Gestern morgen dachte ich, da ist dem Startup-Unternehmen Careship ja ein feiner PR-Coup gelungen: ein langer redaktioneller, werbeähnlicher Artikel im Handelsblatt. Als ich dann nachmittags zum Abfassen dieses Textes den archivierten Link erneut anklickte, musste ich feststellen: jetzt war der Artikel vom Handelsblatt hinter einer Paywall vermauert (und ist darum hier nicht verlinkt). Was mag die Redaktion dazu bewogen haben? Meine Hypothese: anknüpfend an den im Text artikulierten Gedanken „Pflege ist Vertrauenssache“ ist es vielleicht suboptimal, darauf bezogene Überlegungen zur Profitabilität und Rentabilität eines „Wachstumsmarktes“ vor einer übertrieben grossen Öffentlichkeit auszubreiten.

Zumal ein Konkurrent des Holtzbrinck-Konzerns, der das Handelsblatt herausgibt, ein wichtiger Investor von Careship ist: der Springer-Verlag. Und in dessen Medium „Gründerszene“ schon dieser, in weiten Passagen wortgleiche, PR-Text erschienen war. Jaja, so ist das mit der Vertrauenssache, manchmal eine ganz heisse Kartoffel.

Genauso wie bei anderen datenverschwenderischen Netzwerken stellt sich bei dieser Vertrauenssache erneut die Frage: warum muss eine Netzwerkplattform renditeorientiert sein? Warum wird kein gemeinnütziger, für alle Anbieter*innen diskriminierungsfreier Online-Marktplatz für alle angeboten? Warum bietet das nicht der Staat, seine Bundesagentur für Arbeit, zu deren Kerngeschäft angeblich das Vermitteln von Arbeit gehören soll, und/oder die Kranken- und Pflegekassen, und/oderVerbraucher*innen*organisationen, und/oder Sozialverbände und Gewerkschaften, und/oder alle zertifizierten Care-Anbieter*innen gemeinsam auf Nonprofit-Basis an – so dass in erster Linie diejenigen, die gepflegt werden, und diejenigen, die die Maloche machen, davon den Nutzen haben?
Es mag ja sein, dass manche der hier Erwähnten für bürokratische, inkompetente Monster gehalten werden. Und ganz gewiss ist niemand von ihnen Bestandteil des Geschäftsmodells von Careship oder möglichen noch folgenden Konkurrenzanbietern. Aber das ist nicht die Lösung, sondern ein Problem. Und eine klassische Aufgabe von Politik und Gesetzgebung, das zu lösen.

Careship ist nicht dafür zu kritisieren, dass es auf diese Idee gekommen ist. Unsere staatlichen, öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen sind dafür zu kritisieren, dass sie das bisher verschlafen haben. Wenn der Bundesgesundheitsminister nicht dieser reaktionäre Bursche mit der Brille wäre, würde ich jetzt fordern, dass er sich mal darum kümmern soll.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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