Die Politik Horst Seehofers und der CSU wird mehr und mehr zu einer symbolischen Effekthascherei. Seine Motivation ist die Fortsetzung seines Konflikts mit Merkel mittels eines billigen Populismus und völlig unabhängig vom zu erzielenden Ergebnis. Er basht die Kanzlerin indirekt weiter, er betreibt ein unwürdiges Vorführen der Kanzlerin. Unterschwellig, hinterhältig, scheinloyal – obwohl er Minister ihrer Regierung ist.
Beispiel Nummer eins: “AnKer-Zentren”
Die Debatte um die sogenannten Zentren zur Konzentration von jeweils 1.500 Flüchtlingen ist reine Symbolpolitik. Das Asylrechtsverfahren war noch nie einfach. Das resultiert nicht nur aus der sich ständig ändernden Lage in den Herkunftsländern von Flüchtlingen, es resultiert vor allem auch aus der Notwendigkeit der Beachtung von international anerkannten Menschenrechten, der Genfer Flüchtlingskonvention, dem Artikel 1 des Grundgesetzes (Menschenwürde), und dem Grundsatz unserer Verfassung, dass alle gesetzgebende, vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an die Menschenrechte gebunden sind. Deshalb dürfen, wenn im Ursprungsland Folter oder Todesstrafe drohen, auch abgelehnte Asylbewerber nicht abgeschoben werden. Der allergrößte Teil der Flüchtlinge kann aus diesem Grund nicht abgeschoben werden. Oder weil zu Hause Krieg herrscht und die Genfer Konvention eine Abschiebung verbietet.
Ein kleinerer Teil bleibt aufgrund fehlender Identität. Aber wir leben in einem Rechtstaat, und wenn wir den nicht aufgeben wollen, gibt es eben Rechtsmittel und wird keine Willkür herrschen, auch wenn Herr Dobrindt im Stile eines rechtsextremistischen Demagogen Anwälte als “Abschiebeindustrie” diffamiert. Das erdreistet sich einer, der vor wenigen Monaten noch als Verkehrsminister die schützende Hand über die Vertuschungsindustrie der Automobilkonzerne gehalten hat. Da kann Herr Seehofer noch so große Sammellager fordern und die AfD noch so rassistisch krakeelen – es wird sich an der Dauer der Verfahren und an der Notwendigkeit der Duldung vieler, denen zu Hause Folter und Todesstrafe drohen, nichts ändern. Vor allem diese letzte Gruppe in diese Sammellager von 1.500 Menschen zu stecken, ist vor allem für Frauen und Kinder eine Zumutung. Trotzdem hält Seehofer an seinen irrwitzigen Plänen fest. Zu welchen Problemen das führen kann, ist in Abschiebehaftanstalten wie in Büren/NRW seit Jahren hinreichend bekannt. Aggressionen, Kampf der verschiedenen nationalen oder religiösen Gruppen untereinander, Gewalt, knastartige Lebensverhältnisse.
Das eigentliche Problem, die Fluchtursachen werden von dieser Bundesregierung nicht bekämpft.
Beispiel nummer zwei: Angebliche BAMF-Fehlentscheidungen
Die Diskussion um immer noch nicht nachgewiesene, aber fleißig in der Öffentlichkeit breitgetretene angeblich fehlerhafte Bescheide über Asyl beherrscht nun seit etwa acht Wochen die Öffentlichkeit. Immer wieder wird mit Halbwahrheiten, Teilinformationen, Interviews und Vorverurteilungen gearbeitet, der Eindruck erweckt, als versage der Rechtstaat. Von den Nazis über die AfD und CSU bis in Teile der FDP hinein wird das Thema augeschlachtet, um weiter Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Es handelt sich dem Anschein nach um etwa 480 – 1.200 Fälle – und selbst wenn es zehnmal soviel wären, ist das angesichts von 890.000 Flüchtlingen, die allein 2015 nach Deutschland kamen, und von denen übrigens ca. 400.000 inzwischen das Land wieder verlassen haben, eine lächerliche Zahl. Sie liegt vermutlich weit unter dem Prozentsatz der durchschnittlich fehlerhaften Steuerbescheide, gegen die von Bürgern jedes Jahr regelmäßig Einspruch eingelegt wird. Dass in einem Amt, das mit einer erheblichen Flüchtlingswelle zu tun hatte, das etwa sechstausend neue Mitarbeiter in kürzester Zeit einstellen musste, auch Fehler vorkommen ist doch nichts besonderes! Und wenn in bestimmten Fällen illegale Machenschaften eine Rolle spielten, könnte das in aller Ruhe von der Revision und von der Staatsanwaltschaft geprüft werden. Das Krakeele der AfD und auch der FDP mit der Forderung nach einem Untersuchungausschuss ist allzu durchsichtig: Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, Stimmungenmache gegen Merkel.
