von Klaus Dräger

Mit den Erfolgen der anfangs linkspopulistischen Podemos und der neo-liberalen (angeblichen) Anti-Korruptionspartei Ciudadanos seit der Europawahl 2014 ist das vormalige Zweiparteien-System in Spanien aufgebrochen worden. In den Jahrzehnten zuvor wechselten sich die Volksparteien – rechts-konservative Partido Popular (PP) und die sozialdemokratische PSOE – an der Regierung ab. Seit den Parlamentswahlen im Dezember 2015 kam in Madrid aber keine Regierungsmehrheit zustande, auch Neuwahlen im Juni 2016 änderten daran nichts.

Zwar hatte die PP unter ihrem noch kommissarisch amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy bei der Wahl im Juni 2016 nochmals deutlich zugelegt. Doch scheiterte ihr Versuch im August 2016, mit C’s und der bürgerlichen Regionalpartei Coalición Canaria eine Minderheitsregierung zu bilden. 170 Abgeordnete des spanischen Parlaments stimmten für Rajoy als Ministerpräsident, die nötige absolute Mehrheit von 176 Stimmen wurde verfehlt. PSOE, das ‘linke’ Bündnis Unidos Podemos (UP) und andere stimmten dagegen. Sie wollten eine ‘alternative Option’ zu Rajoy offen halten.

Allseits wurde gepokert und spekuliert. Für Rajoy und C’s ging es darum, einige Abweichler aus den Reihen der PSOE zu gewinnen – nur 6 Enthaltungen aus der PSOE hätten gereicht, um ihn im dritten Wahlgang abermals zum Regierungschef zu machen. Der Generalsekretär und Spitzenkandidat der PSOE, Pedro Sanchez, wollte nach einigem Zögern mit einer alternativen Konstellation (aus seiner Sicht am liebsten mit Unidos Podemos und C’s) selbst Ministerpräsident werden. So pokerte Sanchez in der Hoffnung, dass die Regionalwahlen am 25. September 2016 in Galicien und im Baskenland dieser Option mit einer gestärkten PSOE Auftrieb geben würden.

Mitte-links verliert die Regionalwahlen

Für PSOE, UP und C’s wurden diese Regionalwahlen zum Desaster. Auf den ersten Blick sieht es vielleicht nicht so aus – schließlich kam das regionale Bündnis von UP (En Marea) in Galicien vor der PSOE auf den zweiten Platz, und auch im Baskenland (Elkarrekin Podemos) vor der PSOE auf den dritten Platz. In den deutschen Medien – ob mainstream oder links – wird vermerkt, UP habe bei den Regionalwahlen in Galicien und im Baskenland den Sorpasso (Überflügeln der Sozialdemokraten) geschafft, den der Generalsekretär von Podemos, Pablo Iglesias, als ein zentrales Ziel der Wahlkampagne von UP zum nationalen Parlament im Juni 2016 ausgegeben hatte. Rein ‘optisch’ ist das so – aber die Ergebnisse in absoluten Wählerstimmen sprechen eine andere Sprache.

Zunächst: die neoliberale Formation C’s schaffte es weder im Baskenland noch in Galicien, in die entsprechenden Regionalparlamente einzuziehen. Bei der Parlamentswahl im Juni 2016 kam C’s zumindest in Galicien noch auf rund 9 % der Stimmen, bei der Regionalwahl im September nur auf 3,4 %.

In Galicien gelang es der PP, ihre absolute Mehrheit im Regionalparlament auszubauen – sie erreichte 47,5 % der Stimmen. Im Baskenland – historisch ohnehin ein schwieriges Terrain für die PP – verlor sie nur leicht. Rajoy fühlt sich durch diese Ergebnisse gestärkt. Die PSOE verlor sowohl in Galicien als auch im Baskenland an Boden.

Bei der nationalen Parlamentswahl im Juni 2016 in Galicien kam sie noch auf Platz 2 (mit 345.253 Stimmen, 22,25 %). Jetzt fiel sie dort im September auf Platz 3 deutlich zurück (254.552 Stimmen, rund 18 %) – ein Verlust von rund 26 % im Vergleich zur nationalen Wahl im Juni. Doch auch das von UP unterstütze regionale Bündnis in Galicien ist deutlich geschwächt. Bei der nationalen Parlamentswahl im Dezember 2015 kam es nach der PP auf Platz 2 mit 920.698 Stimmen (25 %), im Juni 2016 nach PP und PSOE auf Platz 3 mit 344.143 Stimmen (22,2%). Bei der Regionalwahl im September 2016 reichte es für En Marea trotz Platz 2 vor der PSOE nur noch für 19 % (271.928 Stimmen) – d. h. das regionale UP-Bündnis verlor 33,9 % der bei der nationalen Wahl im Dezember 2015 eingesammelten Stimmen, und rund ein Fünftel im Vergleich zur nationalen Wahl im Juni 2016.

