Zum zweiten Mal innerhalb von eineinhalb Jahren sind sie wieder erwischt worden, die Steuerhinterzieher und Steuertrickser dieser Welt. Nach den Panama-Papers nun die Paradise-Papers. Malta, Isle of Man, Irland, die Niederlande, Luxemburg, Schweiz und Österreich, Zypern – so lauten die mehr oder weniger mit unlauteren und unfairen Steuervergünstigungen Oligarchen und Konzerne anlockenden Länder der Europäischen Gemeinschaft oder solche, die von derselben abhängig sind. Sie locken das Kapital der Konzerne an, die mit ihren zum Teil monopolistischen Geschäftsmodellen weltweit Milliarden und Billionen scheffeln und dabei regelmäßig Gesetze brechen, wie Google und Facebook, die sich einen Dreck um Datenschutz und Bürgerrechte scheren oder Amazon, die Gewerkschaften vergraulen und sich um gesetzliche Tariflöhne drücken. Die organisierte Asozialität in Nadelstreifen hat nur ein Ziel: Die dreistelligen und höheren jährlichen Millionengewinne in Sicherheit zu bringen und möglichst unbehelligt von der Verantwortung zu bleiben, die jedes fuktionierende demokratische Gemeinwesen jedem Bürger und jeder Bürgerin auferlegen muss, will es nicht zugrunde gehen.

Allen voran dabei sind US-Firmen wie Facebook, Twitter, Apple, Amazon, Starbucks, Google, Nike, Uber und viele andere mehr. Lewis Hamilton ließ sein Privatflugzeug mit linken Tricks als Geschäftsflieger auf der Isle of Man zu und drückte sich so um Millionen Euro Einfuhr-Umsatzsteuer. Dass Menschen bei der Steuererklärung mogeln, ist nicht neu. Das zeigt sich daran, dass jeder Steuerprüfer und jede Steuerprüferin, die die Finanzverwaltung einstellt, jährlich ein Vielfaches seines Gehaltes für den Fiskus herausholt. Aber all dies sind “kleine Fische” gegen diesen Abgrund von organisierter Gesellschaftsschädigung. Vieles, was bei Steuerprüfungen gefunden wird, ist aus Unkenntnis unserer wirklich nicht einfachen Steuergesetze zustande gekommen und manche Vergünstigung, die möglich wäre, schöpfen kleine und mittlere Einkommen und Unternehmen in der Regel gar nicht aus. Was aber die Panama-und Paradise-Papers von Steuersündern der Mittelschicht unterscheidet, hat die Dimension eines “Schwarzen Lochs” im Vergleich zu einem Asteroiden, eines Tyrannosaurus Rex zu einer Spitzmaus.

Diese Erkenntnis lehrt uns dreierlei:

Erstens: Es sind keine “Gesetzeslücken” oder “Schlupflöcher”, schon gar keine zufällig übersehenen Ausnahmetatbestände, die hier genutzt wurden. Es handelt sich um systematisch von der Politik geschaffene und beschlossene Gesetze, für die diejenigen, die sie beschlossen haben, voll verantwortlich sind. Dass Irland bisher die laschesten Datenschutzgesetze hat und kaum Steuern erhob, ist geschaffen worden, damit sich Facebook, Google und co. genau dort ansiedeln und die Gesetze europäischer Länder umgehen konnten. Dass es nicht nur in den Niederlanden legal ist, dass Konzerne wie Nike oder Starbucks, aber auch andere Franchise-Unternehmen wie McDonalds, Burger King und viele andere mit ihren Unternehmern, Filialen oder Franchisenehmern überhöhte “Lizenzgebühren” abknöpfen, sodass die Firmen mit Sitz in der EU kaum Steuern entrichten, hat System. Es ist von Regierungen – nicht von anonymen Aliens in fliegenden Untertassen – hier zugelassen und beschlossen worden. Die Gesetze der Isle of Man, die den steuerfreien Import von Flugzeugen ermöglichen, machen es erst möglich, dass Billigflieger wie Ryanair Piloten als Scheinselbständige zu Hungerlöhnen und Knebelverträgen ohne soziale Absicherung beschäftigen und ihr Kabinenpersonal so rücksichtslos ausbeuten.

 

Zweitens: Die Finanzminister der Europäischen Union, zumindest ihre Ministerialbeamten und die EU-Beamten der Europäischen Kommision kennen diese Gesetze wie ihre Westentasche. Statt Staaten, die auf diese Weise gegen faire Besteuerung verstoßen, den Wettbewerb der Länder um Niedrigsteuern untereinander verzerren und die soziale Marktwirtschaft zu einer brutalen Fratze des Kapitalismus pervertieren, in ihre Schranken zu weisen und Druck auszuüben, haben die EU-Finanzminister, allen voran Wolfgang Schäuble, diesem Treiben jahreang untätig zugesehen. Während Schäuble und Merkel, IWF und die EU-Finanzbehörden, die “Troika” mit konsequenter Härte darauf bestanden, dass die griechische, italienische oder spanische Regierung rigorose Sozialgesetze durchsetzten, um ihre Haushalte zu sanieren. Während sie durch Drohungen erreichten, dass deren Regierungen den griechischen Rentnern und spanischen Sozialhilfeempfängern in die Taschen griffen und eiserne Sparmaßnahmen zumuteten, haben dieselben EU-Institutionen die Augen davor verschlossen, dass eine organisierte Bande von internationalen Steuervermeidern mit Hilfe von demokratisch gewählten Regierungen allein im Zusammenhang mit den Paradise-Papers schätzungsweise auf Steuereinnahmen von mindestens einer Billion Euro verzichtet haben. Es bleibt abzuwarten, ob auch nur eine dieser verantwortlichen Regierungen oder der sie tragenden Parteien zur Rechenschaft gezogen werden.

