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Seehofers rechtstaatswidrige Internierungslager

Der Sachverhalt ist lange nicht so spektakulär, wie er aufgebauscht wird, die politische Berichterstattung darüber um so bedrohlicher. Die Polizei wollte in einem Sammellager für Flüchtlinge in Ellwangen eine jungen Mann aus Togo nachts um halb drei zur Abschiebung abholen. Dass dies auf größeren Widerstand treffen könnte, weil er in einer Massenunterkunft untergebracht ist, damit rechneten die eingesetzten Beamten wohl vorher nicht. Anstatt den Deliquenten widerstandlos mitzunehmen, trafen sie auf etwa hundert bis hundertfünfzig Männer, die sich mit dem Betroffenen solidarisierten und seine Festnahme verhinderten. Klugerweise zogen sich die lediglich vier Beamten deeskalierend zurück. Tags später kamen sie mit zwei Hundertschaften zurück und nahmen das gesamte Sammellager überfallartig auseinander, viele Bewohner fest und den gesuchten Togolesen mit. Der 23-jährige wurde verhaftet und weggebracht und die Politik in Person des Baden-Württembergischen Innenministers äußerten sich in maßlosem Getöse und nahezu hysterischen Dramatisierungen und Unterstellungen gegenüber der Öffentlichkeit. Man habe gezeigt, dass man “keine rechtsfreien Räume” dulde und ein Exempel statuiert, suhlte sich der Landesinnenminister in einer Vehemenz, als habe seine Polizei den Papst aus den Klauen des IS gerettet.

Krieg in der Unterkunft als Aufreger

Zu welch infamen Unterstellungen oder Verdächtigungen die Innenminister Strobl, CDU (Baden-Württemberg) und Seehofer CSU (Bund) dabei fähig sind, überschreitet jedes Gebot der Rechtstaatlichkeit und Unschuldsvermutung.  So wurde erklärt, leider habe man zwar keine Waffen gefunden, obwohl sich einzelne Flüchtlinge dahingehend geäußert hätten, dass man beim nächsten mal nicht tatenlos derartigem Tun zusehen wolle. Aber es seien viele “Gegenstände des täglichen Gebrauchs” die mißbraucht werden könnten, sichergestellt worden. Dass es in Asylunterkünften Besenstiele, Küchenmesser, Scheren oder Hammer geben könnte, reicht offensichtlich im heutigen Klima der Aufgeregtheit und Aggression gegenüber Flüchtlingen schon aus, um diese einem Generalverdacht, Gewalttäter zu sein, auszusetzen.

Rechte Sprache als Waffe

Als “Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung” stellte heute Bundesinnenminister Seehofer dar, dass die armseligen Flüchtlinge von Ellwangen sich gegen die Rechtsordnung gerichtet und – natürlich – einen Angriff auf alle guten, rechtstreuen Bürger geführt hätten – auch die, die fünf und mehr Punkte in Flensburg haben, fühlen sich da doch umarmt und endlich mal liebevoll angesprochen! Ein Innenminister sollte durchaus rechtstaatliche Begriffe des ersten Semesters Jura kennen und wissen, dass man als Bundesinnenminister nicht eine Gruppe der Gesellschaft gegen die andere emotional aufwiegeln sollte. Aber das ist wohl eine “old fashioned” Meinung aus der “Bonner Republik”.

Mit seiner infamen Aufwiegelung des scheinbar “gerechten” Volkszorns hat Seehofer stattdessen einen neuen Gipfel der AfD-isierung der Politik erreicht. Die Öffentlichkeit gegen Asylsuchende aufzuwiegeln, mag ja seiner bescheidenen Geisteshaltung entsprechen, sie ist jedoch nicht verfassungsgerechte Aufgabe eines Bundesinnenmnisters. Wie verkommen also Seehofers Weltbild scheint und wie unfähig er zu differenzierter Betrachtung des Sachverhalts wohl ist, muss in der Tat um Rechtstaatlichkeit und den Zustand unserer demokratischen Öffentlich unter Schwarz-Rot besorgt machen.

Fluchtgründe und Menschenrechte mißachtet

Denn darauf zu kommen, dass vielleicht allein die Tatsache, dass sich Flüchtlinge gegen Methoden nächtlicher Festnahme zur Wehr setzen, damit zu tun haben könnte, dass eine Abschiebung zu Nacht und Nebel etwas ist, was sie nur allzu gut aus ihren Herkunftsländern kennen, erfordert ja schon ein Mindestmaß von Intelligenz. Geschweige denn die Fähigkeit zur Erkenntnis, dass dies alles nicht mit den Verhältnissen eines demokratischen und liberalen Rechtstaats vereinbar ist, – die ist wohl Herrn Seehofer entgangen. Was den Flüchtling aus Togo anbelangt, geht im allgemeinen Getöse selbst bei Grünen und TAZ – geschweige denn bei der FDP oder Linken unter, was Togo für ein Staat ist:

