Was macht eigentlich der Außenminister? Bei Westerwelle schien diese frage sehr oft berechtigt zu sein. Obwohl – im nachhinein betrachtet – sein Ausscheren bei der Libyen-Intervention sich als außergewöhnlich weise erwiesen hat. Heute ist Außenminister Steinmeier wieder regelmässig in der Tagesschau vertreten und veröffentlicht, neudeutsch “branded”, seine Nachdenklichkeit. Seine Wahl zum Bundespräsidenten ist so gut wie sicher. Vermutlich wird das Amt für ihn persönlich ruhiger als sein jetziges. Denn so viel Brände kann kein einzelner Minister löschen, wie die von ihm mitgetragene Regierung mitverursacht.
Die Trump-Wahl hat in den europäischen Hauptstädten, vor allem in der 80 km vor Polen, offensichtlich komplette Desorientierung hervorgerufen. Die von der Hauptstadt angefütterten Leitmedien verbreiten bereits Einkreisungsängste: wir armen Wichte, zermahlen zwischen Amis und Russen, zwischen Trump und Putin. Als “Beweis” für die Grausamkeit, der vielleicht auch uns bald erwartet, sendete Spiegel-online gestern ein aus Feuersbrunst, Gemetzeln und verzweifelten Hilferufen zusammengesetztes Video-Powerplay aus Aleppo. Für die west-/östliche Intervention in Mossul (keine Google-Treffer seit Ende November; Update-Link von Telepolis) oder die unserer arabischen Freunde im Jemen fehlen da leider die journalistischen und medientechnischen Ressourcen.
Die Panik in den EU-Hauptstädten rührt auch daher, dass “die EU” als politisch handelnde Kraft nahezu aufgehört hat zu existieren. Einstige “Achsen” (Paris-Berlin-Moskau), die noch unter Bundeskanzler Schröder funktionierten (zum Schrecken der USA und der Nato) sind zerstört. Den Rest an EU-Solidarität hat Finanzminister Schäuble in seinem Furor gegen die faulen Südeuropäer in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal eigenhändig umgestürzt, wie ein Kindergartenterrorist die Bauklötzchen der benachbarten Spielkameraden. Der einstige Partner Frankreich ist degradiert wie Griechenland, demütigend für eine Atommacht; die Rache bei der Präsidentschaftswahl könnte fürchterlich sein. Und nun hat Trump “angedroht” so russlandfreundlich zu agieren, dass Berlin in Moskau merklich an Relevanz zu verlieren droht. (Dieser Link verschwindet nach einigen Tagen in einem paywallbewehrten Archiv.)
An den kriegerischen Grausamkeiten, egal wo, gibt es nichts zu relativieren und zu bemänteln. Die Lehre ist jedoch nicht, dass die Andern die Bösen sind, sondern dass Krieg immer ein grausames Gemetzel und darum ein illegitimes und verbrecherisches “Mittel von Politik” ist, egal wer ihn führt. Die Kriegführenden errichten immer eine militaristischen Gesetzen folgende Schreckensherrschafts-Ökonomie, an deren Fortführung, nicht Beendigung, sie ein fortgesetztes Interesse haben. Frauen, Kinder, Arme, Kranke stellen die Toten und Krüppel, egal ob sie aus Kalaschnikows, Gewehren aus dem Schwabenland oder US-Drohnen ermordet – und die Überlebenden für immer traumatisiert – werden.
Verantwortliche Politik müsste folgende Aufgabe lösen: was muss ich der Gegenseite anbieten, damit für sie ein Interesse an der Beendigung des Gemetzels überwiegt? Steinmeier scheint diese Frage gedanklich anzuerkennen, aber entsprechendes Handeln, zweifellos muss das oftmals sein, verheimlicht er gut. Die syrischen Kriegsopfer können sich für ihr grausames Schicksal natürlich bei den (gewählten!) Diktatoren Putin und Assad, aber auch bei Frau Merkel und Monsieur Hollande bedanken. Denn bei ihrer Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland sind sie dieser lebenswichtigen Fragestellung feige ausgewichen. (Und wenn sie es nicht getan haben, haben auch sie es der Öffentlichkeit verheimlicht.)
Umgekehrt bei Erdogans Türkei. Anders als von diesem (gewählten) Diktator vorgespielt, hat er sein Land bereits in eine veritable Wirtschaftskrise gestürzt. Geradezu lächerlich wirkt auf diesem Hintergrund die öffentliche Debatte um Visafreiheit (ihre Verhinderung sperrt das Volk in Erdogans Gewalt ein) und EU-Beitrittsverhandlungen, alles gegenwärtig platte, folgenlose Symbolik. Ökonomische Sanktionen, Investitionsstops, Beendigung aller Rüstungsexporte, Suspendierung der Nato-Mitgliedschaft, Aussenhandelsbeschränkungen und Kapitalverkehrskontrollen würden Erdogans System treffen, und Profite einschränken. Auch Erdogans Freunde in Russland und China werden das nicht komplett kompensieren können und wollen. Aber er macht ja viel Drecksarbeit für unsere Herrschenden, insgeheim konspirieren sie miteinander und bei Bedarf wird öffentlich mit dem Finger auf ihn gezeigt. Wie verkommen muss man sein, um so politisch zu handeln?
Update: Die deutsche Aleppo-Berichterstattung wird frei von unpassender Putin-Verteidigung und gründlicher, als ich es kann, hier von Thomnas Pany/Telepolis kritisch analysiert.
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