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Züge oder Immobilien – die Bahn auf dem Irrweg

von Rainer Bohnet

Die Deutsche Bahn AG ist der größte Grundstückseigentümer Deutschlands. Kein Wunder. Denn rund 40.000 km Gleisnetz, große Bahnhöfe und unzählige Gebäude liegen bzw. stehen auf Grundstücken, die der Bahn gehören. So richtig wurde dies erst 1994 klar, als die Bahnreform in Kraft trat. Denn zum 01. Januar 1994 wurden die Bahngrundstücke in betriebsnotwendige und nichtbetriebsnotwendige Immobilien eingeteilt. Die ersteren verblieben bei der DB, die letzteren gingen in die Obhut des Bundeseisenbahnvermögens (BEV), einer Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn, über, die neben diesen nichtbetriebsnotwendigen Grundstücken auch die Beamten der DB verwaltet.

Innerhalb des DB-Konzerns wurden die Immobilien anfangs selbst verwaltet. im Jahr 2002 gründete die DB die Aurelis Real Estate und 2003 veräußerte sie 30,4 Mio. m² ehemals bahngenutzter Flächen an diese Firma. Seit 2007 ist die Deutsche Bahn AG an der Firma Aurelis nicht mehr beteiligt. D.h., die Grundstücke und Gebäude im Portfolio der Fa. Aurelis gehören seitdem zu 100 % einer Privatfirma und nicht mehr einem staatlichen Unternehmen oder der Bundesrepublik Deutschland.

Eines der größten Immobilienprojekte der DB ist Stuttgart 21. Vermarktet wird das gigantische und politisch höchst umstrittene Projekt als verkehrs- und strukturpolitische Königslösung für das Verkehrschaos in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Namhafte Verkehrsexperten, Politiker der Grünen und der Linken, sowie Umweltverbände wie der VCD sind diesbezüglich anderer Meinung und die Stuttgarter Netz AG, ein kleines Unternehmen mit Bahnexperten im Hintergrund, hat das Eisenbahn-Bundesamt verklagt, weil der bestehende oberirdische Stuttgarter Hauptbahnhof dem neuen unterirdischen Bahnhof ohne offizielles Stilllegungsverfahren gemäß § 11 Allgemeines Eisenbahn-Gesetz (AEG) weichen soll. Der eigentliche Grund für ein Investment von mittlerweile 8,2 Mrd. EUR und einer prognostizierten Fertigstellung im Jahr 2025 ist allerdings das Gelände des oberirdischen Stuttgarter Hauptbahnhofs, das an Investoren veräußert werden soll. Dort sollen Bürogebäude etc. entstehen. Die Verlierer dieses Irrwegs sind die Bahnreisenden, die Umwelt und die zugfahrenden Sparten der DB, weil der neue unterirdische Bahnhof große Probleme mit dem hohen Verkehrsaufkommen haben wird und das Zugangebot wegen fehlender Kapazitäten nicht mehr weiter erhöht werden kann. Wenn man weiß, dass Stuttgart die Stau- und Smog-Hauptstadt Deutschlands ist, erfasst man die Dimension dieses Szenarios.

In Hamburg-Altona plant die Bahn ein vergleichbares Projekt. Dort soll der oberirdische Kopfbahnhof verschwinden, um die Grundstücke anderweitig vermarkten zu können. Erster Widerstand formiert sich auch hier.

In Bonn-Beuel kämpfte die RSE Rhein-Sieg-Eisenbahn GmbH rund 10 Jahre lang gegen die Fa. Aurelis, die den dortigen Güterbahnhof für den Bau eines Lidl-Discounters vorgesehen hatte. Da diese Planungen mit der S 13 kollidierten und die RSE sehr beharrlich auf ihrem Recht bestand, scheiterte dieses Projekt krachend.

