Warum Verfassungsschutz-Chef Maaßen angesichts der Fakten diese Diskussion vom Zaume gebrochen habe, sei ihm völlig unklar, bekannte heute der Obmann der SPD im Verfassungsschutz-Kontrollgremium. Sozialdemokraten waren auch schon mal schärfer in der politischen Analyse. Dem Manne kann auf die Sprünge geholfen werden. Er sollte sich einfach mal vorstellen, was passiert wäre, hätte Maaßen den Mund gehalten: Die neonazistischen Straftaten, Hitlergrüße, tätliche Angriffe auf Journalisten, auf scheinbare Ausländer wären immer noch das breit diskutierte Thema. Hetzjagden auf scheinbare Ausländer, tätliche Angriffe auf Jungsozialisten, die an der Demonstration der Nazigegner teilnahmen, Überfälle auf ein linkes Kulturzentrum in Chemnitz, auf einen Supermarkt und auf ein jüdisches Restaurant – das wahre Ausmaß der rechtsextremen Gewalt und Übergriffe, das zum Teil erst gestern durch die Berichterstattung des ZDF-Magazins “Frontal 21” ans Tageslicht kam, alles Straftaten vermutlich verübt durch Rechtsextremisten, mit denen die AfD Seit’ an Seit’ “demonstriert” hat.

In Chemnitz hat die AfD ihre politische Strategie als parlamentarischer Arm von PEGIDA und Rechtsextremismus deutlicher denn je offenbart. Als Folge würde seitdem vielleicht endlich intensiv  darüber diskutiert, dass der AfD-Neonazi Bernd Höcke etwa Polizisten dazu aufruft, die Anordnungen ihrer Vorgesetzten zu mißachten, von Widerstand und Einsetzung einer Notregierung faselt und vielen anderen antidemokratischen Ungeheuerlichkeiten. All dies wäre jetzt aktuell und wichtig in der politischen Diskussion gewesen und hätte möglicherweise auch die Bundestagsdebatte beherrscht und für manchen bürgerlichen AfD-Sympathisanten dann doch etwas mehr Klarheit gebracht.

Hätte, hätte Fahrradkette – wäre da der AfD nicht der Chef einer Behörde zur Seite gesprungen, die ganz andere Aufgaben hat: Die sich eigentlich um die Gefährder der Demokratie und Sprücheklopfer vom Schlage Höcke und ihn umgebende militante Neonazis und rechte Bestrebungen kümmern sollte. Stattdessen hält er seit nahezu einer Woche die Öffentlichkeit mit absurden Spitzfindigkeiten in Atem, etwa, ob er seine unerträglichen Äußerungen nun gemacht habe, weil er die Echtheit des Videos oder die Angemessenheit des Begriffs “Hetzjagd” in Frage stellen wollte. Absurd – ein Geheimdienstchef, der schon im Fall Murat Kurnaz und dessen Unterstützung als deutschem Staatsbürger in Guantanamo zweifelhafte Rechtspositionen vertreten hatte, schwingt sich allen Ernstes zum Oberzensor darüber auf, wie unabhängige Medien die Übergriffe von Neonazis und rechten Schlägern zu bewerten haben! Ob Hybris oder Allmachtsphantasie – er soll die Medienschelte im Innenausschuß des Bundestages noch fortgesetzt haben – Geschickt hat er damit vom Rechtsextremismus abgelenkt. Ist das etwa die Aufgabe eines Verfassungsschutz-Leiters? Was, muß doch gefragt werden, lassen sich da Parlamentarier von einem politischen Beamten bieten, der dem Parlament rechenschaftspflichtig ist? Stattdessen scheinen nicht sie ihn, sondern er sie, jedenfalls in der Mehrzahl, “im Griff” zu haben.

Ohne ihn wäre das Bündnis der AfD mit Rechtsextremisten vermutlich noch Thema und die Hetzjagd-Leugner Kretschmer und Gauland stünden allein und isoliert. Wäre ihnen Maaßen nicht durch seine fragwürdigen Äußerungen beigesprungen, hätte von alledem abgelenkt und die Diskussion auf sich gezogen. Denn was bitte soll ein Begriffsrabulismus, wenn braune Schläger öffentlich ausländisch aussehende Menschen bedrohen und über die Straße jagen? Müssen erst die Opfer niederschlagen, verletzt werden oder wie weit müssen sie gejagt werden, damit das die Herren Kretschmer und Maaßen als “Hetzjagd” bezeichnen? Und was ist mit der die Vielzahl der von der Polizei registrierten Straftaten in den in Frage kommenden Nächten?

Verfassungsschutzchef Maaßen ist ein intelligenter, medienerfahrener Kopf: Er hat es geschafft, durch absurde Spitzfindigkeiten eine Diskussion auf sich zu ziehen, bei der am Ende über die Lächerlichkeit gestritten wird, ob das Video richtig bewertet worden sei – eine Absurdität, die er locker aussitzen wird, weil die ihn vernehmenden Politiker von SPD, FDP und CDU entweder zu unerfahren, zu naiv und autoritätsgläubig – auf jeden Fall jedoch an politischer Gerissenheit haushoch unterlegen sind. Und weil sie ihr Mandat als Bundestagsabgeodnete nicht selbstbewußt genug ausüben.

Er kann einen vollen Erfolg verbuchen – die AfD ist entlastet, von ihren Ungeheuerlichkeiten hat er erfolgreich abgelenkt und am Ende des Tages ist ihm sein Dienstherr sogar noch dankbar, denn dem ist jeder Tumult recht, der sich gegen die Politik der Kanzlerin richtet. Und das bisschen bürgerrechtliches grummeln der Grünen und Linken kann er mit Gelassenheit aussitzen. Maaßen ist schließlich das beste Regierungsmitglied, das die AfD hat.

 

 

 

 

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net