“Entscheidend is aufm Platz” galt, als der Sport noch im Mittelpunkt stand. Jetzt sind es Geschäft und Politik, und zwar in dieser Reihenfolge. Und dann kommt der Rest. Viele Fans regt das auf, wenige macht das zornig, noch wenigere rasten schon mal aus. Gewalt gegen “Frauen und Kinder” geht aber normalerweise selbst gegen deren Macho-Ehre, weil es blanke Feigheit demonstriert. Es ist noch nicht zuende aufgeklärt, was alles dahinter steckte.

Jedenfalls macht NRW-Innenminister Jäger, in diesem Blog schon oftmals kritisiert, scheinbar diesmal nicht alles falsch, wie sein heutiges DLF-Interview verdeutlicht. Er richtet den ersten Scheinwerfer auf die Straftäter, deren Schuld nicht auf andere abgeladen werden sollte. Der zweite Scheinwerfer ist auf “den Fußball” zu richten, der nicht nur Milliarden einnimmt, sondern auch öffentliche Millionen kostet. Wenn es dem Fußballbusiness nicht gelingt, zivilisatorische und rechtsstaatliche Errungenschaften in seine Gewohnheiten zu integrieren, sägt es sich seinen Ast selbst ab.

Die konzernähnlichen Erstligavereine wollen mit gesellschaftlichen Problemen nichts zu tun haben, “das hat mit dem Fußball nichts zu tun”. Haha, als wenn “der Fußball” nicht Teil der gesellschaftlichen Probleme wäre. Die Vereine wollen auch mit gewalttätigen Fans nichts zu tun haben, das soll die Polizei sich drum kümmern. Um die Fans insgesamt sollen sich ein paar angestellte Sozialarbeiter kümmern, die vom Verein höchstens zu einem Drittel bezahlt werden, die andern zwei Drittel kommen aus Steuergeldern.

Die Fans haben sich nun aber “leider” in ihren harten Kernen als Ultras organisiert. Türkei-Diktator Erdogan haben sie z.B. so geärgert, dass er mit Basaksehir in Mateschitz-Manier (oder wie einst Dynamo Berlin) einen parteitreuen Verein in Istanbul ausguckte und sponsorte, bis der in dieser Saison endlich die Führung der Tabelle erobert hat (bzw. im Moment wie Brause Leipzig 2.). Die Ultras sind die, die im Stadion für event- und TV-gerechtes Spektakel sorgen, die untereinander Machtkämpfe, wie in anderen Sektoren der Gesellschaft auch, darum austragen, wer das Stehtribünenterrain beherrscht. Um diese Machtkämpfe zu bestehen, wird viel Testosteron und Machosolidarität investiert. Wenn es gut läuft, gelingt es dabei, die Szene von Rechtsradikalen sauber zu halten. Es läuft aber oft auch schlecht.
Um ihre Tribünenautorität zu sichern, ist es für die Ultras wichtig, von Mannschaft und Verein respektiert und ernstgenommen zu werden. Ich konnte mich selbst in der Hinrunde im Mönchengladbacher Borussiapark (hier und hier) davon überzeugen, dass die Ultras der stärkste Mannschaftsteil waren. Ohne sie wäre das Stadion in den Heimspielen gegen den Karnevalsverein mit Dom und ManCity mausetot gewesen, die Punkte hätte man verschenken können.
In Dortmund ist die Bedeutung der Fantribüne noch viel grösser. Die “Süd” ist Bestandteil des globalen Marketings, ein Alleinstellungsmerkmal des Brandings “hottest team of the world” und eine Attraktion, List der Dialektik, für die teuren VIP-Logen im gleichen – former known as Westfalen- Stadion. Dann, verehrte Herren Rauball, Watzke und Zorc muss man aber auch pfleglich damit umgehen. Wie kümmern Sie sich denn darum, die linken Ultras gegen die Dorstfelder Nazis zu stärken? Wie beziehen Sie Fanvertretungen in die Entwicklung Ihrer globalen Vermarktungsstrategien ein? Wie verteidigen Sie Faninteressen gegen die Kommerzgier von Rupert Murdochs trumpähnlichen Sky-Konzern?

Ich weiss, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt. Das deutsche Fußballbusiness ignoriert solche Fragen aber gar nicht erst. Es hatte mal Führungskräfte, die sich solchen Fragen gestellt haben. Einer war der der ehemalige DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn, der mit der Fanszene eine dialogfähige Ebene gefunden hatte, mangels politischer Rückendeckung durch DFB und DFL aber lieber zum Reichwerden nach Katar umgezogen ist. Der Andere hat die entgegengesetzte Richtung genommen: Andreas Rettig, den ich noch als Abwehrspieler neben Hermann Hummels (Vater von Mats) und Arno Glesius (Beinahe-Nationalspieler, u.a. KSC) beim FV Bad Honnef an der Menzenberger Straße habe spielen sehen, war das passende Gegenstück zu Spahn bei der DFL-Geschäftsführung. Er wechselte zum FC St. Pauli und stärkt sensationellerweise Trainer Ewald Lienen beim Tabellenletzten der 2. Liga immer noch den Rücken.

Schauen wir zum Schluss noch aufs andere Ende der DFL, 1. Liga ganz oben. Sie haben ein Mittel gefunden, die Langeweile zu vertreiben. Der FC Hollywood aus Matthäus’ und Klinsmanns Zeiten wird wieder aus der Gruft geholt, er kommt zusammen mit Uli Hoeness aus dem Gefängnis. Philipp Lahm beweist erneut seine strategische Klugheit, indem er maximale Distanz dazu sucht; und übrigens auch der Torschütze von gestern, der Brasilianer Douglas Costa. Die Nomenklatura bei der Auferstehung; fehlt nur noch, dass Edmund Stoiber und Helmut Markwordt Führungspositionen angeboten bekommen. Ich weiss nicht, ob Max Eberl genauso klug wie Lahm ist. Es wäre ihm zu wünschen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net