Ein sich ständig verändernder und erneuernder Organismus

An jedem letzten Freitag im Monat um 18:00 Uhr treffen sich im Bonner Hofgarten Hunderte Radfahrer*innen, um anschließend in einem sogenannten geschlossenen Verband durch die Stadt zu radeln. Diese Raddemonstration, die ausdrücklich keine Demonstration ist, ist ein sich ständig verändernder und erneuernder Organismus, der an Anarchie grenzt, aber trotzdem friedlich und weitgehend geordnet abläuft.

Es gibt kein Abfahrtskommando und keinen Startschuss und niemand weiß vorher, welche Fahrtroute eingeschlagen wird. Derjenige, der mehr oder weniger zufällig an der Spitze fährt, bestimmt, wo es lang geht. Nur ganz wenige Rahmenbedingungen gelten, wie z.B. eine Gesamtdauer von rund 2 Stunden, die weitgehende Vermeidung von Straßen mit Schienen – also dort, wo Straßenbahnen verkehren -, das Bestreben, den Öffentlichen Personennahverkehr höchstens marginal zu behindern und ein Endziel im Bereich zwischen Poppelsdorfer Allee, Hofgarten oder Stadtgarten am Alten Zoll.

Dieses faszinierende Szenarium für eine radfreundliche und klimaneutrale Verkehrspolitik ist ein Ergebnis von Schwarmintelligenz einerseits, andererseits auch von Gehorsam und Unterwürfigkeit. Denn Disziplinlosigkeit würde angesichts von Hunderten Fahrrädern zwangsläufig zum Chaos führen. Und das wäre angesichts der Ernsthaftigkeit des Anliegens fatal.

Autofahrende Zeitgenossen und auch Fußgänger*innen sind stets völlig überrascht, wenn ihnen der fahrradfahrende Moloch begegnet. Vor allem deshalb, weil der Tross als geschlossener Verband die gesamte Fahrbahnbreite beanspruchen darf. Und er ist berechtigt, an Ampeln weiterzufahren, wenn diese von der Spitze des Verbands bei Grün passiert werden, zwischenzeitlich aber auf Rot umgesprungen sind.

Neben dem ernsthaften verkehrspolitischen Aspekt, der alle Teilnehmenden eint, macht Critical Mass auch einfach Spaß. Sie ist ein beeindruckender Ausdruck von Solidarität und Lebensfreude. Zumal es nach der Tour stets ein improvisiertes und irgendwie auch geplantes Buffet gibt.

Über Rainer Bohnet: