Da Fußballspieler heute alle alphabetisiert sind, müssen wir davon ausgehen, dass die Missstimmungen im Vereinsinneren und -äußeren nicht spurlos an ihnen vorübergehen. Den Eindruck mussten wir heute Abend gewinnen, wenn wir dem Geschehen in Lissabon optisch beiwohnten. 0:1 heisst: es ist noch nichts verloren; kein Auswärtstor ist im KO-System aber immer schlecht.
Während der BVB zumindest in der 1. Halbzeit noch spielerisch überlegen war, setzte sich am Ende eine taktische Überlegenheit von Benfica durch. Nach ihrem Führungstor hatte man das Gefühl, dass sie in Ballnähe immer eine Überzahl herstellen konnten. Normalerweise muss die Mannschaft ohne Ballbesitz mehr Kilometer rennen, weil die andere den Ball laufen lassen kann. Heute Abend war es nicht so: bei 60% Ballbesitz für den BVB war die Laufleistung beider Mannschaften fast gleich.
Sicher: man kann dem Schiri Schuld an der spielentscheidenden Szene geben. Benficas Torhüter Ederson foulte Dembele gegen Ende der 1. Halbzeit an der Strafraumgrenze platzverweiswürdig. Es gab aber weder Elfer noch Freistoss, sondern Abstoss. Der Schiri hatte kein Foul gesehen. Das gab Ederson offenbar einen solchen Push, dass er in der 2. Halbzeit, nicht nur beim Elfer, bei dem er kaltblütig und clever in der Mitte stehenblieb und den schwachen Ball gelassen erwartete, eine Weltklasseleistung lieferte. Bei Dembele war der Formverlauf umgekehrt. In der 2. Halbzeit agierte er immer als zusätzlicher Stürmer ganz vorne; seine Stärke, zwischen den Reihen mit unberechenbaren Aktionen die gegnerische Abwehr aufzuknacken, blieb unsichtbar.
Ob Benfica auswärts zu einer ähnlichen Leistung fähig ist, bleibt abzuwarten. Das Stadion war nicht zum Bersten voll. Kein Wunder: Portugal ist in der EU ökonomisch ganz unten, CL-Eintrittspreise dagegen sind immer ganz oben. Ob das Westfalenstadion imstande ist sie einzuschüchtern? Möglich.
Barca ging heute erstmals bei PSG unter. Die “französische” Kataritruppe ist ohne Ibrahimovic offensichtlich mannschaftlich stärker als vormals mit. Barcas Fußballmodell mit arrivierten und unangreifbaren Weltstars im Sturm, für die die hinteren Reihen viel arbeiten, und “zum Ausgleich” dafür ein paar Millionen weniger kriegen, stösst wohl langsam an seine Grenzen. Kleinigkeiten machen in der Weltklasse den Unterschied. Die wichtigste Kleinigkeit ist, eine solidarische und gegenüber den Mitspielern opferbereite Mannschaft zu entwickeln.
Als BVB-Sympathisant habe ich da eine etwas andere Wahrnehmung des Spielverlaufs: Nach gut fünfzehn Minuten beschlich mich das Gefühl, dass das an diesem Abend nicht gut gehen kann. Wer bei einer starken Mannschaft wie Benfica so gut spielt, ja dominiert und bei so klaren Chancen kein Tor macht, der wird Probleme bekommen.
Vielleicht resultierte diese Vorahnung, die sich immer wieder mal in mir meldet, aus der eigenen Erfahrung eines Spiels in der B-Jugend. Wir waren Spitzenreiter, hatten aber nur einen knappen Vorsprung. Wir spielten zu Hause gegen ein Team aus dem Mittelfeld, deren Torwart Kreisauswahlspieler war. Wir berannten von Anfang an das gegnerische Tor, der Keeper schien vier oder sechs Hände zu haben, manchmal scheiterten wir an Latte oder Pfosten. Wir bekamen zwei Elfer, beide hielt der Keeper, auch meinen. Die Gäste kamen zwei oder dreimal vor unser Tor und schossen zwei Tore. Solch ein Verlauf prägt und bleibt unvergessen. Solche Spiele gibt es immer wieder, in allen Wettbewerben.
Beim Spiel des BVB rechnete ich mit dem ersten Tor für Benfica noch vor der Pause. Die Art und Weise, wie es dann kurz nach dem Seitenwechsel fiel, war auch irgendwie bezeichnend. Als sich später Auba den Ball für den Elfer schnappte, befürchtete ich sofort, dass das nicht gut gehen würde.
Es war ein Spiel, das vom Spielgeschehen eigentlich nur einen Sieger verdient hatte und in dem es gleichzeitig immer klarer wurde, dass das nicht geschehen würde. In Portugal halte ich seit Eusebios Zeiten für Benfica; am Dienstag hatte ich eine stärkere Leistung von dem Team erwartet. Sie sind glücklich zu einem Heimsieg gekommen.