Im Vorfeld des “Diesel-Gipfels” rief ich die in Königswinter bei Bonn beheimatete Twintec Baumot, führender Anbieter von Katalysatoren, Partikelfiltern und Abgasreinigungssystemen an. Diese hatte vor einigen Wochen[1] durch die Umrüstung eines Passat Diesel von Euro 5 auf Euro 6 gezeigt, dass es technisch möglich ist, auch jüngere Dieselfahrzeuge, bei denen genügend Platz für eie solche Anlage ist oder geschaffen werden kann, so umzurüsten, dass 90 – 99% der Stickoxide auf dem Prüfstand und im Fahrbetrieb eliminiert werden können. Ich habe nämlich einen Euro-5 Diesel, den ich sogar bereit wäre, auf eigene Kosten auf eine wirksame Euro 6 (blaue Plakette) umrüsten zu lassen. Statt eines Angebots bekam ich überraschenderweise die Auskunft, dass die Firma nichts für mich tun könne. Sie hätte zwar bewiesen, dass die Umrüstung funktioniere, dies auch vom ADAC in Tests bestätigt bekommen, es fehle aber an der Rechtsgrundlage, dass ihre Umrüstung anerkannt werden könne. Ich war sprachlos. Offensichtlich wird selbst derjenige, der um der Umwelt willen den Schaden seines Autos in Eigeninitiative mindern möchte, nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar von dieser CDU-CSU-SPD Regierung noch daran gehindert!
So musste ich wie die meisten Bürger auf den Diesel-Gipfel warten und wurde tiefer enttäuscht, als ich befürchtet hatte. Wer etwa geglaubt hatte, dass der Skandal um die offensichtlichen Differenzen der angeblichen zu den tatsächlichen Stickstoffwerten der Fahrzeuge und die Kartellvorwürfe, die im Raum stehen, so etwas wie Demut oder gar Reue bei den Verantwortlichen hervorriefen, sah sich weitgehend getäuscht. Verkehrsminister Dobrindt, VDA-Cheflobbyist Wissmann (CDU) sowie auch der Herstellerseite hätte etwas mehr Bescheidenheit auf der Abschlusspressekonferenz durchaus angestanden. Die dort versammelte Politik hat offensichtlich nicht wahrgenommen, oder merken wollen, dass sie mit den “Ergebnissen” des Gipfels gehörig über den Tisch gezogen worden ist. Denn die Ergebnisse sind im Lichte der Tatsache, dass Politik und die Automobilkonzerne zu verantworten haben, was nun die Verbraucher in Form von Fahrverboten und drastischem Wertverlust ihrer vermeintlich als umweltfreundlich im guten Glauben erworbenen Fahrzeuge mit höchster Wahrscheinlichkeit zu spüren bekommen werden, blanker Hohn.
Natürlich: Die Softwarenachrüstung werden die Konzerne “selbstverständlich auf eigene Kosten vornehmen” wie VW-Vorstand Müller betonte (auf wessen bitte denn sonst?), wobei er hinzufügte “eine Technologie, bei der wir bekanntermaßen über große Kompetenz verfügen” – ohne die schöne Doppeldeutigkeit seiner Aussage selbst zu bemerken. Mit angeblich 5,3 Mio. Autos, bei denen bereits 2,5 Mio. eingerechnet sind, die VW ohnehin schon nachrüsten muss, sind diese Maßnahmen eine herbe Enttäuschung. Nein, eine Nachrüstung von Hardware käme überhaupt nicht in Frage, weil man sich ja seine hochbezahlten Ingenieure nicht rückwärtsgewandt beschäftigen wolle, sondern mit den Zukunftstechnologien hieß es beim BMW-Vorstand. Und VW-Vorstand Müller verstieg sich gar zur dreisten Behauptung, eine Nachrüstung der Hardware gäbe es gar nicht oder die Herkunft sei zweifelhaft. Da blitzte sie wieder auf, die hemmungslose Arroganz des Millionenverdieners, die völlige Ignoranz gegenüber den Verbraucherinteressen und Verantwortungslosigkeit gegenüber den selbst geschaffenen Problemen. Allein Daimler-Vorstand Dieter Zetsche bekannte sich zu einer nicht unwesentlichen Verantwortung für die aktuelle Situation, man müsse als Autobauer nun beweisen, dass man Teil der Lösung des Problems sein könne. Danke, Dieter!