Auch im Baskenland verlor die PSOE: bei der Parlamentswahl im Juni 2016 erreichte sie dort auf Platz 3 noch rund 14,4 % (163.628 Stimmen), am 25. September auf Platz 4 nur noch rund 12 % (126.139 Stimmen). Dramatischer ist aber der Einbruch des regionalen Bündnisses von UP: im Juni 2016 stärkste Kraft (Podemos/AHAL DUGU-IU-Equo) auf Platz 1 mit 29 % (333.730 Stimmen), im September der Absturz auf Platz 3 mit rund 15 % (156.671 Stimmen). Dies ist ein Verlust von mehr als der Hälfte der nur Monate zuvor bei der nationalen Parlamentswahl erreichten absoluten Stimmen. Ansonsten konnte die baskisch-nationalistische, sozial-konservative PNV als langjährige regionale Regierungspartei im Baskenland wieder zulegen (Platz 1 mit 37,65 % ggü. Platz 2 mit rund 25 % bei der Parlamentswahl im Juni). Und auch die baskisch-nationalistische Linkspartei EH Bildu – sie kam im Juni 2016 nur auf Platz 4 mit 13,3 % – gewann gegenüber UP wieder an Boden und kam bei der Regionalwahl im September mit 21,23 % auf Platz 2. Die Volksparteien PP und PSOE, die sich strikt gegen die Unabhängigkeit des Baskenlandes und selbst gegen eine stärkere Föderalisierung des spanischen Staats stellen, kommen dort zusammen nur noch auf 21 %.

Zusammenfassend: die PSOE ist mit den Ergebnissen dieser Regionalwahlen in Galicien und im Baskenland weiter abgestiegen – und dies nach ihren historisch schlechtesten Wahlergebnissen bei den nationalen Parlamentswahlen in Spanien im Dezember 2015 und im Juni 2016. Auch Unidos Podemos geht deutlich geschwächt aus diesen Regionalwahlen hervor – die vorherige Dynamik (2014 – Dezember 2015) ist weiter verpufft. Dies führt bei beiden Formationen zu heftigen Diskussionen über den künftig einzuschlagenden Kurs, die ich hier nicht weiter vertiefen will.

‘Wer wen’ und wer mit wem – zur Regierungsbildung auf nationaler Ebene

Hierzu sind im Wesentlichen drei Optionen im Gespräch, zwei davon werden mit dem Versprechen eines cambio (Politikwechsel) von PSOE und UP propagiert.

Das Ziel von Pedro Sanchez (PSOE) war es stets, Ministerpräsident einer Konstellation von PSOE, Unidos Podemos und Ciudadanos für den cambio (light) zu werden. Damit ist er nach der Dezemberwahl 2015 zweimal gescheitert. UP signalisiert aber bei aller Skepsis gegenüber C’s, prinzipiell offen auch für solche Verhandlungen zu sein. Auf deutsche Verhältnisse übertragen wäre das etwa so, als wollten SPD, DIE LINKE und eine Westerwelle-FDP ein Regierungsbündnis bilden (Rosa-Rot-Gelb). Diese Option halte ich für eher unwahrscheinlich – C’s sind nach diesen Regionalwahlen geplättet. Die Partei hat sich nach der Wahl im Juni 2016 klar für ein Bündnis mit der PP ausgesprochen. Sozial- und wirtschaftspolitisch liegen UP und C’s weit auseinander, C’s hat schon im Juni 2016 deutlich an die PP verloren. Also keine Experimente mit der ‘anderen Seite’, die die Partei weiter schwächen könnten, wird deren Devise sein …

Die von UP für den cambio (Rosa-Rot-sozialliberal) propagierte Alternative ist eine Allianz von PSOE, UP und den baskischen und katalanischen Nationalisten (baskische PNV; sozial-liberale ERC und wirtschaftsliberale CDC aus Katalonien, welche die Lostrennung Kataloniens vom spanischen Staat im November 2017 anstreben). Diese Allianz käme im derzeit gewählten nationalen Parlament tatsächlich auf eine absolute Mehrheit der Mandate. Allerdings hat der Parteivorstand der PSOE einer solchen Konstellation schon eine klare Absage erteilt und Sanchez damit diese Option verbaut. ERC und CDC sind zu einem solchen Bündnis bereit, sofern ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens zugelassen würde. Dies ist no go für C’s, PP und PSOE, die Spanien als ‘integralen zentralistischen Staat’ verteidigen. Diese lehnen unisono das Konzept von Unidos Podemos ab, Spanien zu einer Föderation zu entwickeln, die das Selbstbestimmungsrecht seiner kleineren Nationen (Galicier, Basken, Katalanen usw.) als ‘pluri-nationaler’ Staat institutionell absichert.

