In den prosperierenden Großstädten herrscht Angst. Angst davor, keine bezahlbare Wohnung zu finden. So auch in Bonn, wo rund 50 Prozent der Einwohner*innen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, der sie zum Bezug einer öffentlich geförderten Wohnung berechtigt. Und damit wird klar, dass davon auch der Mittelstand betroffen ist. Nämlich alle prekär Beschäftigten sowie “normale” Arbeitnehmer*innen wie Busfahrer*innen, Verkäufer*innen, Kassierer*innen oder auch “kleine” Angestellte. Besonders dramatisch ist es dort, wo unsere reiche Gesellschaft schlicht und einfach versagt, nämlich bei Wohnungslosen. Von denen gibt es in Bonn ca. 1.400 Menschen.
Bei einem Gespräch mit Gerhard Roden, Diplom-Sozialarbeiter und Leiter der Wohnungslosenhilfe der Bonner Caritas, erfuhr ich, was am unteren Ende unserer Gesellschaft passiert. Im Prälat-Schleich-Haus, unmittelbar am Alten Friedhof gelegen, leben ständig rund 160 wohnungslose Männer mit einem Durchschnittsalter von 46,2 Jahren. Die Gründe für Obdachlosigkeit sind vielschichtig und spiegeln die humanen Defizite unseres Staates: Arbeitslosigkeit, Suchterfahrung, soziale Ungleichheit, unzureichende Bildung, seelische Erkrankungen, Traumatisierungen, unvollständige Sozialisierung, Überschuldung, Vereinsamung, Migration, Gewalterfahrung, Segregation, justizielle Probleme, fehlende Krankenversicherung und Zugangsbarrieren zu Sozial- und Gesundheitsdiensten. “Kurz nach der Einführung der Hartz-Gesetze haben wir bei uns einen spürbaren Anstieg von hilfesuchenden Menschen registriert,” berichtet Gerhard Roden.
Der Artikel 1 des Grundgesetzes, in dem die uneingeschränkte Würde des Menschen manifestiert ist, ist für Gerhard Roden der Maßstab, von dem er nicht abrückt. Denn zu einem menschenwürdigen Leben gehört für ihn das Recht auf eine bezahlbare Wohnung. Roden: “Wir laufen Gefahr, unsere Gesellschaft irreparabel zu spalten. Das dürfen wir nicht zulassen!”
Die im Prälat-Schleich-Haus tätigen Sozialarbeiter*innen spinnen ein komplexes soziales Prozessnetzwerk. Das Ziel ist die Reintegration der Wohnungslosen in ein selbstbestimmtes Leben. Und dessen Basis ist die bezahlbare Wohnung, für die nur die öffentliche Hand sorgen kann und muss. Deshalb ist die aktuelle Debatte um den Bevölkerungzuwachs und den signifikant gestiegenden Wohnungsbedarf so bedeutsam. Ebenso bedeutsam ist die wohnungspolitische Kooperation zwischen der Stadt Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis, bin ich mir mit Gerhard Roden einig.
Für die Segregation der Gesellschaft sind primär politische Fehlentscheidungen verantwortlich. Deshalb müssen die SPD und die Gewerkschaften alles menschenmögliche unternehmen, diese Spaltungen zu reparieren. Das adressierte Gerhard Roden klar und deutlich und er spricht mir damit aus dem Herzen. Denn der Artikel 1 des Grundgesetzes mit seinem universellen Menschenrechtsbegriff ist nicht diskutabel und er gilt gleichermaßen für vermögende Eigenheimbesitzer*innen wie auch für Wohnungslose.
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