Beueler-Extradienst

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Populismus und asoziale Medien

Seit Jahren haben kritische Journalist*innen und Autoren wie Sascha Adamek (Die Facebook-Falle), Constanze Kurz, Markus Beckedahl, Rena Tangens, um nur einige zu nennen, auf die Gefahren der asozialen Netzwerke hingewiesen, deren Werbeeinfluss die eigentliche Basis ihrer Macht ist und deren Algorithmen Gesellschaft und Demokratie zerrüttend wirken, inden sie keinen gesellschaftlichen Dialog, sondern die perpetuierte Eigenbestärkung und Selbstbestätigung ihrer Rezipienten organsieren. Die Auflagen der klassischen Medien wie Zeitung und Zeitschrift, aber auch der Nutzungsgrad öffentlich-rechtlicher Medien gehen drastisch zurück, weil Politik und klassische Medien es nicht verstanden haben, dass die asozialen Medien die Totengräber der demokratischen Öffentlichkeit sind. Stattdessen prügeln die Verleger auch noch auf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk herum, möchten ihn am liebsten verdrängen und der, wie die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz zeigt, spart sich selbst kaputt. Wie zwei Zwerge, die sich im Angesicht eines Riesen um die Vorherrschaft im Schrebergarten zanken. Populisten aller Lager, Trump, LePen, Geert Wilders, die FPÖ und AfD klatschen Beifall. Es wird Zeit, dass die Medienpolitik geeignete Maßnahmen formuliert und umsetzt, das Internet zu zivilisieren und den asozialen Medien soziale Medien entgegenzusetzen, die diesen Namen verdienen.

Mehr traurig als amüsant ist es, – am schönsten klingt es nach Sendungen über Datenschutzprobleme bei Google und Facebook, aber auch nach Politiksendungen, – wenn ARD oder ZDF regelmäßig darauf hinweisen, dass man sich auch ihrer Facebook-Seite oder bei “Twitter” an der Debatte beteiligen möge. Sie machen also tatsächlich ständig Werbung für ihre Totengräber und natürlichen Feinde. Sie haben nicht verstanden, wie etwa Facebook grob vereinfacht funktioniert: Alle Nachrichten, die dort gepostet werden, werden nach Einstellungen der Nutzer kategorisiert. Das bedeutet, wer zu einer ZDF-Sendung zum Thema Einwanderung sich auf der “Dunja Hajali”-Facebookseite äußert, tut dies nicht (nur) beim ZDF, sondern dient der Analyse von Facebook insofern, als seine Schlüsselwörter ausgewertet und politischen Neigungen seines persönlichen Profils zugeordnet werden können. Aufgrund seiner Äußerung wird er/sie Werbegruppen zugeordnet, die z.B. mit Fake-News versorgt werden können und vor der nächsten Wahl gegen entsprechende Bezahlung mit Werbung oder gezielten “Nachrichten” bespielt werden. Die ZDF-Facebookseite ist also eine Plattform, um Zuschauer für Facebook gläsern, i.S. von berechenbar und verwertbar zu machen – nicht dass etwa persönliche Daten weitergegeben würden – aber sie werden ausgewertet, kategorisiert und Zielgruppen zugeordnet. Und dies geschieht sogar mit Personen, die nicht einmal bei Facebook angemeldet sind. Das scheinen Medienverantwortliche und ihre Datenschutzbeauftragten von ARD und ZDF allerdings bis heute nicht begriffen zu haben, sonst hätten sie diese Praxis längst beenden müssen. Dr. Thilo Weichert, der einzige Datenschützer aus Schleswig-Holstein, der sich mit Facebook deswegen anlegte, fand bei von Politik und Justiz zuwenig Unterstützung.

Kategorisierung ermöglicht Manipulation

Aber auch die Grüne Partei ist ja stolz auf ihren Facebook-Wahlkampf und glaubt an die segensreiche Tätigkeit von Zuckerberg, Eric Schmid und co. – alles Oligarchen, die mit Demokratie nichts am Hut haben. Zwar haben Zuckerberg und Google-Vertreter sich auch öffentlich einmal gegen die Politik Trumps gewandt, möglicherweise aber auch, damit niemand die Frage stellt, wie es dazu kommen konnte, dass die Trumpisten soviel Dummheit, Manipulation und Gegenaufklärung über ihre asozialen Netzwerke verbreiten konnten. Peter Thiel, Facebook-Mitinhaber jedenfalls gehört zu den wichtigsten Unterstützern Trumps und versucht auch schon mal, in Veranstaltung mit handverlesenen Teilnehmern das gesunde Mißtrauen deutschen Verleger gegenüber Facebook in Vorträgen über die angeblichen Vorteile seines Algorithen, asozialen Netzwerkes für ihre Geschäfte einzulullen.

