Eigentlich haben die Grünen mit dem aktuellen Dieselskandal ein wunderbares Wahlgeschenk erhalten. Der Autogipfel der Bundesregierung entwickelt sich immer mehr zum Flop, bei dem die Regierung vor den kurzsichtigen Profitinteressen der Konzerne eingeknickt ist. Nur meinen jetzt manche Grüne, weil man ja für das Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 sei, dürfe man sich nicht für eine Rettung des Dieselmotors stark machen. Diese Haltung könnte ein schwerer strategischer Fehler sein. Denn niemand anders als die Grünen kann jetzt gemeinsam mit Verbraucherschützern, der DUH und anderen NGOs wirkungsvoll für die Verbraucher Partei ergreifen, die mit dem Dieseldeal zwischen Merkels Regierung und Autokonzernen die Dummen sein werden.
Die selbsternannten Premium-Autobauer weigern sich, eine verbraucherfreundliche Lösung für die Entgiftung der Dieselabgase mit NOx anzubieten. Die von den Konzernen angebotenen Software-Updates beinhalten für beide Seiten – Hersteller wie Fahrzeugbesitzer – hohe Risiken. Denn schon bei früheren Softwareupdates hat sich gezeigt, dass sich die Physik nicht mit Algorithmen überlisten lässt. Wird das Thermofenster, in dem eine NOx – Reduzierung ohne Einspritzung von Harnsäure funktioniert, auf elektronischem Weg erweitert, besteht die Gefahr von Motorschäden in Form verrußter Ein- und Auslasskanäle, verbrannter Brennräume und Ventile. Motortotalschäden sind die Folge. Die Rahmenbedingungen dieser Technik setzt die Physik, nicht der Gesetzgeber. Will man mehr, müssen aufwendigere Techniken her, die bei LKW-Motoren seit langem bewährt sind und funktionieren. So gut, dass ein 40-Tonner mit über 480 PS die Werte locker einhielt, die die an einem Praxistest in der Schweiz beteiligten Mittelklasse-PKW um ein mehrfaches überschritten.
Weil dieses Prinzip seit langem bekannt ist, muss genau genommen unterschieden werden, zwischen “Schummelsoftware”, die auf dem Prüfstand und unter definierten Messbedingungen Werte erzeugt, die in der Praxis niemals erreicht werden, und solcher Software, die bei niedrigen Temperaturen die Abgasreinigung abschaltet, um Schäden am Motor zu verhindern oder auch nur, um die heute vom Verbraucher zu Recht gewünschten Laufleistungen der Motoren von 300.000 km und weit darüber einzuhalten. Trotz modernster Materialauswahl und computergestützter Motorenentwicklung kann keine Konstrukteurin die Physik allein mit Software aushebeln. Alles andere kostet eben zusätzlich Geld.
Wiederholtes Einknicken der Exekutive
Und genau an dieser Stelle begann das eigentliche Versagen der Politik bei Bundesverkehrsministerium und EU sowie dem Kraftfahrtbundesamt. Dass kriminelle Akteure Software so manipulierten, dass Autos Prüfstände erkennen, wie bei VW, konnte so wohl niemand voraussehen, muss aufgeklärt und wird bestraft werden. Dass aber bei Euro 4, Euro 5 und Euro 6 jedesmal augenscheinlich Werte festgelegt wurden, von denen sich im Nachhinein zeigt, dass sie bei niedrigen Temperaturen gar nicht eingehalten werden können, lässt an der Kompetenz der beteiligten Behörden grundsätzlich zweifeln. Wäre nicht der europäische Gesetzgeber besser beraten gewesen, die physikalische Wahrheit, nämlich dass es ohne Einspritzung von Harnsäure keine ausreichende Reduzierung von NOx geben kann, ehrlich in die Verordnung hinein zu schreiben? Zweifellos hätten Automobilkonzerne von vornherein dann die kostspieligere Lösung, die hier auch im LKW funktioniert, auch in Pkw einbauen müssen und genau an dieser Stelle ist die Politik offensichtlich eingeknickt. Beim Dieselgipfel in Berlin, der den Scherbenhaufen zusammenkehren sollte, haben Dobrindt, Seehofer und Co. schon wieder vor der Industrie kapituliert und damit noch mehr politisches Porzellan zerschlagen. CDU und CSU haben Umweltministerin Hendricks und Ministerpräsident Kretschmann mehr oder weniger mit ihrer Position, dies könne nur ein erster Schritt sein, im Regen stehen lassen und glaubten, sich so herausmogeln zu können. Vielleicht war da sogar schon manchem bekannt, dass ein politischer Entlastungsangriff auf die SPD in Niedersachsen kurz bevor stand. Aber wie auch immer, aufgrund der völligen Unfähigkeit dieser Exekutive, den Zielkonflikt zwischen Physik, Umwelt und Verbraucherinteressen zugunsten Letzterer zu entscheiden, kam die Industrie mit ihrer mangelnden Bereitschaft, erhebliche Geldmittel in die Hand zu nehmen, auf Kosten der Verbraucher und der Umwelt durch.
