von Andreas Zumach
Trumps Abkehr vom Freihandel schwächt die Welthandelsorganisation weiter. Das bietet aber auch Chancen für die Europäische Union.
Auf dem Spiel steht nach Ansicht mancher Delegierter viel mehr als nur die Liberalisierung: Es geht bei der seit Sonntag in Buenos Aires tagenden Welthandelsorganisation um Sachthemen, aber vor allem um die künftige Bedeutung der WTO als Hüterin des freien Welthandels selbst. Aufgebracht hat das Thema US-Präsident Donald Trump. Schon im Wahlkampf hatte er die WTO ein „Desaster“ genannt. Und auch nach seinem Amtsantritt im Januar blieb seine Distanz zum Regelsetzer und Überwacher des globalen Handels groß.
Nun beraten die HandelsministerInnen aus den 164 Mitgliedstaaten über globale Liberalisierungsregeln für Einkäufe per Internet, für den Handel mit Dienstleistungen sowie für den Warenverkehr mit Umweltgütern. Zudem geht es bei der viertägigen Konferenz um den Abbau handelsverzerrender und umweltschädlicher Subventionen für Fischereiflotten. Mit abschließenden Vereinbarungen ist allerdings – mal wieder – nicht zu rechnen.
Denn: Bei allen Themen hatten sich die ständigen BotschafterInnen in der Genfer WTO-Zentrale in über zweijährigen Verhandlungen nicht auf gemeinsame Beschlussvorlagen einigen können. Diese 11. Ministerkonferenz seit Gründung der WTO im Jahre 1994 steht im Schatten von Trumps „America first“. Zudem wird sie erneut begleitet von Demonstrationen globalisierungskritischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Noch bevor es überhaupt losging, hatte die WTO bereits ihren ersten Aufreger: Einigen Dutzend von der WTO bereits akkreditierten VertreterInnen von NGO und Gewerkschaften hatte die Regierung Argentiniens trotz eines Abkommens mit der WTO die Einreise verweigert – ein bislang einmaliger Vorgang in der WTO-Geschichte.
Noch immer keine Welthandelsregeln für arme Länder
Kritik an der vor allem von der EU und den übrigen Mitgliedern der Organisation wirtschaftlich entwickelter Staaten (OECD) bestimmten Agenda der WTO-Konferenz übte auch der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel: „Statt Themen wie weitere Deregulierungen im Internethandel und im Dienstleistungssektor ganz oben auf die Agenda der Konferenz zu setzen, sollte die EU für Handelsregeln eintreten, die besonders Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich mehr Spielraum für eine eigene Entwicklung gibt.“
Ärmere Länder müssten etwa ihre Landwirtschaft und das Recht auf Nahrung schützen können. Von den OECD-Ländern erwARTE Misereor „klare Zusagen zur Abschaffung aller Subventionen, die landwirtschaftliche Dumpingexporte oder die Überfischung der Meere begünstigen“. Nur so könne die angestrebte Wiederbelebung multilateraler Handelspolitik auch öffentlich Unterstützung gewinnen. Die Agrar-und Handelsexpertin von Oxfam, Maria Wiggerthale, kritisierte, dass die Zusagen der WTO-Ministerkonferenz von Doha anno 2001, faire Welthandelsregeln für ärmere Länder zu schaffen, bis heute nicht umgesetzt wurden.
Tatsächlich ist die WTO seit Doha fast völlig blockiert. Denn seit dem Beitritt Chinas im Jahr 2000 formierte sich eine von Peking geführte Gruppe von Schwellenländern. Gegen diese konnten die ehemals dominierenden Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada ihre Interessen selbst dann nicht mehr durchsetzen, wenn sie in der WTO gemeinsam auftraten.
Seitdem konzentrierten sich diese Wirtschaftsmächte und auch Australien auf bilaterale und multilaterale Freihandelsabkommen – wie TTIP (EU/USA), Ceta (EU/Kanada), TPP (Pazifik/Anrainer), Jefta (Japan/EU) oder Tisa (Dienstleistungen). Doch seit Antritt der Trump-Regierung vollzieht Washington eine weitgehende Abkehr von derartigen Abkommen, wenn diese „nicht den Interessen der USA dienen“.
Neuer Protektionismus unter Trump
Zugleich richtet sich Trump aber auch immer stärker gegen einst unter aktiver Mitwirkung der USA geschaffene globale Handelsvereinbarungen im Rahmen der WTO. Gleichzeitig errichtet er – zum Teil unter klarem Verstoß gegen diese Vereinbarungen – zahlreiche neue protektionistische Hürden zum „Schutz“ der US-Wirtschaft.
Unter Trump hätten „die USA ihre seit 70 Jahren währende Führungsrolle bei der Entwicklung des Welthandelssystems aufgegeben“, sagte der deutsche WTO-Vizedirektor Karl Brauner in Buenos Aires. Für die EU sei das von den USA hinterlassene Vakuum aber eine Chance, die sie zunehmend wahrnehme. Als Beispiel nannte er einen Vorstoß der EU und Brasiliens, weltweit inländische Agrarsubventionen zu senken. „Nationalismus, Separatismus und Populismus sind Irrwege“, sagte Brauner. Letztlich „können wir die Probleme der Welt nur gemeinsam lösen“.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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