Was sind nun die Ergebnisse außer den ohnehin zu erwartenden Software-Updates, mit denen zwischen zehn und maximal dreissig Prozent Stickstoffoxide reduziert werden sollen? Von den Werten behaupten Fachleute, dass diese nicht für alle Fahrzustände gälten, und dass teilweise sogar höhere Immissionen als bei der Vorgängersoftware nach den Updates – etwa beim VW Amarok – gemessen worden sind und bei Kälte nicht funktionieren. Die einzig technisch sinnvolle und umweltfreundliche Maßnahme, die Änderung der Fahrzeughardware, wurde vehement verweigert. Stattdessen Kaufprämien der Konzerne beim Eintausch alter Euro 1 bis 4 Diesel von bis zu achttausend Euro – doch welche Autos sollen Verbraucher davon kaufen? Etwa Benziner, die, wenn ihr Anteil an den Flotten steigt, dazu führen, dass Deutschland die Einsparungsziele für CO² Reduktionen nicht mehr erreichen kann? Etwa Euro-6 Diesel, die die eigene Norm nicht einhalten? Diese Kaufprämien sind ein quasi kostenloses Konjunkturprogramm, das die Konzerne wenig kostet, vielleicht etwas die Händlermarge schmälert, aber es ist aus der Portokasse zu bezahlen – ebenso wie ein dreistelliger Millionenbetrag zur Förderung kommunaler Telematiksysteme und der Verbesserung des ÖPNV. Angesichts der ohnehin in diesem Bereich nötigen Investitionen ein lächerlicher Tropfen auf den heißen Stein.
Da wären etwa drei bis fünf Milliarden für notwendige und mögliche Hardware-Nachrüstungen durchaus spürbar, aber angesichts in diesem Jahr von der Autobranche erwarteten Milliardengewinne auch zu verkraften und gut angelegt, weil sie die tief angeschlagene Glaubwürdigkeit der deutschen Autoindustrie wieder herstellen könnten. Die Kurzsichtigkeit der Ablehnung solcher Programme könnte sich in absehbarer Zeit in vermehrten Fahrverboten durch Gerichte vor allem in Baden-Württemberg, aber auch bundesweit als strategisches Desaster für die Industrie erweisen. Denn gerichtlich verordnete Fahrverbote etwa im mittleren Neckarraum, die zehntausende dort lebenden Mitarbeiter von Porsche, Daimler, Bosch, Mahle und vieler anderer Zulieferer treffen könnten, wären nicht nur ein öffentlicher Imageschaden. Sie würden auch innerhalb der Unternehmen erheblichen Vertrauensschaden bei den Mitarbeitern anrichten. Nicht nur “Wir können alles – außer Hochdeutsch” wäre am Ende, auch das Vertrauen in Know-how und Technologiekompetenz der Tüftler und Macher. Das Diesel-Desaster hat durchaus die Chance zum kulturellen Tiefschlag für eine ganze Branche. Die “Premiumhersteller”, wie sie sich gerne nennen, hätten dann aus Arroganz und Kurzsichtigkeit die Chance vergeigt, das Diesel-Desaster in eine Sternstunde deutscher Ingenieurskunst umzuwandeln.