Es geht FB und auch Google sicher nicht in erster Linie darum, den einzelnen Nutzer zu kontrollieren – es geht darum, durch die Analyse von Verhaltensweisen relevanter Gruppen diese zunächst zu kategorisieren, sie unterschiedlichen Clustern zuzuordnen damit man ihnen das anbieten kann, was sie vermutlich aufgrund ihres Verhaltens- und Interessenprofils haben wollen, um daraus folgend auch Rückschüsse auf deren Manipulierbarkeit für Konsumentscheidungen zu treffen. Und Konsumentscheidungen kann man natürlich austauschen durch politische Entscheidungen. Es geht beim Zuschnitt der Algorithmen immer darum, dass am Ende möglichst große, ggf. personenscharf abzugrenzende Zielgruppen entstehen, deren Neigungen bekannt und für manipulative Eingriffe empfänglich sind. Wie genau das Facebook im einzelnen macht, halten seine Macher geheim. Denn darauf begründet sich ihre wirtschaftliche Macht.

Überwachung statt Austausch

So gibt es etwa die “geschlossenen” Facebook-Gruppen, wo Usern die Illusion vom “sozialen Netzwerk” vermittelt wird, es ginge darum, ihnen selbstbestimmten Austausch über bestimmte Inhalte zu ermöglichen. Dabei ist dies in Wirklichkeit ein zutiefst asoziales Netzwerk, weil es ausschließlich darum geht, User nur um so klarer als Adressaten bestimmter potenzieller Werbeinteressen – kommerziell, aber auch politisch – zu identifizieren. Die Überwachungsmöglichkeit bestimmter kleiner Randgruppen durch die NSA ist da nur ein untergeordnetes Randprodukt. Und deshalb wehrt sich Facebook auch so dagegen, IP-Adressen oder Personendaten von Volksverhetzern, Nazis oder Islamisten herauszugeben, denn einmal begonnen, würden diese und auch andere zweifelhafte Zielgruppen möglicherweise schnell wieder vom asozialen Netzwerk verschwinden – und damit schwerer zu überwachen sein.

Die wirklich für die Demokratie gefährliche Wirkung der asozialen Netzwerke liegt in ihrer Verdrängung klassischer Medien mangels wirklich “sozialer Netzwerke”, die diesen Namen verdienen. Hier zeigt sich, dass Medienpolitik das Bedürfnis der Menschen auf Vernetzung ohne Kontrolle bisher völlig ignoriert und dass sie parteiübergreifend das Internet immer noch nicht völlig verstanden hat.

Asoziale Medien sind ethikfrei

Während klassische Medien durch Filterung, Prüfen der Seriosität von Quellen, Überprüfung des Wahrheitsgehalts, Berücksichtigung von politischer Kultur, Höflichkeit, korrekter Sprache oder einfach nur von Gesetzen auf die Verbreitung von gesellschaftlichem Konsens, Streit und Austausch von Linksaußen mit Konservativen, Sozialisten mit Kapitalisten und auch jeglicher Minderheiten innerhalb eines gesellschaftspolitischen Rahmens ausgerichtet sind, der von uns in der Regel “Verfassung” genannt wird, ob deutsch, europäisch, französisch, polnisch, norwegisch usw. entfällt dies auf asozialen Medien völlig. Sie entziehen sich des Eingriffs durch Gesetze und ordnen alles Handeln ihrer Maschinerie der Identifikation von Zielgruppen und des kommerziellen Verbreitens von Informationen beliebiger Art gegenüber diesen Zielgruppen unter. So kommt die Werbung für die neuesten Schnellfeuerwaffen an ihre fünf Millionen Mitglieder der National Rifle Association, der US-Waffenlobby und stärkste Lobbyorganisation aller Zeiten, aber auch von Fake-News an potenzielle Trump- oder AfD-Wähler, wie sie nassrasierenden Rasierschaum, Sportlern Turnschuhe anbieten. Ebenso bieten die Algorithmen von Google aber auch Salafisten, Erdogan-Anhängern, Esoterikern oder Kommunisten immer mehr und einseitiger von dem an, was deren Weltbild nach Analyse der Algorithmen verlangt. Die gesellschaftliche Wirkung dieser Algorithmen ist disruptiv, diskursfeindlich, ethikfrei, demokratiezerstörend, in höchstem Maße asozial. Deshalb ist die Zeit reif, sie als asoziale Medien zu erkennen und zu brandmarken.

