Die Bundesliga ist so langweilig, dass der in Bayern eingewanderte Westfale Rummenigge sie jetzt für Kapitalinvestoren aus aller Welt öffnen will. Für sich selbst sieht er dabei keine Gefahr, weil in seiner Vereinssatzung dafür eine 70%-Mehrheit erforderlich wäre, er sich also für ausreichend geschützt hält. Aber wenn die Konkurrenz mehr Kohle hätte, wären Spiele seines Vereins vielleicht wieder interessanter anzusehen. Denn auffällig ist seit einiger Zeit: so wie die TV-Einnahmen sprudeln, gehen die Zuschauerzahlen bei den meisten Mittelklassevereinen zurück. Die Konzernvereine von VW, Bayer, SAP usw. kriegen ihre Mini-Stadien kaum noch voll. Das ist zwar finanziell mittlerweile egal – aber leider auch langweilig.

Das war in Dortmund, der Herzkammer der Sozialdemokratie, anders. Dort steht im Westfalenstadion die grösste Stehtribüne Europas für allein 25.000 Zuschauer*innen – die 55.000 andern auf den teureren Sitzplätzen finden das immer wieder ein Ereignis, auch wenn auf dem Rasen gerade nichts Sehenswertes läuft. Gestern war das auf dem Rasen aber so erschreckend, dass die Sitzplätze sich zügig leerten und die Süd nach dem Spiel die Mannschaft des BVB mit verdientem Pfiffen verabschiedeten.

Wir müssen uns vergegenwärtigen: der Gegner ist zwar das “Bayern Österreichs” – Langeweile dort wie bei uns. Er ist aber nur die Reserve von Leipzig, das “Farmteam” des Bullenbrausekonzerns, und bisher immer in der Champions-League-Quali gescheitert, u.a. an einem Gegner aus Luxemburg. Dieser Gegner hat den BVB gestern im eigenen Stadion spielerisch auseinandergenommen, wie es zwei Tage zuvor in einer anderen Liga Real mit PSG gemacht hat. Für den einstigen Champions-League-Finalisten BVB deprimierend.

Wie konnte es so weit kommen? Ein Erklärungsversuch. Das Erfolgsgeheimnis des BVB in der Ära Klopp, und mit Abstrichen noch in der Ära Tuchel, war der Teamgeist. Nur gemeinsam war mann stark. Jeder half dem Anderen, keiner wurde in Bedrängnis alleingelassen, Verantwortung wurde übernommen, nicht abgeschoben. Dieser Geist ist weg. Er ist im heutigen Fußballbusiness eine immer seltener werdende Ausnahme, und wohl nur noch für Ausnahmephasen und -situationen mobilisierbar.

Denn die Spieler sind heute alle Ich-Unternehmer, oft mangels Reife noch nicht einmal die Chefs, eines mittelgrossen Konzerns, der ihren Namen trägt. 18-35-jährige sind eine “Marke”, sind “branded”, deutsch wörtlich gebrandmarkt. Und tragen charakterlich schwer daran.

Spieler wie Götze oder Dahoud, letzterer aus einer syrischen Flüchtlingsfamilie, vor wenigen Jahren noch die grössten Talente der Liga, sind offensichtlich nicht in der Lage ein Team von 11-14 Männern zu führen, weil sie mit sich selbst, bzw. ihrem Unternehmen beschäftgt und ausgelastet sind. Wir müssen dazu wissen und berücksichtigen, dass um solche Jungmillionäre ein kleines Heer von Dienstleister*inne*n und Familienangehörigen wuselt, deren Arbeitsplätze alle von seiner Form abhängig sind. Den “Hut” haben meistens nicht die Spieler selbst auf, sondern ein Spielerberatungsunternehmen, ebenfalls mit Konzernausmassen, dem sich die jungen Männer mangels eigener Business- und Jurakompetenzen ausgeliefert haben.

Die nicht funktionierenden Strukturen, die gestern beim BVB zu besichtigen waren, finde ich bei meiner Borussia ganz ähnlich wieder. Beim BVB ist Schmelzer als einer der dienstältesten Mannschaftskapitän, gleichzeitig aber als Linksverteidiger eine beständige Achillesferse der BVB-Defensive. In Mönchengladbach sehnen wir uns regelrecht den Führungsqualitäten des Oft-Verletzten Christoph Kramer entgegen, weil Kapitän Stindl gerade eine Formkrise durchmacht.

Es gibt nur eins, was diese Mannschaftssysteme zusammenhalten kann: Erfolg. Das ist das Blöde am Leistungssport: den hat immer nur der Erste. Alle andern drehen sich früher oder später in eine Krise rein. Da ist der deutsche Fußball jetzt drin, seiinem vollen Geldspeicher zum Trotz.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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