 

Drittens: Selbst wenn es sich entgegen der Legende wirklich um “zufällige Schlupflöcher” handeln würde, wäre immer noch die Frage zu stellen, mit welcher Sorte von Unternehmenslenkern und Menschen wir es zu tun haben, die systematisch danach suchen, sich den Verpflichtungen zu entziehen, die sie wie jede Bürgerin und jeder Bürger haben. Was für einen niederträchtigen Chrarakter muss ein Formel 1-Weltmeister haben, der jährlich dreistellige Millionenbeträge als Fahrer und durch Werbegelder von denen kassiert, die ihn für seine “Leistungen” bewundern, sodass er sich auch noch rühmt, den Staat legal um die Steuern für die Einfuhr seines Privatflugzeugs geprellt zu haben? Wieso weigert er sich, für die Start- und Landebahnen aufzukommen, die sein Flieger benutzt, die Straßen und Rennstrecken, ohne die er seinen 1.000 PS-Boliden keinen Zentimeter weit bewegen könnte, wer bildet er sich ein, zu sein, dass er sich davor drückt, für die Schule und Ausbildung seiner hochqualifizierten Mechatroniker und IT-Spezialisten, ohne die er hoffnungslos hinterher fahren würde, ausschließlich andere blechen zu lassen, die ihr Leben lang nicht ein Tausendstel dessen verdienen werden, was er kassiert? Als Formel-1 Fan schäme ich mich, einem solchen asozialen Ar…..h die Daumen gedrückt zu haben. Ich werde es nicht mehr tun.

 

Aber Lewis Hamilton ist nur ein kleines, peinliches Würstchen, verglichen mit den wahren organisierten Asozialen, bei denen man sich fragt, wie lange die Bürgerinnen und Bürger es sich noch gefallen lassen, von ihnen geschädigt zu werden: Wofür hält sich Facebook, das permanent gegen Datenschutz verstößt, Rassismus, Volksverhetzung, Mordaufrufe und Beleidigungen zulässt, zensiert, aber die Verfolgung von Tätern unmöglich macht? Und keine Steuern zahlt? Mit welcher Dreistigkeit nutzt dieses asoziale Netzwerk die Infrastruktur, Kabel, Netzwerke und Übertragungskapazitäten, die zum Teil mit Steuermitteln und Abgaben geschaffen wurden und erhalten werden? Die Gerichtsbarkeit, vor der sie ihre Prozesse führt? Wieso entzieht sich Apple der Pflicht, Abgaben zu entrichten, obwohl sie die Märkte der EU mit Milliarden Produkten überschwemmen, die irgendwann entsorgt werden müssen, deren Transporte von einer Polizei gegen Diebstahl geschützt werden, was ausschließlich andere bezahlen? Amazon, die die Straßen der EU für die Zustellung ihrer Sendungen extensiv nutzen, deren Mitarbeiter diese Straßen befahren und keine Rechte auf angemessene Tarifbezahlung haben, weil die ihnen aus Profitgier verwehrt wird? Was erdreistet sich Starbucks, Mitarbeiter zu Billiglöhnen zu beschäftigen und mit dem Trick der Lizenzgebühren in Europa praktisch keine Steuern zu zahlen? Und mit welcher kriminellen Energie haben die Uber-Chefs hunterttausende von Taxifahrern weltweit in die Arbeitslosigkeit getrieben, indem sie sich über Gesetze und Lizenzen einfach hinweg setzten, auch in Deutschland offen gegen Gesetze verstießen?

 

Niemand ist gezwungen, bei asozialem Pack zu kaufen oder seine Dienste in Anspruch zu nehmen. Es gehört nicht viel Intelligenz dazu, zu erkennen, dass bestimmte Billigangebote nicht funktionieren können, ohne das Gemeinwesen nachhaltig zu schädigen. Niemand ist gewungen, sich auf Facebook vernetzen. Xing, LinkedIn und andere Netzwerke sind datensicher, vertraulich und legen von ihren Nutzern keine heimlichen Konsumentenprofile an, noch arbeiten sie mit NSA und CIA zusammen. “Startpage” statt Google, Thalia statt Amazon, Cafe mit Charme vor Ort statt langweilige Kaffeekette wie überall sind einfache Schritte der Gegenwehr. Wie der Bioladen gegen Massentierhaltung. – Nur viel billiger. “Das beste oder nichts”. ist der Daimler-Werbespruch. Ich finde, damit liegt es auf der Hand: AMG-Mercedes muss Hamilton rausschmeißen. Pascal Wehrlein ist jung, talentiert und wird wahrscheinlich auch kein Arschloch, wenn Dieter Zetsche es richtig begründet.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net