Wer nun aber glaubt, die Politik hätte sich wenigstens strukturelle Maßahmen zur Bewältigung der Krise überlegt, wie etwa die Schaffung einer unabhängigen Prüfbehörde für Immissonen, die nicht wie das Kraftfahrtbundesamt dem Verkehrsminister, sondern dem Umweltministerium nachgeordnet ist, sieht sich getäuscht. Weder dies, noch eine Einigung auf die “blaue Plakette”, oder Termine für dem Umstieg oder Teilumstieg auf Elektrofahrzeuge, Anteilsquoten der Produktion von solchen und neuen Mobilitätskonzepten wurden vereinbart oder auch nur verlangt. Ebenso wenig wie die Einführung eines Prüfverfahrens für Immisionen während der Fahrt und nicht nur auf dem Prüfstand. Auch etwa die Festlegung von Anteilen regenerativ gewonnenem Stroms für die Ladeinfrastruktur wurden ausgeklammert. Denn bekanntermaßen ist ein E-Mobil, das mit Braunkohlestrom betrieben und geladen wird, umweltschädlicher, als ein älterer Euro 4-Diesel. Die Politik der GroKo hat die Backen aifgeblasen, aber am Ende eine Kapitulationserklärung unterschrieben. Dabei gibt es durchaus erkennbare Unterschiede:
Während für die SPD-Umweltministerin Hendricks und den Grünen Ministerpräsidenten Kretschmann all dies “nur ein erster Schritt” weiterer Maßnahmen sein kann, zeigt sich einmal mehr, dass die bewährten Seilschaften der CDU/CSU Dobrindt/Wissmann/Seehofer gar nicht schnell genug vor der Autolobby einknicken konnten. So kritisierte Cem Özdemir, Vorsitzender der Grünen und nicht zum Gipfel geladen, vor dessen Türen heftig dieses Desaster, es bleibt aber abzuwarten, ob dieser erneute Abgasskandal parlamentarische Folgen haben wird. Heute, so war zu hören, würden auch die Fraktionsspitzen in die Ergebnisse der Gespräche von heute einbezogen. Für die Fraktionsspitzen der Opposition müsste dies eigentlich Anlass genug sein, das Parlament aus seinem Sommerschlaf zu einer Sondersitzung nach Berlin zusammen zu rufen. Wenn die Exekutive derart versagt und ihre Bürger und Verbraucher nicht besser schützt, dann muss das ein parlamentarisches Nachspiel haben.
[1] http://www.auto-motor-und-sport.de/news/twintec-prototyp-euro-6-nachruestung-moeglich-4921606.html
Mein Mitautor Roland scheint altersmilde zu werden. Ich glaube nach der gestrigen Katastrophenveranstaltung, es ist noch schlimmer, als es Sascha Lobo gestern in seiner Spiegel-online-Kolumne
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/diesel-gipfel-deutschland-das-gelobte-land-des-dinglichen-kolumne-a-1161001.html
geschrieben hat. Die gestern versammelte Creme der deutschen politischen und kapitalistischen Klasse hat einen Autismus gezeigt, der, wenn die Behauptung von der “Schlüsselbranche” Auto auch nur annähernd stimmt, unsere ganze Volkswirtschaft vor die Wand fahren kann. Es kümmert sie nicht:
– ihre Kund*inn*en, die das Auto lieben
– ihre Beschäftigten, die vom Auto leben
– alle andern, die vom Stickoxid und CO2-Ausstoss vorzeitig sterben,
– sie selbst und die Familienerben ihrer Grossaktionär*inn*e*n, die aus einem alten Wirtschafts- und Produktionsmodell unermessliche Milliarden gescheffelt haben, aber nichts für die Lebensdauer dieses Modells zu investieren bereit sind.
Die deutsche Autoindustrie war bisher global marktführend; General Motors/Opel war das auch mal. Im Maschinenbau, Förder- und Klimatechnik des Bergbaus, Tunnelbau etc. z.B. ist Deutschland noch global marktführend, obwohl die Produktion bei uns schon weitgehend stillgelegt ist, die Technologieführerschaft wurde verteidigt. Das gestern war die demonstrative Aufgabe einer solchen Verteidigung.
Und eine politische Klasse, die den Autist*inn*en gemäss ihrem Amtseid in den Arm fällt, hamwer nicht:
http://extradienst.nexxtpress.de/?s=Politisches+Prekariat
Industrie- und verbraucherpolitisch hat das deutsche Autodebakel eine Bedeutung wie Fukushima. Aber in Berlin merkts keine/r. Oder weiss es zu verbergen.