Dass Seehofer dem nicht entgegen tritt, sondern ins gleiche Horn bläst, wie die AfD, dass also der andauernde rechtsextrem aufgeladene Diskurs in den bürgerlichen Parteien CSU und CDU keinen Widerstand findet, sondern der Richtung recht gegeben wird, ist fatal und wird die AfD-Ergebnisse weiter im zweistelligen Bereich halten. Das öffentliche Getöse ist zu weiten Teilen der AfD geschuldet, die weiterhin nur ein einziges Thema hat, nämlich die angeblich verfehlte Flüchtlingspolitik, an der angeblich Angela Merkel schuld ist. Rechtsextremismus im weißen Kragen. Etwas anderes können sie nicht. Das hat nicht nur die Haushaltsdebatte im Bundestag gezeigt. Trauriger Höhepunkt, als am vergangenen Wochenende ein trauriger Haufen von Hakenkreuz-tätowierten Dumpfbacken, über nationaltümelnde “Wutbürger” und “Bernd Höckes” Brüder im Geiste vor dem Brandenburger Tor herumgelungert sind und vom “Wutgreis” Gauland mit rechten Vorurteilen verbal bespielt wurden. Dank sei den mehr als fünfmal so vielen Menschen in Berlin, die dagegen gezeigt haben, dass die Republik mehrheitlich bunt ist.
Das ganze Theater um das BAMF löst kein einziges Integrationsproblem, hilft nicht in der Frage weiter, was tun mit etwa 900 IS-Kämpfern, Frauen und Kindern, die als deutsche oder hier geborene Doppelstaatler demnächst teils radikalisiert, teils traumatisiert aus Nahost zurück kommen werden und für sich selbst, ihre Kinder und andere eine Gefahr darstellen. Hier versagt Seehofer, hier versagen Schule, Jugendarbeit, Sozialarbeit und anstatt sich den Problemen zu stellen Streicht die Bundesregierung lieber noch die Mittel für Initiativen für Flüchtlingsbetreuung und Integration ab 2019.
Beispiel nummer drei: Die Datenschutz-Grundverordnung
Seit zwei Jahren war bekannt, dass die DSGVO am 25.5.2018 in Kraft treten wird. Anstatt dieses Datum und die damit verbundenen Rechte und Pflichten allen Bürgerinnen und Bürgern, vor allem aber Kleinuntermehmen, Mittelständlern, Selbständigen und Gewerbetreibenden bekannt zu machen und sie zu unterstützen, passierte buchstäblich nichts! Als 2009 die Bundesregierung in einem 500-Milliarden-Beschluß die sogenannte “Banken-Rettung” durchführte, wurde in Großanzeigen in allen Tageszeitungen über diese Heldentat zur Rettung des teilweise kriminellen Finanzkapitals aufgklärt. Es wurden Zeitungsanzeigen geschaltet, Werbespots und Aufklärungsmaterial gedruckt. Aufklärung zum Inkrafttreten der DSGVO wurde den personell völlig überlasteten Datenschutz-Aufsichtsbehörden der Länder überlassen, die seit Wochen zeitweise nicht mehr ansprechbar sind.
Kein Wort von der Justizministerin dazu, obwohl Klarstellungen wie die, dass etwa Heilberufe wie Arztpraxen oder Physiotherapeuten, die keine 10 Mitarbeiter beschäftigen, keinen Datenschutzbeauftragten brauchen, für die Betroffenen hilfreich gewesen wären. Dass klar gegen mißbräuchliche Abmahnanwälte vorgegangen wird. Oder dass die Bürger wirklich aufgeklärt werden, dass sie nun mehr Rechte haben.
