Falsch gemacht, was man falsch machen kann?
Der türkische Diktator im Wartestand, Erdogan tut alles, um sich mittels eines fragwürdigen Referendums an die absolute Macht zu putschen. Vieles, was er in den letzten Jahren inszeniert hat, erinnert an die Vorgänge in Deutschland vor und nach der Machtergreifung der Nazis. Nein, ich vergleiche den Gernegroß vom Bosporus nicht mit Hitler und seine AKP ist keine NSDAP, aber sie ist möglicherweise ähnlich menschenfeindlich wie die spanischen Faschisten des Franco-Regimes. Sie unterhalten Schlägertrupps und bedrohen in SA-Manier anders Denkende. Erdogan ist anders als Franco auch ein Völkermord – in diesem Falle an den Kurden – durchaus zuzutrauen. Sein Vorgehen gegenüber den kurdischen YDP-Truppen im Norden Syriens und die Einsätze der türkischen Armee in Diyarbakir sprechen Bände. Erdogan sind zur Erlangung der absolutistischen Macht in der Türkei alle Mittel recht. Und nicht zuletzt dank der verlogenen Verzögerungstaktik der EU beim Beitrittsprozess der Türkei konnte Erdogan seit einigen Jahren gegenüber seinen Anhängern erfolgreich argumentieren, man wolle in der EU ja eigentlich keine Türkei. Er kann sich dabei auf eine breite konservative Wählerschaft stützen, die autoritäre Politik und Staatsformen befürwortet. Und trotzdem hat Erdogan Angst, er könne das Ziel, die Türkei in eine Quasi-Diktatur zu verwandeln, nicht erreichen.
Denn trotz staatlicher Repression, Unterdrückung der Pressefreiheit, Krieg gegen die Kurden im Osten, Verhaftungen von Oppositionsabgeordneten der HDP, einem türkeiweiten Verbot von Infoständen und Wahlveranstaltungen, die sich gegen das Referendum richten, fürchtet die AKP um die Mehrheit. Die ist eigentlich in der Türkei in der Minderheit – weshalb Erdogan die 1,4 Mio. wahlberechtigten deutschen Türken, überwiegend Doppelstaatler, zur Mehrheit verhelfen sollen. Deshalb lässt er seine Regierungsmitglieder in Deutschland auftreten und vor handverlesenen Anhängern des Europäischen AKP-Ablegers mit Ironie über die Bundesregierung herziehen, die paralysiert schweigt – zwischen der Furcht, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, Wissen, dass mit der Verfassungsänderung das Thema Türkeimitgliedschaft in der EU ohnehin beendet ist und der Haltung, sich von einem NATO-Mitglied nicht provozieren zu lassen. In dieser politischen Paralyse überlässt es die Bundesregierung einzelnen Kommunen, gegen die Veranstaltungen der türkischen Rechten in Hinterzimmern vorzugehen. Die Versammlungsverbote in Köln, Frechen und Gaggenau mögen rechtlich begründet gewesen sein: Ein Beispiel demokratischer Souveränität waren sie nicht. Sie spielten Erdogan und seinen Anhängern vielmehr in die Hände und ermunterten den Salonfaschisten zu absurden Nazi-Vergleichen. Peinlich!
Günter Verheugen brachte in seiner Analyse bei Anne Will die Ursachen, dass Erdogan mit dieser Taktik Erfolg haben kann, auf den Punkt: Viel zu lange ist der Türkei vornherum gesagt worden, sie sei in der EU willkommen, ohne dass man die Probleme ernsthaft benannt oder den Konflikt über demokratische Rechte wirklich ausgetragen hätte. Dazu kommt, dass den türkischen Einwanderern bei uns noch länger Rechte vorenthalten wurden, bis heute nehmen wir sie politisch nicht als Teil unseres Landes wahr, findet keine politische Integration statt, obwohl zahlreiche türkischstämmige Abgeordnete in allen Parteien im Bundestag sitzen. Aber die Gesellschaften diskutieren getrennt, türkische Zeitungen lesen nur Türken, viele sehen türkisches Satellitenfernsehen und hören auf die gleichgeschaltete Presse Erdogans. Mit Verboten für Politikerauftritte kann man das nicht aufbrechen, im Gegenteil – sie spielen den Undemokraten der Türkei sogar noch in die Hände. Auch aufgrund der Geschichte unseres Demonstrationsrechts sind alle Versuche abwegig, etwa hier Demonstrationen von Nichtdeutschen zu verbieten. So haben traditionell hier Kosovo-Albaner, Kurden, darunter auch PKK-Anhänger, oppositionelle Tibeter, Chilenen und Argentinier, Burmesen und Syrer gegen ihre Regime demonstriert. Presse- Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind ein hohes Gut, das wir nicht zur Dispolition stellen dürfen.
