Wer die Sprache nicht kann, wird von deutschen Medien doofgehalten. Man muss ja schon froh sein, wenn sie wenigstens in Spanien überhaupt noch Korrespondent*inn*enplätze unterhalten, Barcelona und katalanisch ist offensichtlich zuviel verlangt.
Die Penetranz, in der die Position der spanischen Regierung, deren führende Partei PP von nachgewiesener Korruption durchsetzt ist, und die sich nie glaubwürdig vom Geist der faschistischen Franco-Diktatur distanziert hat, referiert und die Position der katalanischen Regionalregierung auch von linken Medien wie den nachdenkseiten und german-foreign-policy (letzterer Link verschwindet in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv; die vermuten sogar eine finstere Verschwörung des Bundesregierung hinter dem bösen Separatismus) mit Unverständnis begleitet wird, ist für einen sich unbefangen informierenden Bürger, der des Spanischen und Katalanischen nicht mächtig ist, nicht mehr erträglich. Das war jetzt ein Bandwurm-Satz als Ausdruck von Zorn, der musste raus.
Meine Bildung über Katalonien kommt über die Sympathie für den Johan-Cruyff(also niederländisch!)-inspirierten Fußball des FC Barcelona. Darüber hat sich Katalonien für die Globalisierung der Welt geöffnet. Die ganze Welt will diese Stadt sehen, die bereits darunter leidet, weil – wie üblich in der kapitalistischen Globalisierung – dabei jedes Mass verloren gegangen ist. Katalonien leidet wie ganz Spanien unter der von Deutschland diktierten Austeritätspolitik der EU, die von Spaniens Zentralregierung gehorsam und gegen grossen politischen Widerstand exekutiert wird. Während Portugal unter einer Linksregierung langsam wieder auf die Beine kommt, gilt für Spanien bisher das Gegenteil: Massenarbeitslosigkeit und -armut, insbesondere bei den jungen Menschen.
Katalonien sähe für sich eine Chance wie für Portugal. Das lässt die spanische von Madrid diktierte politische Realität aber nicht zu. Es gibt dort keinen von der Verfassung geschützten Föderalismus wie hierzulande, im Gegenteil. Ein mit der vormaligen sozialistischen Zentralregierung friedlich ausgehandeltes Autonomiestatut von 2006 wurde 2010 vom rechts besetzten Verfassungsgericht wieder kassiert. Das war die Quelle der heutigen Konfrontation.
Das spanische Verfassungsgericht dürfen wir uns nicht als Gegenstück des Bundesverfassungsgerichtes vorstellen. Unseres ist aus Proporz von CDU und SPD besetzt, wobei beide Seiten dem Vorschlag der Gegenseite zustimmen müssen, damit er durchkommt. Die CDU-Kandidat*inn*en neigten in den letzten Jahren dazu, sich eine persönliche juristische Autonomie fernab des Parteisoldat*inn*entums anzuarbeiten, die viele von ihnen zu den aufrechtesten Verteidiger*inne*n der Bürgerrechte in unserer Republik gemacht haben. Unsere Parlamentarier*innen könnte von denen noch eine Menge lernen.
Dieser ganze Exkurs zum Bundesverfassungsgericht, das alles gibt es in Spanien nicht. Das Land hat ein ganz anderes Problem, und die Katalan*inn*en wissen bestens darüber Bescheid. Der Faschismus in Spanien dauerte rund 30 Jahre länger. Beim Regimewechsel in den 70ern, bei dem die Nato, der König und die deutschen Schwesterparteien eine führende Rolle spielten, gab es keinen Bürgerkrieg und kaum Todesopfer, ein grosses Glück für alle Spanier*innen. Es gab aber auch keinen Bruch mit dem alten System. Neue Schläuche, alter Wein. Dafür reichts leider nicht, das Gedächtnis deutscher Medien und Berichterstatter*innen.
In meinem Ärger habe ich gestern versucht, dank der grossen Informationsfreiheit, die wir heute besitzen, mit der Suchmaschine deutschsprachige Quellen zu finden, über die ich mehr über die aktuelle Position Kataloniens erfahren kann. Hier ein paar beispielhafte Resultate:
“katalanische Position”: sage und schreibe 8 Treffer, davon nur einer, der sie inhaltlich authentisch wiedergibt;
“Position Kataloniens”: 58 Treffer, zum Teil viele Jahre alt, keine Übersetzung einer authentischen Position dabei;
“Haltung Kataloniens”: 5 Treffer, der erste ist ein Text von 1937!
“katalanische Haltung”: wow, hier gibts sage und schreibe 122 Ergebnisse, der erste ist gleich ein kurzer Erklärtext, übersetzt von “ANC-Deutschland“. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Katalan*inn*en in Berlin, die sich mit dem Namen “ANC” auf eine “Katalanische Nationalversammlung” genannte Veranstaltung aus dem Jahre 2009 bezieht, aus der ein grosses Netz katalanischer Bürgerinitiativen entstanden ist.
Suchmaschinen individualisieren über ihre Algorithmen die Suchergebnisse. Versuchen Sie es selbst, Sie erhalten vielleicht Bessere als ich.
Diese Auswertung zeigt: in der europaweiten PR-Arbeit Kataloniens, das sich ja ausdrücklich positiv auf Europa bezieht, ist noch sehr, sehr viel Luft nach oben. Niemand in Barcelona sollte glauben, dass die deutschen Medien das schon von alleine schaffen. Die haben andere Interessen.
Update 20.10.: Gestern Abend interviewte der DLF erstmals mit dem Bremer Romanisten Axel Schönberger einen Wissenschaftler, der die katalanische Position vertreten konnte. Der Interviewer des Senders flippte regelrecht aus und unterbrach ständig mitten im Satz, weil er diese Meinung anscheinend noch nie wahrgenommen hatte (Audiofassung anhören).
Update 23.10.: In der Jungen Welt gibt Aussenpolitik-Chef Scheer einen historischen Überblick zu Katalonien, weil auch seine linksradikalen Leser*innen den Überblick verloren haben. Die von ihm beschriebenen Zellteilungen der Linken sind leider keine Folklore, sondern symptomatisch auch für uns.
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