Nicht wegen des heutigen 5:2 gegen bewundernswerte sich nie hängen lassende Isländer. Sondern aus folgenden Gründen:
1. Heute mussten sie nicht an ihre Grenzen gehen, sondern konnten Kombinations- und Selbstsicherheit tanken. Es ist ein Genuss Griezmann am Ball zu sehen, Pogba als Schlüsselspieler machte ein Tor. Niemand ist im Halbfinale gesperrt, niemand hat sich heute verletzt. Sie haben jetzt einen Lauf, einen Flow, der sie tragen kann. Begnadete Fußballer sind sie sowieso.
2. Die DFB-Elf musste gestern an ihre Grenzen gehen. Wenig überraschend also, dass Khedira, Schweinsteiger und Gomez verletzt sind, und was vielleicht am schwersten wiegt: Hummels ist gesperrt. Was ist mit Boateng? Mir sah es gestern so aus, dass er sporadisch mit Schmerzen kämpfend auf die Zähne beissen musste. Ist er wirklich fit? Wenn nein, könnten sie das Halbfinale quasi schon abschenken. Es ist nicht so, dass die Ersatzspieler so viel schlechter wären. Aber, und das ist bei dieser EM meistens der spielentscheidende Punkt, die psychologische und gruppendynamische Statik der Mannschaft würde nicht mehr so gut funktionieren, wie sie es bisher getan hat.
3. Endspielgegner würde Portugal oder Wales. Bei allem Respekt: Wales ist jetzt Nachfolgekandidat für Island als Sympathieträger des Turniers. Wales ist so wenig ungefährlich, wie es heute Island war. In der 84. Minute hatte Island nach einem Eckball die Chance zum 3:5-Anschlusstreffer. Und dann wäre das psychologisch instabile französische Mannschaftsgefüge ins Wackeln gekommen. Portugal ist Favorit und damit wahrscheinlicher Endspielgegner. Sie spielen heute unansehnlich und erfolgreich (früher mit Figo und Rui Costa war es umgekehrt: schön und erfolglos), wie es Griechenland lange Zeit getan hat – kein Wunder, der Trainer war der Selbe. Gegen den Gastgeber, vor allem wenn er die DFB-Elf schon geschlagen hat, sollte das nicht genügen.

Update: Der Blätterwald rauscht derweil wegen der Anwürfe von ARD-Mitarbeiter Mehmet Scholl gegen den DFB-Elf Mitarbeiter Urs Siegenthaler. Siegenthaler wird zitiert, dass er mit Scholl nicht persönlich bekannt sei. Also muss Scholl wohl von einem Singvogel oder einem Spindoktor aus dem DFB-Tross Hinweise gesteckt bekommen haben, die ihn zu seinem – schwer unsachlichen – Vorstoss veranlassten. Mag sein, dass der intellektuelle Kopf Siegenthaler einigen Handwerkern zu hoch fliegt. Schade nur, dass niemand aufklärt, was im Kern dahintersteckt. So bleibt als Eindruck nur stammtischhaftes Intrigantentum.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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