So sagt der BERICHT VON AMNESTY INTERNATIONAL u.a.:…Die Sicherheitskräfte wandten auch 2016 exzessive Gewalt gegen Demonstrierende an. Nach wie vor kam es zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen sowie zu Folter und anderen Misshandlungen, und die Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen bestand fort. … Ab Oktober 2016 befasste sich der UN-Menschenrechtsrat im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung mit der Lage der Menschenrechte in Togo. Die UN-Mitgliedstaaten äußerten sich u. a. besorgt über die herrschende Straflosigkeit sowie Beschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Es wurde zudem kritisiert, dass die Geburtenregistrierung nicht kostenfrei ist, was für Kinder zu einem eingeschränkten Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen Sozialleistungen führen kann. … Im September 2016 nahm die Nationalversammlung eine Änderung des Strafgesetzbuchs an, die eine dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe entsprechende Definition von Folter enthielt und festlegte, dass Folter ein nicht verjährbares Verbrechen ist. Dessen ungeachtet gingen das ganze Jahr Berichte über Folter und andere Misshandlungen ein. …  Auch mehr als elf Jahre, nachdem rund 500 Frauen und Männern in der Zeit um die Präsidentschaftswahl am 24. April 2005 durch politisch motivierte Gewalt zu Tode gekommen waren, unternahmen die Behörden nichts, um die für die Tötungen Verantwortlichen zu ermitteln.

Falsche Methoden und falsche Internierungslager

In der Öffentlichkeit werden solche Tatsachen offensichtlich gar nicht mehr für beachtlich gehalten. Es geht nur noch darum, möglichst viele Flüchtlinge als “offensichtlich unbegründet” so schnell wie möglich abzuschieben.  CDU/CSU Politiker praktizieren inzwischen das, was sich in den siebziger und achtziger Jahren NPD und andere Rechtsextremisten als “Ausländer Raus” Politik gegen “Scheinasylanten”, “Asylschwindler” und “Asyltouristen” gewünscht haben. Freiheit und Rechtstaatlichkeit stirbt immer scheibchenweise. Man muss sich schon fragen, wieso kein einziges “bürgerliches” Medium kritisiert, dass die Polizei derartige Methoden anwendet. Man könnte auch zivilisiert am hellichten Tag kommen – natürlich mit Verstärkung, wenn es denn nötig wäre – aber Festnahmen bei Nacht und aus dem Bett heraus sind Methoden der Unrechtsregime, der Stasi, der GPU, des chilenischen Militärs und schlimmeren Regimen, Sie sind eines demokratischen Rechtstaates unwürdig. Allein die Gewerkschaft der Polizei muss da gelobt werden, weil sie erkennt, in welche Richtung ihre Mitglieder in Zukunft als Bewacher solcher Internierungslager instrumentalisiert werden sollen.

Nicht mit der Menschenwürde vereinbar sind zentrale Sammellager, die die Schwarz-Rote Bundesregierung für Flüchtlinge einrichten will. Seehofers AnKER-Einrichtungen, zentrale Internierungslager, in denen Geflohene zu hunderten ohne Arbeit, Schule für ihre Kinder und Integration bis zu zwei Jahre untergebracht und praktisch von der Außenwelt abgeschirmt und in ihrer Welt der gegensätzlichsten Ethnien, Sprachen und Kulturen auf engstem Raum und bei “Naturalleistungen” eingesperrt werden sollen, lässt schlimmes erwarten. Solche Einrichtungen, die ihren Insassen praktisch keine Perspektive anbieten, sind in Gefahr, entweder schnell zu Brutstätten von Kriminalität wie Drogenhandel, Handel mit illegaler Arbeit, Prostitution und Identitätsfälschung zu werden oder zu Abschiebehaftanstalten zu mutieren, die Bedingungen wie Gefängnisse erfordern. Solche Einrichtungen fordern Situationen wie die in Ellwangen geradezu heraus. Sie werden zukünftig wiederholt Anlass zu Konflikten bieten und das Thema Flucht und Migration weiter diskriminieren und damit das Geschäft der politischen Rechten in der Gesellschaft betreiben. Die Flüchtlingspolitik von Seehofer und Co. ist jetzt schon gescheitert. Dass er heute an der Grenze zum Populismus die Bürger gegen vermeintlich rechtsbrecherische Flüchtlinge aufhetzte, ist nur ein erster Schritt zur weiteren Verluderung der politischen Kultur in der CSU. Nützen wird es ihm nichts, die AfD freut sich bereits, diese ideologische Schlacht gewonnen zu haben.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Welches “Gastrecht” kann einer “missbrauchen”, wenn er keins bekommt?
    Welche Verhaltensoptionen haben Rechtlose?
    Gibt es irgendein Medium, das aus Ellwangen die Perspektive der internierten Flüchtlinge darstellt, berichtet, referiert? Oder sind wir schon im Propagandakriegsmodus mit den Flüchtlingen? Ist das die DDR hier?

  2. Klaus Richter

    Lieber Roland,
    mit Sicherheit hätte der Togolese tagsüber auf die Polizei gewartet, wenn er nicht gerade abwesend, vielleicht legalen oder illegalen Tätigkeiten nachgegangen wäre.
    Ich glaube, Du kennst die Vorkommnisse nur aus den Medien und nicht in der Realität. Deshalb ist Deine Beurteilung doch etwas blauäugig.
    Überwiegend zustimmen kann ich Deinem letzten Beitrag Trump, Putin, Nato und EU.

    In diesem Sinne freundliche Grüße aus dem Schwarzwald

    Klaus

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