Aber unser demokratisches Gemeinwesen ist nicht hilflos gegen Erdogans Propaganda – wir müssen unsere Verfassung nur ernst nehmen und den Konflikt dem Diskurs zugänglich machen! Wir müssen keine Veranstaltungen der AKP-Minister vor handverlesenem Publikum in Hinterzimmern dulden! Es geht schließlich um das Wahlverhalten von 1,5 Mio. BürgerInnen, Deutschen, die in der Türkei wahlberechtigt sind. Warum zum Teufel, nehmen wir sie nicht endlich ernst und holen sie heraus aus den Hinterzimmern? Warum bietet Bundestagstagspräsident Norbert Lammert nicht an: Erdogan darf hier auftreten, aber nicht vor handverlesenen Anhängern, sondern in einer Diskussion auf ARD und ZDF, bei denen er mit Cem Özdemir (Grüne), Sevim Dagdelen (Linke), Aidan Özoguz (SPD) und Cemile Giousouf (CDU) zusammen sitzen muss. Unter Diskussionleitung von Can Dündar. Da möchte ich doch mal sehen, ob er noch behaupten kann, dass es in Deutschland Redeverbote gibt!
Auftritte türkischer Minister im WDR, Südwestfunk oder RBB bitte gerne – aber nur gemeinsam mit Abgeordneten der HDP-Opposition, die in der Türkei mundtot gemacht werden! Warum werden sie nicht öfter eingeladen, um sich in Tankshows der Diskussion mit Künstlern wie Arzu Toker oder Django Asül, Kaya Yanar oder dem kurdischen Fußballprofi Deniz Kadah zu stellen? Warum schafft es etwa Maischberger, einer durchgeknallten IS-Anhängerin im Niqab Vollschleier einen Auftritt zu verschaffen, kommt aber nicht einmal in die Nähe der Idee, einmal die türkischen „Speerspitzen der AKP“ hier der Opposition zu stellen, der sie sich in der Türkei entzieht? Nein, liebe Leute, Demokratie funktioniert NICHT mit Verboten. Sie beweist ihre Stärke in offenen Diskursen durch Aufklärung, durch die Ermöglichung von Streit und abweichenden Meinungen. Die muss man aushalten – und auch einen Ziegenkorso um einen Veranstaltungsort der türkischen Regierungsvertreter – nur so ist der Kurs von Erdogan zu entlarven, nur durch Offenheit und demokratische Herausforderung kann die Doppelbödigkeit der Argumentation der AKP ad absurdum geführt werden. Das würde im übrigen den hier lebenden Doppelstaatlern endlich eine Alternaitve zum türkischen zensierten Satellitenfernsehen anbieten. Schluß mit der Paralyse der Demokratie!
Nein, wir sind nicht wehrlos, denn diese Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie: Wir alle sind aufgerufen, mit unseren türkischen Nachbarn zu diskutieren – über ihre Meinung zum Referendum, zur Einführung der Todesstrafe, zu 10.000 Menschen in Gefängnissen, Abschaffung der Pressefreiheit – Rechte, die uns allen gemeinsam in unserem Land zustehen. Meine Gemüsehändlerin ist Kemalistin und wird mit Nein stimmen, mein Kioskbesitzer ist Kurde und wird mit Nein stimmen, meinen Schneider werde ich ernsthaft befragen und mein Freund Volker mit türkischem Vater kämpft ebenso – wir können viel tun im persönlichen Umfeld. Aber auch die Institutionen können ihre Arbeit tun. Nicht nur die Bespitzelungen von Lehrern und Pädagogen durch DITIB und die türkischen Konsulate müssen von Verfassungsschutz und Polizei untersucht werden. Die EU-Föderation der AKP wirbt für eine grundrechtswidrige Verfassung und die Todesstrafe – sie wirbt damit für verfassungsfeindliche Ziele, was sie ebenso wie die PKK zum Beobachtungsobjekt des Verfassungscschutzes macht. Darüber gibt es eine Aufklärungspflicht zum Beispiel der Bundeszentrale für politische Bildung. Warum gibt es kein Flugblatt auf Türkisch, dass sich an alle Doppelstaatler wendet und über die Teile der Verfassungsänderung aufklärt, die unserem freiheitlichen Grundgesetz zuwider laufen und mit einer EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar sind? Der eine oder die andere würden sich es sich vielleicht überlegen, wofür sie abstimmen. Solange in geschlossenen Gesellschaften gehetzt wird, findet keine Demokratie statt. Sorgen wir dafür, dass sie auch für Migranten erlebbar wird und dass sie spüren, dass für uns alle ihre Stimme zählt. Eine Frage der Wertschätzung. Reden wir statt über- miteinander!
Dieser Text erscheint auch bei rheinische-allgemeine.de
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