Peinlich, dieser Auftritt der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Vosshoff zwei Tage vor Inkrafttreten der Verordnung, ohne nur ein substanzielles Wort der Aufklärung, keine Unterstützung bei der Bewältigung der DSGVO in der Wirtschaft. Nein, es wurde der Datekrake Facebook überlassen, ganzseitige Anzeigen mit der falschen Behauptung zu veröffentlichen, man halte die DSGVO ein, um dann die User damit allein zu lassen, dass Facebook mit der neuen Datenschutzerklärung seinen Kunden gleich mal personalisierte Ausspähung und Werbung als die “bessere Alternative” und die Zustimmung zur biometrischen Gesichtserkennung als zynisches “Sicherheitsmerkmal” verkauft. Gegen diesen Mißbrauch wäre eine “null Toleranz” Strategie von Herrn Seehofer angebracht.
Beispiel vier: Olaf Scholz’ schwarz-rote Null
Obwohl die Straßeninfrastruktur vor allem der westlichen Bundesrepublik in einem katastrophalen Zustand ist, die Mehrzahl der Autobahnbrücken aus den 60er Jahren stammt, eben nicht nur die Leverkuserner Engstelle, sondern viele andere, obwohl nach wie vor Schulen und Krankenhäuser, Universitäten und Kindergärten, aber auch öffentliche Ämter, Schwimmbäder und Turnhallen aus den 70er Jahren stammen und marode sind, ist der Finanzminister stolz auf seine Null. Wer in Zeiten sprudelnster Steuerquellen, angesichts der boomenden, aber durch Trump gefährdeten Exportwirtschaft, angesichts des weiterhin jahrhunderteniedrigen Zins darauf verzichtet, jetzt in Infrastrukturprojekte zu investieren, der versündigt sich an der Wirtschaft und kommenden Generationen. Wenn Scholz zudem den früheren Kurs der Kanzlerin in der EU gegenüber Griechenland und Italien weiterführen wird, dann wird die EU weiter unter Druck geraten, die Populisten werden noch mehr davon profitieren.
Das Scheitern von Mario Renzi, dessen Kurs von der EU nicht hinreichend mit stützenden Maßnahmen stabilisiert wurde, könnte sich künftig auch gegen Macron in Frankreich wenden. Darüber mit der Wirtschaft einen Dialog zu beginnen und aufzuhören, den Sozialstaat kaputt zu sparen, scheint in dieser Koalition weder die SPD, noch die Sozialausschüsse der CDU die Kraft zu haben. Man muss kein Anhänger des Mindesteinkommens sein, um die Probleme der Wirtschaft 4.0 und der kommenden digitalen Revolution zu meistern. Aber sie zu verschweigen, bringt niemanden weiter und mit nachhaltigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur würden sich im Baugewerbe und im Handwerk die Arbeitsplätze sichern lassen, die in der Produktion in Zukunft kontinuierlich wegbrechen.
Vier Beispiele, warum der Populismus wächst.
Alle vier Beispiele zeigen, dass Politik angebliche Probleme nicht mehr richtig einzuordnen und auf der Handlungsebene in angemessene und funktionierende Mechanismen oder Verfahren umzusetzen in der Lage ist. Andere Beispiele wie das NRW-Polizeigesetz, das angesichts eines historischen Tiefstands der Kriminalität in NRW das bisher liberale Bundesland in einen Überwachungs- und Schnüffelstaat verwandeln will, aber auch damit keine Sicherheitsprobleme löst, wären viele zu nennen. Stattdessen versucht die Politik, von wirklichen Problemen, wie dem andauernden Pflegenotstand, der Kinderarmut, fehlenden Kita-Plätzen abzulenken, indem sie symbolische Politik macht, die Scheinlösungen für Scheinprobleme jeden Tag über die Schlagzeilen jagt, aber an entscheidender Stelle einfach nichts macht. Heimatministerien helfen eben nicht gegen die Probleme, die durch fehlgeschlagene Integration, Sprachkurse und Bildung für Menschen mit Migrationshintergrund entstehen. Elektronische Fußfesseln verhindern nicht, dass Extremisten weiter Anschläge begehen, wie sich in Frankreich gezeigt hat, wo ein Täter mit Fußfessel sich in einer Kirche in die Luft gesprengt hat.