Die dritte Option ist die Bildung einer Minderheitsregierung von PP, C’s und Coalición Canaria, die von der PSOE (vielleicht mit Bedingungen) durch Enthaltung ermöglicht wird. Da Sanchez nach den Regionalwahlen als Generalsekretär der PSOE deutlich geschwächt ist, wächst der Druck der ‘Barones’ der PSOE (allen voran ihr historischer Führer Felipe Gonzàlez und ihr stärkster Regionalverband in Andalusien), die dies seit Monaten fordern. Allerdings müssten sie dazu Sanchez entweder zum Einlenken zwingen, ihn absägen oder wenigstens 6 Dissidenten in der Parlamentsfraktion der PSOE dazu bringen, vom derzeitigen offiziellen Nein der PSOE-Parteiführung zu dieser Option abzuweichen. Die PP warb bisher erfolglos auch um die Stimmen der baskischen PNV für ein solches Bündnis (sie hat 5 Mandate im spanischen Parlament). Ihr designierter Juniorpartner C’s als super-spanisch-zentralistische Partei wollte dies eher nicht.

Für alle drei Optionen bleibt wenig Zeit: Zum 31. Oktober 2016 wird das spanische Parlament aufgelöst, falls bis dahin keine Regierung zustande kommt. Dann müssten die SpanierInnen am 1. Weihnachtstag (25.12.2016) ein drittes Mal an die Wahlurnen. PSOE und UP sind jetzt deutlich geschwächt. Ob sie das Ruder herumreißen können für ein angestrebtes Mitte-Links-Bündnis – dies erscheint mir sehr fraglich.

Zu den Wahldaten:
Ergebnis Regionalwahl Galicien vom 25.09.2016

Ergebnis Regionalwahl Baskenland vom 25.09.2016

Ergebnisse nationale Parlamentswahlen in Spanien 2015 und 2016 für Galicien

Ergebnisse nationale Parlamentswahlen in Spanien 2015 und 2016 für das Baskenland

 

[1] Abgekürzt C’s – im Volksmund spöttisch die Partei des Ibex 65 genannt, also die politische Interessenvertretung der Börsianer.

[2] 2015 und 2016 in Galicien: Bündnisliste ‘Podemos – En Marea – ANOVA – EU‘; Sept. 2016 ‘En Marea’. Dass bei den Regionalwahlen in Galicien überhaupt diese Kräfte (En Marea, Izquierda Unida, Podemos etc.) nochmals mit einer gemeinsamen Liste auftraten, hatte letztlich Pablo Iglesias als nationaler Generalsekretär von Podemos gegen große Widerstände in der Region durchgesetzt. Die Leitung von Podemos Galicia wollte eigenständig in Konkurrenz zu En Marea kandidieren.

[3] Natürlich lassen sich regionale Wahlergebnisse nicht 1:1 mit solchen auf nationalstaatlicher Ebene vergleichen. Auch in Deutschland spielen regionalpolitische Faktoren eine wichtige Rolle z.B. für den Ausgang von Landtagswahlen. So auch hier im September 2016 in Spanien. In Galicien setzte sich der regionale Regierungschef der PP, Alberto Núñez Feijóo, deutlich von Rajoy ab und behauptete, mit der Korruption seiner Partei im spanischen Staat nichts zu tun zu haben. Der Bloque Nacionalista Gallego (BNG, grün und sozial-liberal) bekam bei den nationalen Parlamentswahlen 2015 nur 4,3% und in 2016 nur 2,9 % der Stimmen, er gewann kein Mandat im Cortes. Ein Großteil seiner auf mehr Autonomie für Galicien bedachten WählerInnen votierte damals für die von Podemos geführte regionale Bündnisliste. Bei der Regionalwahl in Galicien im September kam er aber auf 8,36 % der Stimmen und 6 Mandate im Regionalparlament. Vermutlich hat ein Teil der WählerInnen von PNV und EH Bildu im Baskenland aus opportunistischen Gründen bei der nationalen Parlamentswahl im Juni für Podemos gestimmt – in der Hoffnung auf eine andere Koalition auf zentralstaatlicher Ebene, die das Problem der schwer kranken inhaftierten Mitglieder der ETA lösen und einen dauerhaften Frieden herbeiführen könne. Da aber alle Parteien von PP bis UP diese Regionalwahlen zu einem Stimmungstest für die weiteren Regierungsverhandlungen hochstilisiert hatten, lässt sich m.E. zumindest ein Trend auch für die nationale Ebene erkennen.

In diesem Blog folgt unter diesem Text mein Hintergrund-Beitrag, der die Entwicklung der politischen Kräfte links der PSOE seit 2014 untersucht (Unidos Podemos – Probleme und Perspektiven der Confluencia).

Update: wie es nach den Regionalwahlen bei den spanischen Sozialisten weiter, und zwar drunter und drüber, ging, berichtet hier Telepolis.

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