Das Grundgesetz und die Prinzipien der Rechtstaatlichkeit auszuhöhlen, zu beugen und zu verbiegen scheint in Hessen zum Prinzip zu werden. Zunächst hat Schwarz-Grün im vergangenen Jahr ein mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidriges Verfassungschutzgesetz vorgelegt, das zunächst Quellen-TKÜ, den Staatstrojaner, Verlagerung der Geheimdienstarbeit in den Bereich der Polizeiaufgaben, verbunden mit dem Unterlaufen des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten beinhaltete. Wir berichteten über den ersten Versuch und die Anhörung. Nach dieser für die Landesregierung katastrophalen Veranstaltung trat die Schwarz-Grüne Koalition der Verfassungsuntreue in der dritten Lesung die Flucht nach vorn an, indem sie zwar alles weitestgehend beim Alten ließen, aber die von Sachverständigen inkriminierten Teile ins Hessische Polizeigesetz schrieben – das nun dadurch auf einer Linie mit Bayern und dem fragwürdigen Entwurf der NRW-CDU liegt. Gegen dessen Kernbestandteile am vergangenen Wochenende fast zwanzigtausend Menschen vor dem Landtag demonstriert haben, sowie Burkhard Hirsch und Gerhart Baum schon angekündigt haben, vor das Verfassungsgericht zu ziehen.
Verfassungs”schutz” Hessen im rechtsfreien Raum
Nun hat das Hessische Innenministerium und das Landesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig versucht, sich der demokratischen Kontrolle und gerichtlichen Aufklärung zu entziehen. Im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess und den Verwicklungen von Verfassungschutzbehörden in die Morde der NSU sticht Hessen besonders heraus. Denn beim Mord eines NSU-Opfers in Kassel war der Verfassungsschutzmitarbeiter Temme am Tatort, einem Internet-Cafe, anwesend. Er verliess erst nach der Tat den Tatort, könnte also die Täter gesehen, gekannt oder gar in die Tat verwickelt gewesen sein. Weder konnte ihn die Polizei bisher dazu verhören, noch konnte er ins NSU-Verfahren als Zeuge eingeführt werden. Ein offensichtlich rechtsfreier Raum!
Vertuschen durch Geheimhaltung?
Gegenüber dem NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages verschwieg die Abteilungsleiterin Temmes den Sachverhalt und auch die Tatsache, dass es einen 250 Seiten dicken, streng geheimen Bericht des Landesamtes über den Fall gibt. Ihre fadenscheinige Begründung lautet: Der Bund sei für die Kontrolle eines Landes nicht zuständig. Das mag stimmen, obwohl im Falle NSU eine Bundeszuständigkeit aus der Sache erwächst, aber das rechtfertigt keinesfalls, dass die Mitarbeiterin einen Bundestagsausschuß belügt, indem sie die Existenz des Berichtes verschweigt. Überhaupt befinden sich diejenigen im Irrtum, die meinen, allein die Einstufung eines Dokumentes als “Geheim” oder “Streng geheim” rechtfertige, seine Existenz an sich geheim zu halten. So mag Fürst Bismarck als Reichskanzler des Obrigkeitsstaates gedacht haben, im demokratischen Verfassungsstaat ist das ein Unding. Diese Einstufungen können lediglich dazu dienen, den Kreis der zur Einsicht berechtigten Personen einzuschränken. Und das kann im Einzelfall durchaus politisch umstritten sein. Also fragt man sich doch: Wieso fragen die parlamentarische Kontollkommission des Hessischen Landtages und die G-10 Kommission – in Hessen heisst sie G13 – nicht danach? Mitglieder in beiden Gremien sind von den Grünen Jürgen Frömmrich sowie Nancy Faeser und Günther Rudolph (SPD). Es gibt sogar einen Auschuß für Datenschutz und einen Untersuchungsausschuß NSU. Jeweils mit dem Grünen Mitglied Jürgen Frömmrich MdL. Man fragt sich, was dieser Mann dort eigentlich tut, wie tief sein Schlaf in den Sitzungen sein mag oder ob er gar das obrigkeitsstaatliche Verfassungsverständnis seines Koalitionspartners teilt?
Eine Frist, die niemand kennt
Es kommt noch ein Skandal oben drauf: Dieser Bericht soll nun für 120 Jahre nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Der Sachverhalt wirft schwerwiegende Fragen auf: Wenn ich als Mitglied der G-10-Kommission in NRW von einem solchen Bericht erführe, würde ich ihn einsehen wollen – die Parlamentarische Kontrollkommission mit Sicherheit auch. Weshalb kommt das parlamentarische Gremium in Hessen seinen verfassungsrechtlichen Pflichten und Funktionen nicht nach? Diese Gremien treten nach den Notstandsgesetzen an die Stelle der Gerichtsbarkeit. Das ist schlimm genug, weil in diesem Fall die verfassungsrechtliche Rechtswegsgarantie nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz leer läuft. Deshalb ist es übel, wenn die betreffenden Gremien von ihren Rechten keinen Gebrauch machen. Auch darin könnte eine Verletzung der Grundrechte der Betroffenen – in diesem Falle der NSU-Opfer – liegen.
Aushebelung der Kontrolle per Zeitablauf?
G 10 Maßnahmen, Observationen und Datensammlungen in NRW unterliegen der Verjährung und werden spätestens 30 Jahre nach Beendigung der Maßnahme gelöscht. Eine Verwahrung und Geheimhaltung für 120 Jahre widerspricht dem Rechtstaatsprinzip, jeder bekannten Frist der Landesarchive und des Bundesarchivs. Sie widerspricht allen Gesetzen zur Akteneinsicht und der DSGVO. Sie ist offensichtlich nichts anderes, als der Versuch einer staatlichen Vertuschung möglicher krimineller Handlungen oder Verwicklungen des Hessischen Verfassungsschutzes in solche. Das dürfte vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben – also ist doch die Frage, ob SPD oder Linke oder gar die FDP den Mut aufbringen, den Klageweg zu beschreiten. Für die Landesregierung aber steht die Frage, wie oft und wie nachhaltig und wie tief sie weiterhin in den Sumpf rechtstaatlich zweifelhafter Praktiken einsinken möchte.
Skandal könnte Bouffier nahe kommen
Ich habe Volker Bouffier anlässlich einer Reise des NRW-Innenausschußes in die USA zum Thema Polizei und Kriminalitätsbekämpfung, an der er als Gast teilnahm, persönlich kennen gelernt. Sein Rechtstaatsverständnis ist konservativ, nicht gerade überentwickelt. Aber das wäre auch bei einem CDU-Ministerpräsidenten nicht schlimm, wäre er nicht vorher Innenminister gewesen. Da drängt sich die Frage auf, welche Maßnahmen des Verfassungsschutzes noch in seine Amtszeit als Innenminister unter Roland Koch fallen. Schlimm ist, dass die hessischen Grünen bei einer wiederholten Verletzung von Grund- und Freiheitsrechten als Koalitionspartner mitmachen, keinerlei Widerstand, nicht einmal Interesse zeigen, dass die Verfassungsrechte verteidigt werden. Es entsteht gar der Eindruck, dass sie aus Koalitionsräson beide Augen fest zudrücken. Sollte dies zutreffen, wären sie verfassungspolitische Versager und sprächen obendrein den Ansprüchen und Visionen ihres Parteivorsitzenden Robert Habeck Hohn, der aus den Grünen eine linksliberale Partei machen möchte, – sie schaden den Grünen als Rechtstaatspartei und schlagen ihm geradezu ins Gesicht.
Letzte Kommentare