Nein, die Wähler der AfD sind nicht alle verkappte Neonazis oder Rechte. Viele sind nach wie vor Protestwähler, sind verzweifelt, laufen den Rattenfängern von Gauland bis Weidel nach, weil sie erfahren, dass die Politik vor allem der GroKo die eigentlichen Probleme nicht anpackt. Dass die Autokonzerne verschont werden, die systematisch betrogen und gelogen haben, deren Milliardengewinne geschont werden, statt sie für Hardware-Nachrüstungen zu nutzen, während sich tausende unverkäuflicher Autos auf den Höfen der kleinen Gebrauchtwagenhändler türmen. Und weil hier der angeblich so “starke Staat” immer weiter zurückweicht, kommt es an anderer Stelle zu martialischen Forderungen wie der “Null-Toleranz” Strategie bei der Polizei von NRW bis Bayern, obwohl genau diese Strategie bereits im New York des Bürgermeisters Giuliani, heute Anwalt von Trump, vor zwanzig Jahren grandios gescheitert ist.
Was also tun?
Vielleicht könnte Politik sich einmal darauf besinnen, was sie wirklich kann und was sie nicht kann, und das auch verständlich erklären. Ein gewisser Helmut Schmidt soll das ziemlich gut gekonnt haben. Politik schafft keine Arbeitsplätze, sondern kann nur faire Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzen. Zu denen gehören nicht nur Investitionen in Breitband, sondern auch in Infrastrukturprojekte. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, angesichts der Kartelle von US-Softwarekonzernen, Datenkraken, Handy- und Smartphoneherstellern das Kartellrecht noch weiter aufzuweichen, wie es im Koalitionsvertrag steht.
Und es ist auch nicht ihre Aufgabe, zu behaupten, mit Massenlagern für bis zu 1.500 Flüchtlinge würden Fluchtursachen beseitigt, wären die Migrationsprobleme zwischen dem nahen Osten, Afrika und Europa zu lösen. Denn spätestens zur nächsten Flüchtlingswelle, z.B. aufgrund eines eskalierenden Konfliks zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, werden alle merken, dass das keine Lösungen, sondern symbolische Handlungen waren. Das ist dann wieder die Stunde der Gaulands und Le Pens, der Orbans und Trumps, die die Menschen glauben machen, dass sie allwissend seien und es eine einzig richtige Lösung gebe. Ein Klavier, das auch Erdogan derzeit noch spielt, das angesichts der Widersprüche zur Realität aber auch in Realitätsverlust und Diktatur führt.
Ein bisschen “Old School Politics”?
Stattdessen wäre es an der Zeit, Realismus zu zeigen, was Politik kann und was nicht. Auch das gehört zur Demokratie. Konrad Adenauer konnte das so schön in Selbstironie fassen: “Glaubense nicht alles, was Ihnen de Politiker sachen, ich selbst bin et beste Beispiel dafür!” – oder zu Journalisten: “Ich sache ihnen heute nur de halbe Wahrheit, dann könnense morjen noch jenuch über de Gerüchte schreiben.” Politik in Demokratie kann nicht alles, darf aber auch keinen Anspruch erheben, es zu können.
In diesem Licht besehen, bekommt übrigens Merkels Satz “Wir schaffen das” eine völlig andere Bedeutung! Vor lauter Gebrüll und Getöse der AfD und reißerischer Dampfplauderer vom Schlage Plasberg/Maischberger und Seehofers Flüchtlings-Bashing Show hat nämlich bisher (fast) keiner gemerkt, dass Merkel recht behalten hat: Wir haben das nämlich geschafft im Sinne von: das Chaos der ersten Wochen bewältigt. Gewiss mit Problemen und Kosten, dank vielem ehrenamtlichem Engagement, aber auch mit volkswirtschaftlichem Gewinn, Ansehen und Wirtschaftswachstum. Seehofer sorgt derweil weiter dafür, dass das fast niemand merkt. Es bleibt noch viel zu tun, zu integrieren, und manche werden nach Syrien oder in den Irak zurück kehren wollen. Aber vieles ist bereits geschafft.
Und nur wer wie Frau Weidel und ihre Genossen die ständige Hasskappe aufhat – “Kopftuchmädchen und Messermänner”- , kann ernsthaft behaupten, dass die Integration syrischer, jezidischer oder kurdischer Flüchtlinge irgendetwas mit den Problemen mit illegalen nordafrikanischen Elendsmigranten in der EU zu tun hat. Die waren vor 2015 schon da und sind ein bleibendes Problem, das über eine wirtschaftliche Kooperation und Einwanderungsgesetze eher gelöst werden kann, als durch Abschottung. Traut sich aber kaum noch jemand in der CDU zu sagen.
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