Vermutlich von allem Etwas. Anja Maier/taz regt sich heute über das Zensurenerteilen unter Journalist*inn*en auf, ein ziemlich selbstreferentieller Blick. Roland Appel wies hier auf die 15 Thesen des stellvertretenden Redaktionschefs Bernd Ulrich hin – die Jungs waren mal Arbeitskollegen, eher verfeindete, in den 80ern.
Es gehört zur Strategie der Zeit um Diskursmacht zu kämpfen. Das gehört zum Rollenbild einer Wochenzeitung. Ihr Unterhalt ist nicht billig. Und jetzt droht die Sommerpause – ein Loch an Aufmerksamkeit und Kioskverkäufen. Respektvoll müssen wir anerkennen: das mit der Aufmerksamkeit haben sie exzellent hingekriegt.
Ulrichs Reaktion spricht ausserdem dafür, dass auch politische Immunabwehr in der Redaktion, hervorgerufen vermutlich auch durch Leser*innen*reaktionen, noch vorhanden ist.
Ich habe Bernd Ulrich Mitte/Anfang der 80er als Urlaubsvertretung im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung kennengelernt, als Vertreter der sich besonders “gefährlich” gerierenden Linksautonomen, die in meinen damaligen Augen eher Pausenclowns des herrschenden Systems waren, mit einem Testosteronüberschuss, der beim Indianerspielen in “Strassenkämpfen” abgebaut wurde – manches ändert sich nie. Vielleicht hat Ulrich, der bei den Sitzungen immer etwas linkisch auftrat, das irgendwann ähnlich gesehen und konvertierte: er wurde Mitarbeiter in der Grünen Bundestagsfraktion bei Fraktionschefin Antje Vollmer. Hier bemühte er sich darum, als Ideologe im Bühnenhintergrund, die Fischer-Realos noch rechts zu überholen.
Dann verlor ich ihn etwas aus den Augen. Irgendwann entdeckte ich ihn in einer TV-Dokumentation über das Berliner Lokalblatt Tagesspiegel. Hier war er zum Stellvertreter von Giovanni di Lorenzo avanciert. In dem Film wurde – nur scheinbar authentisch – eine Arbeitssituation der beiden beim Artikelschreiben simuliert, bei der di Lorenzo Ulrich vor laufender Kamera demonstrativ demütigte. Ihrer beruflichen Beziehung scheint das nicht geschadet zu haben. Innerhalb der Verlagsgruppe Holtzbrinck stiegen sie, wie im Paarlauf, vom Tagesspiegel in die Chefredaktion der Zeit auf, wo sie jetzt unsere Aufmerksamkeit erregen.
Das vorausgeschickt also: Ulrichs Thesen sind aktuell das realistisch-kühlste, was es zu dem Thema bisher zu lesen gab. Das ganze Manöver der Zeit könnte damit – im Verlauf sah das böse knapp aus – am Ende geglückt sein. Es gibt aber kein Ende. Der Streit geht weiter.
Achso, achja: es geht übrigens um Flüchtlinge. Am besten, Sie sprechen zur Abwechslung mal mit einer/m. Und wenn Sie dafür keine Zeit haben, können sie auch Geld geben. Oder sich wenigstens ein bisschen für die Praxis interessieren.
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