marine einen französischen Flugzeugträger beschützt, von dem aus Bombardements nach unbekannter Strategie durchgeführt werden.

Dieser Einsatz wäre offensichtlich verfassungswidrig.

Die Bundesregierung beruft sich dafür auf die Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015) des Sicherheitsrates Vereinten Nationen (VN), auf Art. 51 der Charta der VN und auf Art. 42 Abs. 7 des Vertrages über die Europäische Union (EUV). Keine dieser Regeln bieten eine verfassungsrechtlich tragbare Grundlage für den Einsatz. In diesen Resolutionen ist keine Rede davon, in einer erst noch zu bildenden vagen “Koalition” Maßnahmen auf die Anschläge von Paris mit Luft- und Seestreitkräften durchführen. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Damit der Bundestag über den Einsatz gewissenhaft beraten und entscheiden kann, müsste eine militärische Strategie und eine realistische und sachliche Risikoeinschätzung und ein politisches Ziel erkennbar sein – all dieses existiert nicht:

  1. Gegen wen soll durch die Bundeswehr Krieg geführt werden – gegen den IS, gegen islamistische Rebellen allgemein, gegen ISIS, gegen Truppen, die die Syrische Armee angreifen oder auch solche, die Zivilisten angreifen?

 

  1. Wer sind die Verbündeten der “Koalition” neben Deutschland und Frankreich die USA? Russland? Reguläre Truppen des Assad-Regimes? Kampfgruppen der “Freien Syrischen Armee” und welche islamistischen Splittergruppen stehen auf welcher Seite?

 

  1. Die syrische Armee Assads und Russland bekämpfen den IS und Al Nussrah und andere marodierende islamistische Rebellen, die zum Teil mir US-amerikanischen Waffen kämpfen. Wer von denen ist Gegner, wer Verbündeter?

 

  1. Die Türkei hat in der Vergangenheit immer wieder Konsequenz im Vorgehen gegen den IS vermissen lassen, hat anstelle der IS-Kämpfer im Sommer 2015 erst einmal Kurden und damit zum Teil diejenigen Kämpfer in Syrien und im Irak bombadiert, die vorher gegen den IS gekämpft und z.B. zehntausende Jeziden aus den Händen des IS gerettet haben. Sie handelt vermutlich mit Öl, mit dessen Verkauf sich der IS finanziert. Ist sie ein Verbündeter des Westens oder des IS?

 

  1. Die Kurden haben Kobane befreit, bauen es wieder auf und organisieren sich selbst und kommen dabei einer Autonomie politisch immer näher, die die Türkei jedoch nicht zulassen will, weil sie keinen Kurdenstaat duldet – werden sie von Deutschland auch militärisch unterstützt, wenn die Türkei sie wieder angreift?

 

  1. Wer führt eigentlich die gemeinsamen Streitkräfte, wer sitzt im Hauptquartier am “roten Knopf”, wer entscheidet in Zweifelsfällen, welche Angriffe gegen welche Gruppen geflogen werden und wer verantwortet die gemeinsamen Einsätze?

 

  1. Inwiefern findet eine Kooperation mit Syrischen Truppen Assads statt – was ja Sinn machen kann – und wenn ja, wie lange?

 

  1. Welche Notfallmechanismen der Deeskalation zur Vermeidung eines eskalierenden globalen Konflikts sind für Fälle verabredet, wenn z.B. deutsche Tornados oder französische Flugzeuge “irrtümlich” durch syrische, russische oder der “freien Syrischen Armee” gesteuerte Flugabwehrraketen abgeschossen werden?

 

Viele Fragen, auf die die Bundesregierung nach dem aktuellen Stand nicht antworten kann. Das ist an sich nicht schlimm, aber ein guter Grund für Besonnenheit und Diplomatie. Vielleicht ist es sinnvoll, für eine Übergangszeit mit Assad zu kooperieren, um einen friedlichen Übergang unter internationaler Aufsicht zu ermöglichen? Was soll dann die gebetsmühlenartige Widerholung der Forderung “erst müsse Assad weg” wohl wissend, dass das so für Russland nicht verhandelbar ist? Wo bleibt die politisch Besonnenheit auf Seiten des Westens und Russlands?

Hollande ist es eben in den wenigen Tagen seiner Reisediplomatie nicht gelungen, eine halbwegs solide Allianz gegen den IS zu bilden. Da hinter der Auseinandersetzung um den IS der Konflikt zwischen sunnitischen Golfstaaten und Erdogan einerseits und dem schiitischen Iran andererseits steht, war das auch nicht zu erwarten. Verlässlichkeit in Nahost ist sowieso nur vom Westen und von Russland zu erwarten, deshalb sollten deren Einigung Vorrang haben. Wer sich trotzdem in einen militärischen Einsatz mit unabsehbaren Folgen verstrickt, läuft hohes Risiko einer unabsehbaren Eskalation. Der Bundeswehrverband warnt eindringlich vor einem solchen Einsatz – das sollte zu denken geben

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net