von Peter Wahl
Die zweite Runde der französischen Präsidentschaftswahl war für jeden anständigen Linken eine qualvolle Wahl zwischen Pest und Lungenentzündung.
Deshalb gab es eine heiße Diskussion, ob man sich enthalten oder ungültig wählen sollte, oder ob man das Kreuz auf sich nimmt und sich an die Urne schleppt, um dasselbe dort bei Macron zu machen.
Die dilemmatorische Frage war, wie kann man die Ausgansgposition des Erz-Neoliberalen für die Parlamentswahlen in vier Wochen so schwach wie möglich halten und ihn darüber hinaus generell für seine Präsidentschaft nicht allzu stark werden zu lassen, ohne gleichzeitig LePen zu stärken.
Im Jubelgeheul des herrschendn Blocks und seiner ideologischen Apparate sollte nicht untergehen, dass von dieser Absicht doch Beträchtliches realisiert wurde. Warum?
1. Im Vergleich zu den 82%, die Chirac 2002 gegen LePen-Vater erreichte, sind die 65% Macrons nicht mehr so überwältigend.
2. Über 35% der Wahlberechtigten sind nicht zur Wahl gegangen oder haben ungültig gewählt.
Die Nichtwähler machen 25,3% aus, die Ungültigen 12%.
3. Zum ersten Mal seit 1969 ist die Wahlbeteiligung geringer als im ersten Wahlgang und zwar um ca. 3%.
4. Die ungültigen Stimmen von 12% sind ein absoluter Rekord für die Fünfte Republik. Bei den letzten Wahlen 2012 waren es 5,8%.
5. Das heißt unter Strich, dass der neue Präsident von ca. 42% der Franzosen gewählt wurde.
6. Davon aber haben Umfragen zufolge, wiederum nur 55% für ihn gestimmt, weil sie seine Position teilen (oder seine Augen so schön fanden), die anderen haben ihn gewählt – darunter Linke, Sozialdemokraten, Konservative – weil sie LePen verhindern wollten.
7. Das heißt von der politischen Substanz her kann sich Macron auf nicht einmal ein Viertel der Wahlberechtigten stützen.
8. Das passt zu dem Bild des ersten Wahlgangs, wo die Leute nicht ganz so eingeengt sind durch taktische Überlegungen und ihre tatsächlichen Präferenzen eher zum Ausdruck bringen. Das heißt es gibt ungefähr vier gleich große Lager: die Linke, die 19,5% holte, die Konservativen mit 20%, LePen mit 21% und Macron mit 23%.
9. Mit anderen Worten: mit dem guten Ergebnis Mélenchons und der Krise der Sozialdemokratie besteht die Chance, dass die französische Linke machtpolitisch zum Dritten Pol zwischen Nationalismus und linksliberalem Neoliberalismus werden kann.
Anm. d. Red.: Linken-Vorsitzende Katja Kipping, in deren Partei es zu diesem Thema ordentlich gerappelt hat, und woran u.a. Ex-Jungdemokrat Benjamin Hoff aktiv beteiligt war, versucht mit diesem Interview die hitzige Debatte zu beruhigen.
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