Verbraucher größte Verlierer des Dieselgipfels
Die Software-Billigupdates sind nicht nur kaum innovativ, sie werden für die Automobilkonzerne, aber vor allem für die Verbraucher zu einem unkalkulierbaren Risiko, bei dem Folgeschäden an den Fahrzeugen und eine drastische Minderung der Lebensdauer nicht ausgeschlossen sind. Die Billigupdates sind kurzfristig, kurzsichtig, risikobehaftet und in keiner Weise nachhaltig. Denn ob und wie lange die Hersteller Folgeschäden auf Kulanz reparieren oder nicht, doch wieder Kunden zur Kasse bitten, ist völlig offen. Reportagen wie von “Plusminus” in der vergangenen Woche berichten bereits von Fällen, in denen an VW-Update-Fahrzeugen Schäden auftraten, die beim ersten Mal noch aus Kulanz, dann wiederholt nur zu Lasten des Kunden repariert wurden. Dieses Schicksal droht nun einer Menge Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn allein in Deutschland rund neun Millionen Fahrzeuge der Euro-5 und Euro-6 Norm betroffen sind, dann ist dies etwa ein Sechstel der gesamten Pkw-Flotte. Ein großer Teil dieser Fahrzeuge liegt in der Hand von Pendlern, Arbeitnehmern und Selbstständigen. Genau dem Personenkreis, der sich aufgrund der effizienten und preisgünstigen Dieseltechnik für Fahrzeuge wie VW Passat, Skoda, Audi A3, A4, A6, BMW Dreier und Fünfer sowie Mercedes C- und E- Klasse sowie den kompakten SUVs dieser Marken entschieden hat. Allesamt vorwiegend typische Mittelschicht- und Familienautos, deren Besitzer gerade so viel Geld verdienen, dass sie sich kleine Häuser oder Eigentumswohnungen außerhalb der Ballungsräume und solche Fahrzeuge, die wirtschaftlich und haltbar sein müssen, zwar leisten können, für ihren Wohlstand aber auch auf jeden Cent achten müssen, wie Merkels “schwäbische Hausfrau”. Sie sind die Hauptbetroffenen der Dieselkrise.
Sie gehören sozial und vom Bildungsniveau genau zu dem Potenzial von Wählerinnen und Wählern, die eine hohe Wechselbereitschaft haben, und um die vor allem Grüne und FDP um Stimmen konkurrieren. Viele dieser Menschen sind als die Leistungsträger in ihren Betrieben und als Selbstständige flexibel und vor allem pragmatisch eingestellt. Viele von ihnen wahrscheinlich Mitarbeiter der genannten Automobilkonzerne oder Zulieferer oder der IT-Branche, stehen den Beschlüssen des Autogipfels aus Sachkenntnis kritisch gegenüber, weil sie um die Zusammenhänge wissen und sich schlecht vertreten fühlen müssen.
Sie sind für pragmatische Politik der Grünen gerade jetzt erreichbar. Was diese potenziellen Wählerinnen und Wähler aber nicht anspricht, sind Verbote zu ihren Lasten. Mit der Forderung nach dem Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 lösen die Grünen bei diesen potentiellen Wählerinnen und Wählern nur Kopfschütteln aus. Befürchten diese doch, dass Elektrofahrzeuge für sie auf absehbare Zeit zu teuer sind, dass die Infrastruktur fehlt und die Reichweiten nicht genügen. Und zumeist sind sie auch so gut informiert, dass sie wissen, dass ein Elektrofahrzeug, das mit Strom aus Braunkohle fährt, mehr Imissionen erzeugt, als ein uralter Euro-1 Diesel. Wenn die Grünen nicht schnell begreifen, dass ihr pauschales Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030 genau der gleiche Fehler ist, wie schon Veggie-Day und die fünf Mark pro Liter Benzin es gewesen sind, dann werden Sie die Steilvorlage verpassen, die ihnen der Dieselgipfel zugespielt hat. Sie sind gefordert, mit Nachdruck zu insistieren und jetzt den politischen Druck zu erzeugen, die Automobilkonzerne, die noch amtierende Bundesregierung und die EU-Bürokratie zu zwingen, eine Hardware-Nachrüstung der Diesel Pkw durchzusetzen. Die Verbündeten wie die Umwelthilfe und viele Betroffene sind ihnen dabei sicher.
Politik soll Immissionen vermindern, keine Technik festlegen
Mit einer Fokussierung auf die modernste Technik – egal in welcher Art Antrieb würden sich die Grünen auch von dem Verdacht befreien, einseitig für eine Technologie Partei zu ergreifen, die schnell zu einer Sackgasse werden kann. Wer die Entwicklung seit 1990 im Bereich der sogenannten “alternativen Antriebe” kritisch betrachtet, kann sehen, dass es von Bio-Diesel über Ethanol, Erd- und Propangas sowie Wasserstoff im Ottomotor, Brennstoffzelle mit Methanol, Hybrid-Anrtrieb, Brennstoffzelle mit Wasserstoff bis zum batteriegetriebenen Elektroauto in den letzten 25 Jahren viele Favoriten gegeben hat, von denen sich bisher keiner als Patentlösung für die Mobilität der Zukunft erwiesen hat. Niemand kann voraus sehen, ob nicht im Jahr 2029 ein gereinigter Diesel-Hybrid oder die Brennstoffzelle möglicherweise den Bruchteil eines Elektrofahrzeuges an Emissionen erzeugt, das dann immer noch am Kohlestrom hängt. Und noch ein Grund spricht dafür, die Hardware-Umrüstung vehement zu betreiben: die Lebensdauer von Kraftfahrzeugen ist in den letzten Jahrzehnten im Interesse der Nachhaltigkeit ständig gestiegen, zuletzt auf 12-14 Jahre. Statt auf Nachrüstungen auf absatztreibende Prämien zu setzen, mag im Interesse der Automobilhersteller sein. Es ist jedoch nicht nachhaltig, durch Abwrackprämien für eine kürzere Lebensdauer der Fahrzeuge zu sorgen oder gar damit zu bewirken dass die alten “Dreckschleudern” künftig ihre Abgase in Afrika, Nahost oder Asien ungefiltert in die Atmosphäre schleudern.
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