Um Sigmar Gabriel müssen wir uns keine Sorgen machen. Da hat Ulrich Horn mal wieder völlig recht. Die spannendere Frage ist, ob die neuen Handelnden an der SPD-Spitze einen Plan haben. Und wann sie ihn uns verraten wollen.

Nach dem verhältnismässig sicheren Sieg in der Mitgliederabstimmung zur Koalition sitzen Andrea Nahles und Olaf Scholz relativ fest im Sattel. Solange ihr Zweckbündnis hält. Scholz war einer der letzten Sozialdemokraten, die eine Wahl gewinnen konnten. Die Andere ist Malu Dreyer, die Chefin des gleichen, kleinen Landesverbandes, in dem sich vermutlich alle persönlich kennen, aus dem auch Andrea Nahles kommt: Rheinland-Pfalz.

Aus dem benachbarten, grossen und (noch) mächtigen Landesverband NRW hat Nahles sich Svenja Schulze geholt. Die kenne ich persönlich gut, ein sympathischer Mensch. Vielleicht war sie bei den Skandälchen in ihrem NRW-Wissenschafftsministerium, die sie augenscheinlich gut überstanden hat, noch etwas zu naiv. Dass sie sich die NRW-Hochschulleitungen, die Intransparenz und das Fehlen von Kontrolle lieben, zum Feind gemacht hat, war grunddemokratisch und mutig. Und im Gegensatz zur Wahlverliererin Hannelore Kraft hat sie einen klaren politischen Kompass. Nahles und Schulze ist gemein, dass sie das Effekthaschen (noch) nicht optimal beherrschen, dafür aber das hartnäckige Bohren dicker Bretter.

Dass Nahles sich nicht in Kabinettsdisziplin binden lässt, dort aber gut vertraute Personen sitzen hat, könnte sich noch als wichtiger strategischer Zug erweisen. Sie hat nun entscheidend in der Hand, ob es wirklich eine „Erneuerung“ ihrer Partei geben wird, und wie weit sie reicht.

Darum ist die Konstellation der Grossen Koalition durchaus spannungsreich. Je nachdem, wie die Kanzlerin und ihre CDU ihre Nachfolge regeln werden, ergeben sich zukünftige Entwicklungen. Kontinuität mit Kramp-Karrenbauer würde den Job für die SPD-Frauen nicht erleichtern. Eine Rechtswende zur hübsch gehungerten Julia Klöckner, oder gar zum karrieregierigen, neoliberalen Industrielobbyisten Jens Spahn würde dagegen ganz neue Perspektiven öffnen.
Die Millionen alten Frauen, die Merkels Wahlsiege sicherten, würden mit Klöckner wie mit Spahn fremdeln. Das bedeutet für Nahles öffentliche Performance: jetzt schnell erwachsen werden.

Für SPD, Grüne und Linke heisst es das ebenfalls. Was habt ihr politisch vor? Wo sind eure Gemeinsamkeiten? Zu welchen Kompromissen seid ihr bereit und in der Lage? Wie weit kommen wir damit? In Richtung einer sozialeren, demokratischeren und ökologischeren Gesellschaft? Und welche Beiträge leisten wir zu einer friedlicheren, kooperativen und gerechteren Weltordnung?

Wie häutet sich der neue Aussenminister? Wird er solche Aufgaben lösen können?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net