Klassische Medien, deshalb nennt man sie “4.Gewalt” der verfassten Demokratie, wirken konsensstiftend, indem sie Diskurse organisieren. Sie sind ob liberal wie “Süddeutsche” oder “Kölner Stadtanzeiger” oder konservativ wie die “Welt” oder “Frankfurter Allgemeine” – auf verständigende, zusammenführende Prozesse gerichtet. Selbst die “Bild-Zeitung” beachtet das Presserecht, veröffentlich keine hetzerischen Leserbriefe oder mußte sich in der Vergangeheit vom Presserat rügen lassen. Die klassischen Medien organisieren Meinungsaustausch, die asozialen Netzwerke zerstören ihn. Deshalb lassen PEGIDA-Anhänger und die Störer von Merkel-Veranstaltungen alle zivilisatorischen Masken fallen, brüllen, und toben mit Ohrenstöpseln, weil sie gar keinen “Austausch” wollen. Weil sie in ihren “Blasen” der asozialen Netzwerke nur noch in ihren kruden Ansichten und Weltbildern bestätigt werden.

Medien als vierte Gewalt der Demokratie unter Druck

Die 4.Gewalt der Demokratie ist zunehmend weltweit unter Druck. Zunächst durch Zeitungssterben und die wachsende Macht von Oligarchen unter den Verlegern wie Murdoch, Berlusconi oder die Medienmogule Osteuropas wie der Populist und Oligarch Andrej Babis in Tschechien, der sich nun zum Präsidenten wählen ließ. Mit dem Kauf der kritischen Tageszeitungen wie “New York Times” und “Washington Post” durch zeitungsferne Konzerne oder Kapitalgesellschaften ist die Pressefreiheit in den USA bereits empfindlich beschädigt und eingeschränkt. Auch in Europa drohen weitere Konzentrationsprozesse, wenn es nicht gelingt, anlässlich der zunehmenden Vorherrschaft des Internet eine grundsätzliche Mediendiskussion zu führen. Es steht nicht weniger auf dem Spiel, als die unabhängige Kontrolle der Demokratie.

Die Antwort auf asoziale Netzwerke, Google und Facebook kann nicht sein, sich ihnen und ihrem Marktmonopol zu unterwerfen. Sie kann nur in einer Gesetzgebung bestehen, die ihre Macht in die Schranken weist. Mit der Europäischen Datenschutzverordnung ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung beschritten worden. Wir brauchen ein europäisches Medienrecht, das das Internet einbezieht und Verantwortlichkeiten und die Durchsetzung von Transparenz, Pressegesetzen und Strafrecht gegenüber Facebook und anderen asozialen Medien genau so ermöglicht, wie gegen andere Publikationen auch.

Ein wirklich “soziales Netzwerk” als Verfassungsauftrag

Ganz entscheidend wäre aber die Diskussion über die Schaffung eines wirklichen im wahrsten Sinne des Wortes “sozialen Netzwerks”, das nach völlig anderen diskursiven Algorithmen funktioniert, wie die bestehenden. Eine freiheitliche, liberale, demokratische Gesellschaft im Internet-Zeitalter erfordert eine ebenso kostenlose, wie demokratisch verfasste Plattform für Meinungsaustausch, Kontakte, Interessen, all dies bietet, was Facebook und Co. vorgeben, philanthropisch zu leisten, jedoch in Wirklichkeit kommerziell ausbeuten. In unabhängigem, gleichwohl verfassungskonform gestaltetem Rahmen könnten hier Verleger, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und nicht manipulativ arbeitende Suchmaschinen auf einer gemeinsamen Plattform zusammen kommen. In Europa gehostet und die Bürgerrechte von Datenschutz-Aufsichtsbehörden geschützt und kontrolliert. Die Gesellschaften für Informatik und Organisationen wie CEPIS sind dabei ebenfalls gefragt. Die Forschungspolitik des BMBF und seine Förderung müsste als erstes darauf ausgerichtet werden. Staatsfern, gleichwohl rechtlich abgesichert und gefördert könnte hier auch ein europäisches Gegenmodell etabliert werden. Ein Gegenmodell zum Überwachungskapitalismus US-amerikanischer Oligarchen und der NSA, chinesischem “Goldenen Schild” mit 100.000 Geheimdienstmitarbeitern und ebensovieler russischer Kontrolleure, Wirtschaftsspione und Trolle des Internet. Dieses könnte weltweit im Internet eine politische und ökonomische Attraktivität ersten Ranges gewinnen. Und letztlich ist ein solches Medium Verfassungsauftrag der EU und des Grundgesetzes, um den Grundrechten in der informatisierten Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen.