Es war und ist ein Kardinalfehler der deutschen Politik, die Bahn nicht als Verkehrsunternehmen mit Daseinsvorsorge-Aufgaben aufgestellt zu haben und stattdessen einen blühenden Immobilienhandel in fast allen deutschen Städten zu generieren, der ausschließlich privaten Investoren dient. Der Staat und die Bürger*innen gucken in die Röhre. Und wenn die Bahn neue Strecken oder Bahnhöfe bauen will, Güterbahnhöfe und andere Logistikanlagen ausbauen oder reaktivieren möchte, stehen ihr ihre ehemaligen Flächen oftmals nicht mehr zur Verfügung. Es gibt allerdings mehrere richtungsweisende Gerichtsurteile, die das Verkehrsbedürfnis der Eisenbahn höher bewerten als das finanzielle Interesse an einem Immobilienhandel. Das lässt hoffen. Nur die Politik ignoriert diese fatale Fehlentwicklung bisher sträflich.

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3 Kommentare

  1. Roland Appel

    Interresant wäre doch nn folgendes: Eine Vielzahl der Grundstücke, die nun in den Stadtzentren verscherbelt werden, sind einstmals vermutlich aufgrund von Bahn-und Wegegesetzen der ehemaligen Landes- und Reichsbahnen enteignet worden. Sie waren fast ein Jahrhundert lang öffentliches Eigentum. Würden sie heute vom Bund verkauft, flössen die sicher exorbitenten Gewinne, die mit Sahnestücken wie dem Areal des ehemaligen Stuttgarter Behnhofs erzielt weerden, wenigstens der Staatskasse zu. Ein nicht kleiner Teil der Staatsverschuldung könnte damit vermutlich abgebaut werden. Nun wäre interessant, was der Bund von der Firma Aurelis für die 30,4 Mio. m² bekommen hat – vermutlich einen winzigen Bruchteil dessen, was die Grundstücke heute auf dem überhitzen Immobilienmarkt wert sind. Wer war denn damals Verkehrminister und wer Finanzminister – ups – die Herren Bodewig und Steinbrück! Unter Rot-Grün ist also ein Deal abgeschlossen worden, der aus heutiger Sicht möglicherweise dem Verschleudern wertvollen Staatseigentums gleichkommt, wenn er nicht sogar den Straftatbestend der Untreue ganz dicht streift oder gar erfüllt. Danke, Neoliberale in SPD und Grünen, Danke, Danke!

  2. Rainer Bohnet

    Insbesondere in den Anfangsjahren der Bahnreform sind viele Fehler gemacht worden. Es wurde und wird Volksvermögen verscherbelt und der Staat, also wir, wird nachhaltig geschädigt. Höchstwahrscheinlich wurden viele Bahnflächen ohne offizielle Stilllegung und/oder Entwidmung veräußert. Es lief nach der Devise “Wo kein Kläger, da kein Richter.” Das klassische Beispiel hierfür ist der Güterbahnhof Bonn-Beuel. Er wurde wider besseren Wissens von der DB an Aurelis verkauft. Aurelis bot die Fläche dem Discounter Lidl an und der griff zu. Das gesamte Gelände war weder stillgelegt noch entwidmet. Das hatte die DB entweder übersehen oder vorsätzlich ignoriert. Die RSE drohte daraufhin mit einer Klage und nach jahrelangen Verhandlungen, die unablässig mit den Planungen der S 13 kollidierten, scheiterte das Projekt. Hätte sich die RSE nicht gewehrt, stünde dort heute ein Lidl-Markt mit hunderten Parkplätzen.

  3. andreas mayer-Brennenstuhl

    in Heilbronn gab es ein sehr große nicht mehr genutzte Bahnfläche- den “Süd-Bahnhof- die zu einem Wohngebiet umgewidmet werden sollte. Mein Vater konnte sich noch erinnern, dass dieses Gebiet der Bahn kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, als es seinerzeit mit Schienen bebaut wurde. Als es nun zum Verkauf kam hat er bei der Stadtverwaltung angefragt, weshalb hier plötzlich öffentliches Eigentum von der Bahn verkauft werden kann und hat eine sehr unbefridigende Antwort erhalten: es gäbe keine Unterlagen mehr über den damaligen Vorgang. So einfach wird öffentliches Gut zu Spekulationsware des DB-Konzerns.

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