Nachdem ich gestern den Text von Peter Wahl zur französischen LFI online gestellt hatte, las ich diesen Bericht der Jungen Welt zu diesem Text (den sie selbst nur hinter ihrer Paywall online stellte). Nun müssen wir in Rechnung stellen, dass die JW in den Grabenkriegen der sich anmassend “Die Linke” nennenden Partei keine unabhängige Beobachterin ist, sondern in der Regel selbst Partei nimmt. Doch selbst wenn nur Spurenelemente ihrer Darstellung zutreffen, bleibt ein Armutszeugnis. Wie gedanken- und diskursarm muss man sein, Peters Analyse als Waffe in innerparteilichen Grabenkämpfen zu instrumentalisieren? Oder sie gar als Gefahr für die eigene strategische Position wahrzunehmen?

Ich selbst bin in der luxuriösen Position materieller Unabhängigkeit in diesen Gefechten. Auf dieser Grundlage der folgende Deutungsversuch.

Was in Frankreich klar vor Augen tritt, und von Peter Wahl absolut zutreffend und nachvollziehbar beschrieben wird, ist das Ende des alten Parteienmodells. Es ist in Frankreich definitiv zusammengebrochen. Unsere Nervosität und Unklarheit in Deutschland ist, ob wir jetzt auch kurz davor stehen. Das ist schon den einen oder anderen unorthodoxen Gedanken wert. Wer erkennt die Situation zuerst richtig? Wer ist nach entsprechender Erkenntnis als erste*r politisch reaktionsfähig? Z.Zt. müssen wir befürchten, dass die von der AfD repräsentierte Rechte da bedeutend schneller ist als die Linke. Darum sind kontroverse Analysen, wie die von Peter Wahl, keine Gefahr, sondern eine Hilfe.

Peter spart einen strategischen Fehler der französischen Linken als Gesamtheit aus. Hätte sie sich von Anfang an auf eine gemeinsame Kandidaturhülle geeinigt, hätte sie mit den Stimmen des linken PS-Kandidaten Hamon nicht nur die Stichwahl sondern auch das Präsidentenamt erobern können. Sie war also, ein gemeiner polemischer Vergleich, ähnlich doof wie die US-Demokraten, die lieber gegen Trump verloren, als Sanders aufzustellen. Gemessen daran ist das strategische Desaster für Frankreich mit Macron ja noch gut ausgegangen.

Absolut zeitgemäss ist Peters gründliche Darstellung der Organisationsform von La France Insoumise (LFI), in ihrer ganzen Ambivalenz. Sie erinnert nicht nur an Podemos und Syriza, sondern auch an die konzernartig geführte Movimento Cinque Stelle in Italien. Dank ihr ist dort jegliche Opposition parteipolitisch absorbiert. Während die Bewegung wenig Scheu vor Rassismus hat, gibt es in Italien überhaupt keine konkurrenzfähige linke Kandidatur mehr zur Wahl am 4. März. Aber viele.
Zur Europawahl im nächsten Jahr scheint DIEM25 kandidieren zu wollen. Dieses Modell scheint mir nach einer organisationspolitischen Kopie auszusehen, die aber auf die Analyse konkreter sozialer und politischer Basis – zumindest in Deutschland – komplett verzichtet.
Es sind eben nicht nur Personen, ein paar intellektuelle, gutaussehende Köpfe, die allein in der Lage sind, bei demokratischen Wahlen die Ernte einzufahren. Es muss in erster Linie gesellschaftlich ein Minimum von Etwas bewegt werden. Um das zu können, muss eine Partei/Organisation Diskursfähigkeit zeigen und beweisen, nicht verbergen.
Da könnte die britische Labour-Party in der Tat ein Vorbild sein. Doch wer hat vor lauter Schwäche in Deutschland noch die Kraft dazu? Die SPD allein offensichtlich nicht. Ohne eine Crossover-Kooperation der Linken und Liberalen in allen Parteien wird es nicht gehen.

Viele geben dem Grünen Robert Habeck in dieser Hinsicht grösszügige Vorschusslorbeeren. Seine bisherige öffentliche Performance war so gut, dass er solche Erwartungen ausgelöst hat. Das ist schon mehr als Nichts. Der Nachweis für inhaltliche und strategische Substanz steht in der aktuell brenzligen, “krassen Destabilisierung” (Bonns MdB Katja Dörner) noch aus.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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