Auch für demokratiehungrige Bürgerinnen und Bürger Chinas und Russlands und vieler anderer Staaten wie der Türkei oder den Golfstaaten könnte hier eine Informationsplattform im Internet entstehen, die weltweit attraktiv für Nachrichten, Politik und Informationen, natürlich auch für Zeitungen on-demand oder zertifiziertem E-Commerce offen wäre. Und natürlich auch für Werbung – wenn sie auf Zustimmung und Interesse der Betroffenen beruht, anstatt ihre Gewohheiten heimlich auszuspähen und zu verwerten und stattdessen die Bürgerrechte und den Datenschutz beachtet. Das wäre doch mal eine völlig neues Projekt für eine zukünftige Bundesregierung, gemeinsam mit den Bundesländern!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Ja, ja, und ja!
    Das wäre mal ein Wahlkampfthema gewesen ….

  2. Dorothea Heymann-Reder

    Die Idee hat ihren Charme, nur – wie praktikabel ist sie? Es existieren werbefreie, dezentrale Netzwerke wie Diaspora oder Mastodon, aber sie setzen sich nicht durch. Das Gleiche gilt für (einigermaßen) sichere Chat-Alternativen wie Threema und Telegraph, die nicht gegen WhatsApp ankommen. Warum? Weil Facebook & Co. die kritische Masse an Nutzern haben. Alle sind dort, also auch ich. Nach dem Motto: “Zehn Milliarden Fliegen können nicht irren, Schei… muss schmecken”. Die Nutzer servieren ihre intimsten Daten der Werbewirtschaft auf dem Silbertablett und es juckt sie noch nicht einmal
    Eine Alternative wäre ein Netzwerk, das von öffentlich-rechtlichen, steuer- oder gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten getragen wird. Am besten mindestens auf EU-Ebene. Aber: Wie würde man in einem solchen Netzwerk Bots, Werbung und Hassbotschaften ausschließen? Ohne Kontrolle, KI und Tracking geht das doch gar nicht! Und dann fallen Datenschutz und Meinungsfreiheit im Zweifel wieder hinten runter. Die Quadratur des Kreises ist nichts dagegen! Abgesehen davon, dass – wie gesagt – ein solches Netzwerk wenig Chancen hätte, sich durchzusetzen.
    Fazit: Ich sehe das pessimistisch.

  3. Roland Appel

    Der Hinweis auf die öffentlich-rechtlichen ist schon zielführend, denn ich sehe hier auch einen juristischen Ansatz: Wieso verplempern ARD und ZDF meine Gebühren, um mich und andere auf FB transparent zu machen? Sie allein hätten Macht und Reichweite – gemeinsam mit den Verlegern – ein solches Projekt aufzusetzen. Die “Krawallmacher” Pegida, Salafisten und co werden sich da wohl kaum anmelden. Und ob Meinungsfreiheit im Sinne von “alles ist erlaubt” auf FB oder Whatsapp (ich empfehle “Signal”) jemals möglich waren, ist wohl eher schöne Illusion: NSA und co lesen sowieso alles mit und der Algorithmus zensiert z.B. Fotos vietnamesischer Kinder. Wenn diese Erkenntnis die Gehirnwindungen der Verantwortlichen erobern würde, wäre alles auch nicht mehr so “Neuland”. Ich bleibe Optimist!

    • Dorothea Heymann-Reder

      Sehr richtig, Roland, Facebook-Präsenzen mit unseren GEZ-Gebühren zu finanzieren geht gar nicht. Und zu allem Überfluss dreht sich derzeit eine Diskussion darum, dass die Öffentlich-Rechtlichen – ebenfalls mit unseren Gebühren finanziert – die freie Presse kaputtmachen.
      Stattdessen den Bürgern ein Netzwerk ohne Werbung und Manipulation anbieten, das wär’ schon was.

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