Heute las ich irgendeinen Besinnungsaufsatz über die Geschehnisse in Chemnitz/Sachsen. Der Autor benutzte an einer Stelle, an der er das Elend von Ost und West gleichsetzen wollte, die Formulierung “und in Gelsenkirchen-Ost”. Klassischer Fall von keine Ahnung. Oststadtteile von Gelsenkirchen heissen Erle, Resse, Resser Mark und Bismarck. Da klappen bei ahnungslosen Leser*inne*n die Assoziationen nicht wie beabsichtigt. Der – von den Aufgezählten – Stadtteil mit dem meisten “Erneuerungsbedarf” ist übrigens Bismarck. Da ist Mesut Özil aufgewachsen und zum Jahrhunderttalent geworden.
Womit wir beim Elend von heute ist. Schalke 04 ist jetzt da, wo es war, als ich mich begann für Fußball zu interessieren: auf Platz 15. Damals 1965 war es 16. Und das war seinerzeit der Letzte. Auf bis heute rätselhafte Weise stockte der DFB damals die Bundesliga von 16 auf 18 auf, und Schalke stieg als Letzter nicht ab. Absteigen musste der heutige S04-Bezwinger Hertha BSC wegen illegal bezahlter Handgelder an mehrere Spieler.
In der ersten von mir bewusst wahrgenommenen Bundesligatabelle meines Lebens war S04 also Letzter. Und das was ich heute gesehen habe, das musste mich daran erinnern. Die Gegner aus der Hauptstadt sind bekannt für unansehnlichen Fußball, seit der “Männerfussball”-Ideologe Dardai dort bestimmt, wo es fussballerisch langgeht. Für die reichte es heute, möglichst wenig Fehler zu machen, um den angeblichen “Trainer des Jahres” der Vorsaison nach Strich und Faden zu entzaubern. Embolo spielt weit unter seinen Fähigkeiten, Harit ist nach seinem selbstgebauten Autounfall nicht mehr Derselbe, viele Talente der “Knappenschmiede” haben das Weite gesucht, der alternde Naldo und Torwart Fährmann können nicht alles selbermachen. Domenico Tedesco sollte sich schon mal diskret nach einem neuen Job umsehen. Die über 60.000, die enthusiastisch alle 14 Tage die Schalke-Arena vollmachen, werden das nicht wieder ertragen wollen. Und Machthaber – und Deutschlands grösster Viehschlachter und Putin-Freund – Tönnies auch nicht.
Hätte ich doch nur echten Fußball aufm Platz geguckt: Beuel 06 gewann gleichzeitig 6:1. Sie wollen diese Saison wieder in die Bezirksliga aufsteigen. Ihre Kollegen aus der III. Mannschaft (Kreisliga D) witzelten in der Fußballkneipe: “… wie jedes Jahr”. Meinen hart arbeitenden Kneipenwirt Kamel Bsissa habe ich aufgefordert, von Sky die (Wucher-)Miete zurück zu verlangen: wegen schlechter Ware.
Update 3.9.: Daniel Theweleit/taz widmete Domenico Tedesco vor dem gestrigen Spiel diese Eloge. Sie weist darauf hin, dass es im Profibetrieb von S04 zu selbstreferentiell zugeht. Tedesco hat ein Problem mit seinem Fußballverständnis. Ein Fußball gegen das Publikum ist – irgendwann – zum Scheitern verurteilt. Mit – im Menottischen Sinne – rechtem Fußball kommt mann nicht länger als 1 1/2 Spielzeiten durch. Selbst diese Zeit wird nur erreicht, “wenn die Ergebnisse stimmen”. Danach gibts Ärger – wie gestern in der Schalke-Arena (oder in der letzten Rückrunde in Mönchengladbach).

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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